„dementia + art“Aus der Versunkenheit auftauchen

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Einfühlsam und mit einfachen Fragen versucht Jochen Schmauck-Langer (M., kniend) Demenzerkrankten im Kölner Wallraf-Richartz-Museum einen Zugang zu dem Werk „Rasenbleiche“ von Max Liebermann zu ermöglichen. (Foto: privat)

Einfühlsam und mit einfachen Fragen versucht Jochen Schmauck-Langer (M., kniend) Demenzerkrankten im Kölner Wallraf-Richartz-Museum einen Zugang zu dem Werk „Rasenbleiche“ von Max Liebermann zu ermöglichen. (Foto: privat)

Köln – Zu sehen ist ein Werk von Max Liebermann. „Rasenbleiche“ lautet der Titel. Entstanden ist es 1882 und es gilt als eines der Meisterwerke des deutschen Impressionisten. Doch kunsthistorische Details sind bei dieser Führung durch das Kölner Wallraf-Richartz-Museum nicht von Belang.  Es geht um das Empfinden, um das, was auf dem Bild geschieht: Frauen legen ihre Wäschen aus, um sie zu bleichen. Eine Tätigkeit, die etwas anrührt bei den Betrachtern des Bildes. Ein Teil der kleinen Gruppe, die das Museum besucht, sitzt im Rollstuhl und alle leiden sie unter Demenz. Und sie alle gehen ins Museum. Aber anders. Die Kunsterfahrung erfolgt hier nicht kognitiv, also verstandesgemäß, sondern emotional. „Bei Demenzerkrankten braucht es besondere Formen der Vermittlung“, erläutert Jochen Schmauck-Langer vom Verein  „dementia + art“. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, Älteren und vor allem Demenzerkrankten kulturelle Teilhabe zu ermöglichen.

Zusammen mit dem Museumsdienst Köln gibt es diese Art des Kunsterlebens seit geraumer Zeit. Mit Erfolg und bundesweit durchaus mit Vorbildcharakter,  wie  Dr. Matthias Hamann, Direktor des Museumsdienstes, betont. Wie aber kann eine Führung für Demenzerkrankte funktionieren?  Zurück also zu Liebermann.  Die Szenerie des Wäschebleichens auf grünem Rasen  weckt  bei manchen frühe Erlebnisse auf. Schmauck-Langer, der sich als Kulturgeragoge und Kunstvermittler bezeichnet,  fragt immer in die Runde nach den Gefühlen, die ein Bild auslöst, oder danach, was denn eigentlich zu sehen ist. In diesem Fall erzählte eine ältere Teilnehmerin, wie sie mit der Mutter und dem Leiterwagen voller Wäsche zu den Poller Wiesen im rechtsrheinischen Köln unterwegs war.     Immer  ist diese Art, sich einem Werk zu nähern, mit Musik  unterlegt. Beim Betrachten von Liebermanns „Rasenbleiche“ erklingt ein Werk von Mozart, in dem auch Vogelstimmen imitiert werden. Sie könnten aus dem Geäst der Bäume auf dem Bild stammen. Geht es in das Kölner Stadtmuseum und dort „ins alte Köln“, begleitet ein Akkordeon-Spieler die Gruppe mit bekannten kölschen Liedern. Kunst soll, so der Ansatz, mit möglichst vielen Sinnen erfahren werden.

Das dritte Kölner Museum, in das derzeit solche Führungen neben dem Stadtmuseum und dem Wallraf-Richartz-Museum gehen, ist das Museum für Angewandte Kunst.            Denn neben der gezielten Auswahl der Werke, in denen die Besucher möglichst einen Teil ihrer persönlichen Geschichte wiederfinden können, ist die Barrierefreiheit wesentliche Voraussetzung. Abmessungen, Wege und Toiletten müssen rollstuhltauglich sein. Darauf weist Hamann hin. Die Vorbereitungen der Führungen, auch die Schulung des Personals – ein Teil der Führungen wird auch vom Museumsdienst betreut – kosten natürlich  Geld. Die Altenhilfe unterstützt daher das Projekt. Als nächstes sollen auch Besuche des Museums Ludwig angeboten werden. Schmauck-Langer ist sich sicher, dass diese Herangehensweise auch bei abstrakter Kunst funktioniert.

Einfach eine schöne Zeit

Ziel dieser Führungen sei es nicht, die Krankheit zurückzudrängen, sagt Schmack-Langer, der kunsthistorisch bewandert ist und jahrelange Erfahrung mit Demenzkranken hat. Es gehe um den Moment, um das aktuelle Erleben. „Es geht um eine schöne Zeit.“  Anliegen sei es,  dass die Teilnehmer möglichst aus ihrer Versunkenheit auftauchen –  und sei es nur für die Dauer des Betrachten eines Bildes. Und mitunter  ist ein solcher Besuch auch für das Begleitpersonal eine Entdeckungsreise. Es komme vor, dass sie Dinge von den Erkrankten hören,  die ihnen nicht bekannt waren.

Schlusspunkt der meisten Führungen ist das unmittelbare Erleben von kreativer Schaffenskraft, wenn die Erkrankten in einer der Werkstätten selbst Hand anlegen können. Und zuweilen beendet Schmauck-Langer den Kunstnachmittag, wenn es sich anbietet, mit diesen Worten: „Ich zeige Ihnen jetzt das schönste Bild des Museums.“  Es ist dann ein Fenster, durch das man den Dom sehen kann.  Und die Kölner Kathedrale weckt bei vielen  Demenzerkrankten schöne Erinnerungen an gestern und vorgestern.

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