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Rheinland für Entdecker1000 Jahre rheinische Kultur im Herzen von Brauweiler

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Blick auf St. Nikolaus, die frühere Ab­tei­kir­che in Brau­wei­ler

Sie ist ein Kleinod und eines der bedeutendsten Kulturdenkmäler des Rheinlandes. „Hier ist rheinische, hier ist europäische Kultur spürbar“, sagt  Jürgen Rüttgers. Der ehemalige NRW-Ministerpräsident ist ein glühender Verehrer  der ehemaligen Benediktinerabtei Brauweiler.  „Die Abtei fasziniert mich, weil überall Geschichte erlebbar ist, aber immer etwas Neues dazukommt.

Da denkt man, jetzt lebst du fast schon 67 Jahre hier, kennst alles und weißt alles – und plötzlich stelle ich wieder fest: Du weißt gar nichts.“ Ein Beispiel gefällig? Rüttgers dreht sich um und zeigt auf eine Nische  neben der Sakristei in der Pfarrkirche St. Nikolaus. Das prachtvolle romanische Gotteshaus mit Fresken aus dem 14. Jahrhundert  hat den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschadet überstanden. Bei der Lektüre des vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) herausgegebenen Buches „Die Abtei Brauweiler in drei Gängen“ (siehe Infotext) habe er erfahren, was es mit der Nische auf sich habe. Es birgt Gebeine. Denn: In dem schlichten Hochgrab sei Wolfhelm, der dritte Abt des Klosters, beigesetzt. „Ich entdecke permanent Neues.

Fasziniert ist Jürgen Rüttgers „von der unglaublichen Vielfalt, die sich hinter den Mauern“ des Gebäudekomplexes abspiele. Mitarbeiter des LVR – derzeit  Eigentümer der Abtei – restaurieren dort Materialien aus verschiedenen Jahrhunderten und Kunstwerke aus nahezu allen Epochen. Sie digitalisieren Archivalien oder bewahren sie auf Mikrofilmen, ein Team der Gesellschaft zur Sicherung von schriftlichem Kulturgut (GSK) entsäuert Papier. Aber das ist natürlich längst nicht alles.

Lesungen bei der Madonna

Jahr für Jahr ist die Abtei Kulisse für die Kunsttage Rhein-Erft; der Freundeskreis Abtei Brauweiler, kurz FAB, dessen Vorsitzender Jürgen Rüttgers ist, bietet Konzerte in St. Nikolaus sowie Lesungen  und Ausstellungen bei der doppelgesichtigen Madonna im Marienhof – diesen kennt er noch aus der Zeit, als dort viele Bäume standen und Schatten spendeten.

Die auf den „deutsch-romantischen Klangbereich“ spezialisierte neue Chororgel der  Firma Eule und die Barockorgel sind geeignet für  Orgelmusik aller Epochen. Mit den beiden Instrumenten werde Brauweiler – da ist der FAB-Vorsitzende  sicher – neben dem Kölner Dom und dem Altenberger Dom, einer „der drei großen Standorte für Orgelmusik sein.“ 

Die Abtei Brauweiler blickt zurück auf eine  fast 1000-jährige wechselvolle Geschichte – sie war Kloster, Bettleranstalt, Arbeitsanstalt, psychiatrisches Landeskrankenhaus. 1988, nach einer zehnjährigen Sanierung der Klostergebäude, schlug der LVR ein neues Kapitel der Abteigeschichte auf und richtete  mehrere Dienststellen in den früheren Klostergebäuden ein. Für Rüttgers ist es ein Ort voller persönlicher Erinnerungen, dem er sich eng verbunden fühlt. Wenn er sich erinnert, dann ist da nicht nur die Zeit an der Richeza-Volksschule Brauweiler präsent. „Ich bin hier aufgewachsen, ich kenne die Gebäude aus meiner Zeit bei den Pfadfindern.“ 

Vor allem unter den Nazis beherbergte der Ort düstere Geschichten. Denn war das Leben schon zu Zeiten der Preußen in der Anstalt kein Zuckerschlecken, so entweihten die Nazis das frühere Kloster vollständig, indem sie es zu einer Art frühem Konzentrationslager und Gestapogefängnis umfunktionierten. Auch Konrad Adenauer war hier inhaftiert. Rüttgers, der 1951 geboren wurde, lernte das Gebäude dann wieder als Arbeitslager und Klinik für psychisch Kranke Menschen kennen. „Damals gingen sechs Meter hohe Mauern durch den Ort, das kann man sich heute nicht mehr vorstellen.“

Archiv für Kunst 

Eng verbunden mit seiner Kindheit und Jugend sind auch die Erinnerungen an den Gutshof neben dem Feldtor.  In dem Ursprungsbau „wohnte mein bester Freund Hubert, sein Vater war der Bauer des Landschaftsverbandes, sozusagen der Landwirtschaftsmeister“.

Jahre später, damals war Jürgen Rüttgers Ministerpräsident von NRW, kam die Idee auf, in dem leerstehenden Gutshof ein Archiv für Künstlernachlässe zu gründen. 2009 leitete er mit dem ersten Spatenstich die Sanierung des Gebäudes ein. 2,9 Millionen Euro hat der Umbau gekostet, eine Million Euro hat der LVR übernommen, den Rest das Land NRW. Inzwischen lagern im Archiv, das die Stiftung Kunstfonds dort betreibt, mehr als 50000  Arbeiten – darunter Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Zeichnungen. Eine Auswahl wird im Frühjahr/Frühsommer und im Herbst im Winterrefektorium der Abtei gezeigt. Die in der Adventszeit ausgestellten Grafiken werden auch verkauft.

Mythos Maulbeerbaum

Legendenumwoben ist der Maulbeerbaum im weitläufigen Abteipark. Es heißt, dass der Adelige Ezzo seiner Frau Mathilde, der Klostergründerin, zum Hochzeitstag einen Zweig des Baumes schenkte und in den Rasen steckte mit den Worten „Ich schenke dir das Land und alles, was darauf steht.“ Eine andere Legende besagt, dass Mathilde unter dem Maulbeerbaum einnickte und träumte, sie und ihr Mann Ezzo würden auf dem Gelände in der Nähe des Baum ein Kloster gründen. Kaum vorstellbar, aber belegt: Im Jahr 1896 sollte der Maulbeerbaum gefällt werden. So steht es in den „Special-Acten betreffend den historischen Maulbeerbaum“, die im Archiv des LVR aufgehoben werden.

Besuch der Abtei

Die Abtei  befindet sich in Brauweiler, Ehrenfriedstraße 19.   Besichtigung  täglich von 10 bis 19 Uhr. Zugänglich sind  der Prälaturhof der barocken Anlage, der Marienhof sowie der Wirtschaftshof aus dem 19. Jahrhundert. Die Innenräume sind nur bei Führungen zu besichtigen.  Der Abteipark ist durchgängig geöffnet. Kontakt: 02234/9854- 302, -204., abteibrauweiler@lvr.de

Jürgen Rüttgers’ Verbindung zur Abtei Brauweiler ist eine sehr innige, eine besondere. Denn „hier ist meine Heimat. Ich lebe in diesem Ort, in dieser Gegend“, hier kenne er die Leute, er sei regelmäßig hier, dies sei der Platz,  an dem er ruhig werde. „Es war mir in all den Jahren, auch als Minister und Ministerpräsident wichtig, einmal in der Woche hier zu sein, um wenigstens mal für eine Stunde Ruhe zu haben – samstags oder sonntags bei den Gottesdiensten oder bei den Konzerten“, sagt er. Und: „Es war mir immer unglaublich wichtig, dass es einen Ort gibt,  an den ich zurückkommen kann.“

Dieser Ort ist Brauweiler. Darum auch wird Jürgen Rüttgers nicht müde, für seinen Ort zu werben. „Wenn man 1000 Jahre Rheinland sehen möchte, dann muss man hierher kommen. Es lohnt sich.“

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Tipps rund um den Ausflug

Anfahrt: Mit dem Auto ist die Abtei Brauweiler über die A 1 sowie aus Fahrtrichtung Aachen über die A 4 erreichbar. Parkplätze gibt es an der Von-Werth-Straße.  Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist die Abtei  von Köln Hauptbahnhof in der Regel innerhalb von 30 Minuten mit S-Bahnen, Regionalbahnen und Bussen zu erreichen. Zielhaltestelle ist in allen Fällen „Brauweiler Kirche“.

Führungen: Der LVR bietet regelmäßige Führungen durch die Abtei, die Abteikirche (auch für Kinder, Menschen mit Sehbehinderung und Gehörlose an, ebenso der Verein für Geschichte Pulheim und die Pfarreiengemeinschaft Brauweiler/Geyen/Sinthern.

Informationen: Ein idealer Begleiter für diejenigen, die die Abtei Brauweiler auf eigene Faust erkunden möchten, ist das reich bebilderte Buch „Die Abtei Brauweiler in drei Gängen – Kloster, Kirche, Park“.  (9 Euro im Abtei-Shop,  oder zu bestellen für  12 Euro, Kontakt: 0 22 34/98 54-203). Einblicke in die Geschichte der Abtei  bietet ein Audio-Rundgang mit 14 Stationen.

Programm: Das Programm des Freundeskreises Abtei Brauweiler (FAB) bietet Musikalisches, aber auch Literarisches. Ende August/Anfang September steht die renommierte Musikreihe Classic Nights mit sechs Konzerten auf dem Programm. Am Freitag, 30. September, 19.30 Uhr, werden in der Abtei Brauweiler die 30. Kunsttage Rhein-Erft  eröffnet. www.abtei-brauweiler.de

Einkehr: Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten gibt es im Abteiort zahlreiche. Empfehlenswert ist das Hotel Restaurant Mathildenhof, Mathildenstraße 30, sowie das Hotel Restaurant Schugt, Ehrenfriedstraße 14.

Wer eine Pause außerhalb einlegen möchte, kann dies tun in Sinthern in der Gaststätte „Im Schieffer’s“, Brauweiler Straße 37, und in dem Restaurant – Weinhaus „Die Fledermaus“, Brauweiler Straße 39a, sowie in Dansweiler im Restaurant „Ruland’s Zehnthof“, Zehnthofstraße 3, und im Ristorante Il Paradiso, Zehnthofstraße 26.

Synagoge in Stommeln: Dieses Kleinod verbirgt sich zehn Kilometer von der Abtei entfernt im  Stadtteil Stommeln, Hauptstraße 85. Die Stadt hat die 1882 errichtete Synagoge 1979 aus Privatbesitz zurückgekauft. Das Gebäude war der Zerstörung in der Pogromnacht 1938 entgangen, weil ein Bauer sie vor dem Krieg erstanden und dort zunächst einen Schuppen und später einen Schweinestall eingerichtet hatte. 1981 begann die Renovierung, 1983 wurde die Synagoge eingeweiht. Seit 1991 findet dort das Synagogen-Projekt statt. Besichtigung  nach Terminabsprache mit der Kulturabteilung der Stadt Pulheim. Kontakt: 0 22 38/80 81 88, 0 22 38/80 81 89, 0 22 38/80 81 94.

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