Ein Leben ohne Arme und BeineJanis pfeift auf Beinfreiheit

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Janis

Janis McDavid

  • Ohne Arme und Beine zu leben, findet Janis McDavid gar nicht so unpraktisch. Wozu gibt es schließlich ein Smartphone und gute Freunde?
  • Doch das war nicht immer so einfach. Mit acht blickte er in den Spiegel und sah einen „Krüppel“. Doch beim Versuch laufen zu lernen, kam die Erkenntnis: Warum sein wie die anderen?
  • Seit Jahren ist er nun als Vortragsreisender, Buchautor und Motivator international unterwegs. Sein Anderssein hat er zum Geschäftsmodell gemacht. Unser Autor hat ihn in Potsdam getroffen.

Ein Vulkan, der blaue Funken sprüht – auf einer der 17 508 Inseln Indonesiens soll es so etwas geben. Janis McDavid hat davon jedenfalls gehört. Jetzt möchte er das auch selbst sehen. „Vulkane interessieren mich“, sagt der 27-Jährige, und dass für Reisen ein Großteil seines Geldes draufgehe. Für den Sommer hat McDavid deshalb schon mal einen Flug gebucht. „Das ist immer das Wichtigste. Dass man einen Flug hat. Dann muss man auch los. Dann ergibt sich der Rest ja fast von selbst.“ Wie der Vulkan heißt und wie man da genau hinkommt, will er demnächst mal im Internet recherchieren.

Einen Flug zu buchen, ohne das genaue Reiseziel zu kennen – das klingt nach einer ziemlich fixen Idee. Die ist es auch, denn der Flug ist bei einer Reise für Janis McDavid ehrlich gesagt eher das kleinste Problem. Die Welt ist auf den ersten Blick nicht gemacht für einen wie ihn – ohne Arme und Beine. Aber Probleme sind genau genommen nur noch nicht gefundene Lösungen.

Das Anderssein als Geschäftsmodell

Damit auch andere Leute das verinnerlichen, ist Janis McDavid seit Jahren als Vortragsreisender, Buchautor und Motivator international unterwegs. 340 Vorträge in sieben Ländern habe er schon gehalten, darunter auch mal am Bonner Landgericht, heißt es auf seiner Internetseite. Er hat sein Anderssein zum Geschäftsmodell erklärt. Von einem wie ihm lassen sich schließlich sogar notorische Pessimisten zu einem Lächeln bewegen. Denn wenn er das schafft, schaffen sie es auch.

Janis McDavid

Janis McDavid

Kürzlich war Janis McDavid zu Besuch in Potsdam. Ein Kongresshotel am Ufer des Templiner Sees, wo früher die Zeppeline in die Luft gingen. Deutschlands Olympioniken trainieren gleich nebenan. Im großen Saal beraten 400 Beamte und Bahnmitarbeiter auf Einladung der bundeseigenen Unfallversicherung, wie die Arbeit der Zukunft noch sicherer und gesünder werden kann.

„Spannendes Thema“, findet McDavid und ist schon Stunden vor seinem eigenen Auftritt mit dem speziell ausgestatteten VW-Kombi angereist. Im weinroten Anzug – eine Maßfertigung – und weißem Hemd kommt er ins Hotel-Foyer gerollt, kurvt wie ein Rennfahrer zwischen mehreren Stehtischen und unachtsamen Kellnern hindurch und reicht den Oberarm zur Begrüßung.

Ein Meister der Kommunikation

Das ist – seien wir ehrlich – ein Moment der Wahrheit. Nur dünne Haut und wenig Fleisch umgeben den dünnen Knochen. Man denkt unweigerlich an Hänsel und die Hexe und möchte auf gar keinen Fall etwas kaputt machen. Doch McDavid macht es seinen Mitmenschen leicht. Er ist ein Meister der Kommunikation. Unbekümmert quatscht er sich und sein Gegenüber über die Schrecksekunde hinweg. Denn ihm zuzuhören, ist ein echtes Vergnügen.

1991 ist er geboren worden, in Hamburg. Doch mit seinen neuen Eltern – das Wort Pflegefamilie mag er nicht – ging es schon bald mitten in den Pott, nach Bochum. Da bekam der Junge mit 19 Monaten seinen ersten weinroten Rollstuhl. „Wenn meine Brüder mit den Eltern Schuhe kaufen gingen, durfte ich in der Zeit Eis essen“, scherzt er und ergänzt: „Das war auch billiger.“

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Janis McDavid geht inzwischen völlig unbefangen mit seinem Körper um.

Im Kindergarten und anfangs auch in der Waldorfschule habe er sich für einen ganz normalen Jungen gehalten. Die Eltern hätten immer so wenig Aufhebens darum gemacht wie möglich. Die Familie wohnte in einem Haus mit fünf Stufen vor dem Eingang und einer Wendeltreppe ins Kinderzimmer. Da brauchte es schon eine Menge Körperbeherrschung, um ins Bett zu gelangen. Aber weil es nicht großartig hinterfragt und thematisiert wurde, ging es auch.

Mit acht in den Spiegel geblickt und einen Krüppel gesehen

Irgendwann kam natürlich doch der Moment vorm Spiegel. „Ich war acht. Es war ein Morgen. Wir waren spät dran für die Schule und nichts klappte“, erinnert sich Janis McDavid. Zufällig habe er in diesem frustrierenden Moment in den Spiegel am Kleiderschrank geblickt – und einen Krüppel gesehen. „Ich wollte so nicht sein.“ Das Mantra wiederholte er dann für mindestens acht weitere Jahre. Es war ein Kampf gegen den eigenen Körper – und gegen sich selbst. Die Schulfeste seiner Geschwister mied er aus Angst vor dummen Blicken. In der Pubertät wurde es natürlich nicht besser. Im Freibad ließ er trotzig den Bügel am Rolli offen, der ihn notfalls vor dem Herausfallen schützt. „Sieht doch blöd aus“, findet er noch heute, trotz integriertem Handy- und Eishörnchenhalter. Damals kippte er um, stürzte schwer, schlug sich den Rücken auf. Ein anderes Mal endete die Eitelkeit mit einer Gehirnerschütterung. In einem Urlaub an der holländischen See eskalierte dann der seelische Schmerz. „Ich wollte endlich mal Zeit für mich haben, allein am Strand herumspazieren, Schokolade essen.“ Süßigkeiten galten im Elternhaus als pures Gift. Und wer keine Arme hat, der kann nicht mal einen Schokoriegel unauffällig mitgehen lassen. In diesem Moment der völligen Niedergeschlagenheit beschloss Janis McDavid, künftig zu laufen.

Beinprothesen wurden bestellt. Mit langen Hosen und langärmeligem Hemd getarnt würde er ganz natürlich durch die Welt spazieren. „So habe ich mir das damals vorgestellt“, erinnert er sich. Im Normalmaß, das hat ein Arzt mal anhand des Rumpfes berechnet, wäre McDavid wohl 1,90 Meter groß geworden. Entsprechend storchenbeinig waren die Prothesen – und entsprechend wackelig für die kurzen Beinansätze. „Mir ist bis heute schleierhaft, wie Sie sich auf den Beinen halten“, sagt der Rollstuhlfahrer.

Warum sein wie alle anderen?

Es lief also nicht. Doch irgendwie ist dabei wohl ein Knoten geplatzt – und Janis McDavid musste über sich selbst lachen und über seinen Versuch, unbedingt so sein zu wollen wie andere. Nach dem Platzen des Knotens hat er sich mit sich selbst arrangiert. Das Abi gemacht. Geschichte und Mathematik waren seine Leistungskurse in der Oberstufe. Keine Luschenfächer wie Sport! An der Universität Witten/Herdecke schrieb er sich für Wirtschaftswissenschaften ein und machte sich wenig später als Unternehmer und Motivationstrainer selbstständig. Heute beschäftigt er drei Mitarbeiter auf Honorarbasis. Dass er darüber bislang den Bachelor versäumte, empfindet McDavid als ärgerlich.

Jetzt geht's erst mal zum Mittagessen im Potsdamer Konferenzhotel. Auch ein Motivator braucht schließlich Kalorien. McDavid lässt sich einen kleinen Salatteller zusammenstellen. Aber nicht zu viel. Wer nur 30 Kilo wiegt, muss auf seine Linie achten. Möhrenraspel, Gurken, Endivien. Dazu Mineralwasser. Hinterher noch ein halbes Stück Käsekuchen als Nachtisch. Das Glas hebt McDavid mit den Zähnen an und schluckt gleichzeitig. Es mag vielleicht etwas lustig aussehen, aber dann geht nichts daneben.

Der Rolli wird bei App gesteuert

Und nebenbei hat er noch viel zu erzählen. „Ich bin eine echte Quasselstrippe. Das ist mein großes Talent“, wehrt er entschuldigend ab. Nebenbei wischt er mit dem Oberarm dezent übers Smartphone und schaut nach neuen Mails. Per App steuert er auch seinen Hightech-Rolli und die Hintertür seines Autos mit der automatisch ausfahrenden Rampe. Nur beim Tanken braucht er Hilfe. „Aber da sagt eigentlich nie jemand nein.“

Nach dem Mittagessen folgt dann sein Auftritt bei der Konferenz. Der Veranstalter hat eigens eine fünf Meter lange mobile Rampe bauen lassen, damit McDavid auf die Bühne rollen kann. Inklusion ist wichtig. Die Zuhörer sind von Berufs wegen einiges gewöhnt. Sie müssen immer wieder Kollegen mit Handicap nach Unfall oder Krankheit integrieren. Mit flotten Sprüchen lassen die sich nicht so schnell beeindrucken.

Dann gleitet McDavid aus dem Rolli auf die Bühne, hopst ein paar Schritte, erzählt unbekümmert weiter. „Ein starker Körper – und ein wacher Geist“, raunt ein Psychologe in der ersten Reihe an-
erkennend.

Das Reisen als großes Hobby

McDavid ist jetzt bei seinen Reisen 
angekommen. „Meine große Leidenschaft“, sagt er. Für andere Hobbys fehle ihm schlichtweg die Zeit, bei all den Terminanfragen. Im vergangenen Jahr war er mit zwei Freunden, beides Triathleten, als „Rucksack-Tourist“ in Peru. Er genießt diese Pointe sichtlich. „Ich saß drin im Rucksack“, sagt er schließlich mit schelmischem Grinsen. Den Verkäufer im Outdoor-Laden hatte das Trio zuvor mit der Frage überrascht, ob das vorgeschlagene Rucksackmodell denn auch hinreichend gemütlich sei für fünf Tage Inka-Trail bis Machu Pichu.

Das war es tatsächlich – gut gepolstert mit diversen Kissen. Bei einem Sturz während der Tour schlug sich nur der Rucksackträger die Beine auf. „Aber meine Freunde sind vielleicht noch verrückter als ich“, versichert McDavid. „Die nahmen das mit Humor.“ Trotzdem hat er die beiden Begleiter mitunter auch ein wenig bedauert. Nicht beim Wandern natürlich – aber während des Langstreckenflugs von Deutschland nach Peru. Wo sollten die Jungs nur hin mit ihren langen Beinen bei den engen Sitzen? Um Beinfreiheit in der Touristenklasse müsse er sich wenigstens keine Gedanken machen, scherzt Janis.

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