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„Leser*innen“Kommt das Gendersternchen in den Duden?

Lesezeit 4 Minuten
Duden Kahtrin Kunkel Razum

Will empfehlen, nicht vorschreiben: Die Leiterin der Dudenredaktion Kathrin Kunkel-Razum.

Berlin/Wien – Kommt jetzt das Gendersternchen in den Duden? Es klang nach nicht weniger als einem Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Sprache, als es in den vergangenen Wochen in Medien und sozialen Netzwerken um diese Frage ging. Anlass für die Debatten sind Beratungen des Rats für deutsche Rechtschreibung in Wien über geschlechtergerechte Schreibung. Macht sich die Dudenredaktion also bereits Gedanken, wo das Sternchen in der alphabetischen Logik des Nachschlagewerks unterzubringen wäre?

Die Leiterin der Dudenredaktion, Kathrin Kunkel-Razum, verneint. In dem gelben Wälzer könne eine Empfehlung aufgenommen werden, mit welchen sprachlichen Mitteln das Gendern realisiert werden kann. Nur eine Empfehlung, keine Vorschrift, das betont sie. Wohl auch vor dem Hintergrund, dass ein Duden-Ratgeber von Herbst 2017 über das Gendern den Autorinnen böse Zuschriften und Kommentare einbrachte. Von verhunzter „Muttersprache“ und „Sprachpolizei“ war die Rede. „Ist das noch Deutsch?“ titelte die „Die Zeit“ kürzlich mit Blick auf die Anrede „Liebe Leser*innen“.

Letztlich wird die Debatte auch dadurch emotional, dass fast jeder eine Meinung dazu hat. Sprechen und schreiben, daran führt kein Weg vorbei. Lange störte sich kaum jemand daran, wenn etwa beim Begriff „Schüler“ Mädchen mitgemeint waren. Doch das ändert sich. Frauen seien in der deutschen Sprache besser versteckt als unter einer Burka, ist ein Vergleich, mit dem die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch gerne die Verhältnisse kritisiert.

Sprache beeinflusst Wahrnehmung

Inzwischen geht es aber um mehr als die sprachliche Berücksichtigung von Frauen. Hinzu kommen jene Menschen, die sich weder als Frau noch als Mann begreifen. Sie können etwa mit dem Sternchen sprachlich sichtbar gemacht werden. Oder mit Bezeichnungen wie „Professx“ – ein Vorschlag, der von Lann Hornscheidt an der Humboldt-Universität Berlin ausging. „Alle Sprachänderungen haben versucht, Frauen sichtbarer zu machen. Das X soll einen Schritt weiter gehen und Geschlechtsvorstellungen durchkreuzen, auch bildlich“, so Hornscheidt.

Bei allem Spott und aller Kritik: Studien haben gezeigt, wie sehr Sprache die Wahrnehmung von Menschen prägt und wie sehr sie ausgrenzen kann. Nicht nur bei einem Begriff wie „Astronauten“ stellen sich wohl die meisten Menschen Männer vor. Mit Folgen für Jungen und Mädchen, die gewisse Berufe für erreichbar halten – oder eben nicht.

In der Sache entschied sich der Rat für deutsche Rechtschreibung vorerst gegen eine Regeländerung für geschlechtergerechtes Schreiben. Aus der bisherigen Beobachtung des Schreibgebrauchs ergebe sich noch keine klare Präferenz, hieß es am Freitag in Wien.

Übrigens: Mit dem Ergänzen der weiblichen Form als eigenes Stichwort zu allen männlichen Personenbeschreibungen hat der Duden nach Angaben von Kathrin Kunkel-Razum bereits vor etwa 20 Jahren begonnen. (dpa)

PRO

Sprachentwicklung, die mit der Zeit geht

von Tina Stommel

Nein, Sie müssen nicht „Studentsternchenin“ sagen, um in Zukunft gendergerecht Deutsch zu sprechen. Sie müssen auch nicht zwischen „Student“ und „in“ kurz die Luft anhalten. Oder versuchen, „Studentx“ so auszusprechen, dass Sie nicht nach „Asterix-&-Obelix“-Comics klingen oder vom „x“ einen Hustenanfall kriegen.

Sie müssen – nichts. Sie können aber mal darüber nachdenken, wie es ohne großartiges gesellschaftliches Grundrauschen dazu kam, dass alle deutschen Hochschulen heute entweder von „Studierenden“ oder von „Studentinnen und Studenten“ sprechen. Das kam so: Es wurde von den Hochschulen entschieden. Punkt. Dass ist keine sprachliche Maßregelung, sondern ein Zeichen von vielen, dass Sprache sich durch die, mit und in der Gesellschaft verändert. Neu ist, dass das rein Maskuline als Verbindung zweier (aller) Geschlechter nicht mehr ausreichen sollte.

Wer jetzt denkt: „So weit kommt's noch!“, oder: „Wer braucht das? Haben wir nicht andere Probleme?“, dem antworte ich: Ja, so weit kommt's, weil die maskuline Sprachdenke von vorgestern ist. Wir alle, die wir sein wollen, wer wir sind (auch schwul oder Transgender), brauchen das. Ja, wir haben noch andere Probleme. Lösen wir sie! Auch die kleinen, (für manche) unwichtigen, bitte. So weit sollten wir sein.

Ihre Meinung an: dialog@kr-redaktion.de

CONTRA

Eine überflüssige Rechtschreibdebatte

von Raimund Neuss

Als die alten Indogerman*innen drei Genera – männlich, weiblich, neutral – erfanden, missachteten sie die Tatsache, dass es unter Menschen (Mensch*innen?) mindestens fünf Geschlechter gibt (Genderforscher*innen finden bestimmt noch mehr). Wahrscheinlich lag das daran, dass die Indogerman*innen keine gendergerecht mehrtürigen Toi-lettenanlagen kannten. Mindestens so sehr wie deren Konstrukteur*innen beschäftigt das Thema nun den „Rat für deutsche Rechtschreibung“. Dieses überflüssige Gremium hat seine Entscheidung vertagt und sich so für die nächsten Monate Beschäftigung gesichert.

Im Ernst: Wir haben uns daran gewöhnt, dass auch der größte Unfug in den Duden (die Dud*in? Namensgeber*in war ja ein Mann!) kommt, wenn er nur oft genug gemacht wird. Also bitte, solange man nicht mittun muss. Unerträglich wird es, wenn – das Fernziel der Antragsteller – ideologische Spielerei den amtlichen Sprachgebrauch prägen soll. Müssen am Ende Lehrer*innen fehlende Gendersternchen anmeckern?

Lieber nicht weiterdenken. Es reicht. Der Rat für deutsche Rechtschreibung möge sich mindestens hundert Jahre Zeit für sein Votum nehmen und dann auch sagen, welche Anrede an die Stelle von „Frau“ und „Herr“ treten soll. Genderkorrekte Briten haben schon eine Lösung: Mx.

Ihre Meinung an: dialog@kr-redaktion.de

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