Blutige ZwischenfälleWM-Fans in Russland leben gefährlich

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Fans Moskau

De Screenshot aus einem Handyvideo zeigt einen Taxifahrer (r), der wegläuft, nachdem er im Moskauer Stadtzentrum mehrere Passanten angefahren hat. 

Moskau – Nach dem Spiel gegen Island am Samstag waren drei argentinische Fans auf dem Rückweg in ihr Hostel, als aus dem fünften Stock eines Hauses an der Wassiljewskaja Straße ein nackter Mann auf sie herabstürzte. Der stand vorher nach Aussagen von Augenzeugen schimpfend im Fenster und verlor das Gleichgewicht. Der Unbekannte starb auf der Intensivstation, zwei der Argentinier landeten ebenfalls im Krankenhaus. Wie die Pressestelle der argentinischen Botschaft in Moskau mitteilte, ist einer von ihnen schwer verletzt und wird in die Heimat ausgeflogen.

Ein Unfall, so aberwitzig, als sei der Teufel zurückgekehrt, der in Michail Bulgakows mystischem Roman „Meister und Margarita“ von 1940 zur Zeit Stalins grausamen Schabernack mit den Bewohnern der Hauptstadt trieb.

Fan von Vordach gestoßen

Am ersten WM-Wochenende gab es mehrere Zwischenfälle, trotz eines enormen Sicherheitsaufgebots und obwohl die Gastfreundschaft und Friedfertigkeit der Moskauer allgemein beeindruckte.

Die Zeitung Moskowski Komsomoljez meldete, ein 26-jähriger Fan aus Nigeria sei am Samstag vom Vordach eines Hauses in der Brussilow-Straße gestoßen worden und habe sich beide Fersen gebrochen. Zu der Handgreiflichkeit mit Hausbewohnern sei es gekommen, weil der Nigerianer betrunken getanzt und gelärmt habe. Die Moskauer Polizei dementierte allerdings jegliche Gewalttätigkeit – der junge Mann sei aus eigener Unachtsamkeit heruntergefallen.

Am gleichen Abend scherte auf der Iljinka-Straße ein Taxi aus dem im Stau stehenden Verkehr aus und fuhr mit Schwung in die Menschenmenge auf dem Bürgersteig. Laut der Nachrichtenagentur Interfax wurden acht Menschen verletzt, darunter zwei Staatsbürger Mexikos. Am Steuer des Taxis saß ein 32-jähriger Kirgise, der zu fliehen versuchte, aber gefasst wurde. Die Moskauer Polizei eröffnete ein Verfahren wegen Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung. Und sie stellte ein Video ins Netz, wo der zerknirschte Kirgise erzählt, er sei nach nur drei Stunden Schlaf in den vergangenen 24 Stunden am Steuer eingenickt.

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Der Beamte, der ihn im Video verhört, fragt nicht nach möglichen Kontakten zu extremistischen Gruppen. Obwohl beim letzten schweren Terrorakt in Russland im April 2017, als bei einem Bombenanschlag in der Petersburger Metro 16 Menschen starben, der Selbstmordattentäter ebenfalls aus Kirgisistan stammte.

Ein „unangenehmer Zwischenfall“

„Die Behörden ignorieren die Version ,Terroranschlag’“, sagt Anwalt Polosow. „Sie haben den Regisseur Oleg Senzow zum Terroristen erklärt und zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl er nie etwas mit Terror zu tun hatte.“ Jetzt aber, während der WM, verbiete man sich jeden Terrorakt. „Die hat der Geheimdienst ja angeblich schon vorher alle vereitelt.“ Jedenfalls verharmlost Bürgermeister Sergei Sobjanin wohl, wenn er von „einem unangenehmen Zwischenfall“ twittert.

Andererseits beanspruchen bisher weder der „Islamische Staat“ noch andere Terrorgruppen das Ereignis für sich. In Moskau kamen von Januar bis November 2017 im Straßenverkehr 439 Menschen um. Die Raserunfälle sind manchmal kaum von Terroranschlägen zu unterscheiden.

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