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PränataldiagnostikDilemma in der Schwangerschaft – was will ich wirklich wissen

Lesezeit 7 Minuten
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Will man wirklich alles wissen, was man wissen könnte? Oder will ich mein Baby so nehmen, wie es ist. 

Köln – Schon sehr früh in der Schwangerschaft geht es los mit den Entscheidungen, von denen die Frauen nicht wussten, dass sie sie jemals würde treffen müssen. „Wollen Sie das Extra-Ultraschallpaket dazu buchen“, fragt die Helferin beim Frauenarzt. „Es kostet 170 Euro.“ Was? Wieso? Wofür?

Die Krankenkassen zahlen während einer Schwangerschaft drei Standard-Ultraschalluntersuchungen. Wer sein Baby öfter sehen will, muss selbst dafür aufkommen. Was viele Frauen tun, da Baby-Gucken, am liebsten in 3D, sich immer mehr zum Happening für die ganze Familie entwickelt. Schädlich ist das nicht, fragt sich nur, ob die Paketbuchung zu Beginn der Schwangerschaft wirklich sinnvoll ist. Vielleicht übernimmt die Hebamme einen Teil der Vorsorge, was gemütlicher und weniger Aufwand ist als der Gang in die Frauenarztpraxis. Vielleicht werden Auffälligkeiten festgestellt und weitere Ultraschalluntersuchungen damit ohnehin notwendig. Vielleicht kommt das Baby zu früh. In allen Fällen wäre die Paketbuchung überflüssig gewesen.

Jede schwangere Frau hat ein Recht auf Wissen – und auf Nichtwissen

Und das war erst der Anfang. Viel weitreichendere Fragen folgen. Heute muss jede Frau über die Pränataldiagnostik, also die möglichen Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten beim ungeborenen Kind, aufgeklärt werden. Das betrifft nicht mehr nur die über 35-Jährigen, die auf Grund ihres Alters ein höheres Risiko für  Chromosomenstörungen wie das Down Syndrom (Trisomie 21) haben. Jede schwangere Frau hat ein Recht auf Wissen – und auf Nichtwissen. Es liegt ganz im Ermessen der werdenden Mutter, zu entscheiden: Was will ich wissen?  Und was würde ich tun, wenn...

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Würde ich abtreiben, wenn eine Trisomie festgestellt würde? Würde ich das Baby im Mutterleib operieren lassen, wenn ein offener Rücken diagnostiziert würde? Wie würde ich meine Schwangerschaft erleben, wenn ich schon früh erführe, dass mein Baby einen Klumpfuß haben wird?

Will man das alles wissen – oder das Baby so nehmen, wie es kommt?

Will ich das alles wirklich wissen, oder nehme ich mein Baby, wie es kommt? Brauche ich all die Ultraschallbilder und Messwerte der modernen Vorsorgeuntersuchungen? Kann ich nicht einfach genießen, schwanger zu sein? Mit Gefühl. Mit Instinkt. Mit Urvertrauen in das Leben. Die Humangenetikerin Elisabeth Gödde aus Recklinghausen gibt zu bedenken: „Wir überwinden natürliche Grenzen und wundern uns dann, dass wir damit Schwierigkeiten haben – zum Beispiel, wenn wir plötzlich eine Entscheidung auf Leben und Tod treffen müssen.“  Die Natur hat nicht vorgesehen, dass wir uns unser Baby schon vor der Geburt immer wieder ansehen.

Andererseits: Kann ich die modernen Möglichkeiten einfach ignorieren? Was ist, wenn mein Baby eine Störung hat, die im Mutterleib behandelt werden könnte? Gödde sagt auch: „Wir können die Entwicklung nicht zurückdrehen. Die Untersuchungen sind da. Und wenn mir klar ist, wonach ich suche, dann ist es ein Segen, dass sie so präzise Antworten geben.“

Pränataldiagnostik soll in den meisten Fällen das Gefühl von Sicherheit vermitteln

Es hilft auch, sich vor Augen zu führen: 9 von 10 Babys kommen gesund zur Welt. Im Normalfall reduziert sich der Sinn der Pränataldiagnostik also darauf, ein Gefühl der  Sicherheit zu vermitteln.

Welche Untersuchungen wann möglich sind, was sie bringen und was sie kosten – eine Übersicht:

Ersttrimester-Screening

Eine ausführliche Ultraschalluntersuchung in der 12. bis 14. Schwangerschaftswoche in einer Spezial-Praxis. Das Kind wird genauestens untersucht, die so genannte Nackenfalte wird gemessen und im mütterlichen Blut wird die Konzentration zweier Mutterkuchen-Hormone bestimmt. Kosten: Rund 200 Euro. Keine Kassenleistung.

Das Ersttrimester-Screening wird häufig als Aussortier-Methode von Kindern mit Down Syndrom angesehen. Das ist allerdings nur bedingt richtig, da auch viele andere Störungen festgestellt werden können. Eine endgültige Diagnose Down Syndrom kann es am Ende nicht geben, es wird lediglich das Risiko auf eine Chromosomenstörung bestimmt. Jeder Mensch hat unter der Haut der Nackenfalte eine Flüssigkeitsansammlung, bei Kindern mit Down Syndrom ist diese etwas größer. Allerdings ist der Unterschied vor der 12. Woche noch nicht groß genug und verliert sich dann auch wieder nach der 14. Woche.

Die Bestimmung der Mutterkuchen-Hormone im mütterlichen Blut hat folgenden Hintergrund: Die Plazenten von Kindern mit Down Syndrom sind um etwa zwei Wochen unreifer als die anderer Kinder. Mit der Kombination aus Nackenfalten- und Blut-Untersuchung werden 97 Prozent der Kinder mit einer Chromosomenstörung gefunden. Allerdings kommt es in fünf Prozent zu falsch-positiven Ergebnis.

Genetische Blutuntersuchung

Ab der 12. Woche können aus dem Blut der Mutter kindliche Chromosomen-Fragmente extrahiert und auf Abweichungen untersucht werden. Die Entdeckungsrate für das Down-Syndrom beträgt 99,7 Prozent, in 0,1 Prozent der Fälle kommt es zu einem falsch-positiven Ergebnis. Kosten: 200 bis 400 Euro. Keine Kassenleistung. Seriöse Ärzte führen diese Untersuchung nicht ohne ein vorheriges (auffälliges) Ersttrimester-Screening durch, da der Ausschluss einer Chromosomenstörung wenig hilfreich ist, wenn das Kind andere schwerwiegende Schädigungen hat.

Zweittrimester-Screening

Ausführliche Untersuchung der Organe des Babys im Ultraschall, erfolgt zwischen   19. und   23. Woche beim Spezialisten. Kosten: Kassenleistung bei Überweisung durch den Frauenarzt wegen einer Risikoschwangerschaft oder eines auffälligen Vorbefundes, ansonsten rund 300 Euro.

Amniozentese

Durch die Fruchtwasseruntersuchung,  der Entnahme von Fruchtwasser aus der Fruchtblase durch eine Punktion, kann ab der 16. Woche eine fast 100 Prozent zuverlässige Diagnose einer Chromosomen-Abweichung erfolgen. Kosten: Werden – anders als die für eine Blutuntersuchung – bei einem auffälligen Vorbefund oder einer Risikoschwangerschaft von den Kassen übernommen. Allerdings besteht in diesem Fall das Risiko, eine Fehlgeburt auszulösen. Das ist  dank modernerer Instrumente und verbesserten Ultraschalls doch gesunken und liegt heute bei 0,1 bis 0,3 Prozent. 

Chorionzottenbiopsie

Die Entnahme von Mutterkuchen-Gewebe durch eine Punktion ist bereits ab der 12. Woche möglich und daher heute oft die Methode der Wahl nach einem auffälligen Ersttrimester-Screening. Chromosomen-Störungen werden ebenfalls zu fast 100 Prozent zuverlässig diagnostiziert. Fehlgeburts-Risiko:  0,1 bis 0,3 Prozent. Kosten: Kassenleistung bei Risikoschwangerschaften und auffälligen Vorbefunden.

Diese Störungen können bereits im Mutterleib behandelt werden

Behandlungen möglich

Das Down Syndrom steht häufig im Fokus der Diskussionen um die Pränatalmedizin. Dabei werden andere Störungen zum Teil häufiger diagnostiziert und können anders als die Trisomie 21 im Mutterleib behandelt werden:

  • Offener Rücken

Spina bifida, eine Fehlbildung des Neuralrohrs, nach dem Herzfehler die zweithäufigste Diagnose beim ungeborenen Kind und nach Ansicht von Christoph Berg, dem Leiter des Bereiches für Pränatale Medizin an der Uniklinik Köln, ein besonders stigmatisiertes Krankheitsbild. „95 Prozent der Betroffenen beenden die Schwangerschaft“, sagt er. „Das ist die tödlichste Diagnose, die wir stellen können, obwohl die Krankheit nicht tödlich ist.“  Die Kinder seien körperbehindert, sehr oft auf den Rollstuhl angewiesen, aber nur selten geistig beeinträchtigt. Bei einer Operation im Mutterleib wird das Kind entweder über einen kleinen Schnitt in der Gebärmutter neurochirurgisch versorgt, oder es wird über eine Schlüsselloch-OP eine Goretex-Auflage auf der offenen Stelle angebracht. Beides kann die Schwere der Krankheit abmildern.

  • Herzfehler 

Wenige ausgewählte Herzfehler sind einer vorgeburtlichen Behandlung zugängig. Insbesondere Verengungen der Herzklappen können im Mutterleib aufgedehnt werden. Aber auch ohne OP im Mutterleib sind die Überlebens- und Heilungschancen deutlich verbessert, wenn der Herzfehler bekannt ist und Vorbereitungen für die Behandlung sofort nach der Entbindung getroffen werden können.

  • Verengter Harnausgang

Megazystis, der Urin kann nicht richtig abfließen, was bei den meist betroffenen Jungs unbehandelt zu einer unwiderruflichen Schädigung der Nieren führen würde. Es kann jedoch schon ab der zwölften Woche ein Röhrchen in die Harnblase eingesetzt werden. Die Nierenfunktion bleibt oft bis zur Geburt erhalten. Ist die Enge der Harnröhre das einzige Problem, ist nach der Geburt noch eine kleine Operation am Penis nötig und die Kinder sind gesund.

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Passiert, wenn sie einen gemeinsamen Mutterkuchen teilen und kann behoben werden,  indem per Laser die Gefäßverbindungen zwischen ihnen gekappt werden. Das ist weltweit der am häufigsten im Mutterleib durchgeführte operative Eingriff.

  • Zwerchfellhernie

Ein Teil des Darms und teilweise auch Milz oder Leber gelangen durch ein Loch im Zwerchfell in den Brustraum und stören die Entwicklung der Lunge. Ein Ballon, der für vier Wochen in die Luftröhre des Kindes eingeführt wird, hilft der Lunge, sich zu entfalten und schneller auszureifen. (sro)

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