Globale ErwärmungWie das Schnee-Chaos mit dem Klimawandel zusammenhängt

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Österreich, Kirchdorf An Der Krems: Feuerwehrkräfte räumen Schnee vom Dach eines Hauses.

Und wieder ein Wetterextrem. Diesmal in Weiß: meterhoher Schnee binnen Tagen, hohes Lawinenrisiko. TV-Sondersendungen erreichen Rekord-Einschaltquoten, während Wetter-Onlineportale Fotos veröffentlichen, die das Schneechaos für Tiefländer begreifbar machen. Mit zarten Winterflockenträumen hat das nichts mehr gemein. Aber hatten die Klimaforscher nicht das Gegenteil vorhergesagt? Dass die globale Erwärmung die Schneeflächen weltweit schrumpfen lässt? Eine Frage, mit der gelegentlich auch US-Präsident Donald Trump twitternd provoziert und kokettiert, wenn Washington im Frost erstarrt.

Schnee

Bayern, Schleching: Helfer der DLRG-Bayern räumen die Schneemassen von einem Hausdach. F

Wetterextreme nehmen global zu, und die Menschen fragen: „Ist das noch Wetter – oder schon der Klimawandel?“ Zwar haben die immer weiter verfeinerten Klimamodelle mehr Dürren und Überflutungen vorhergesagt, doch die Forscher scheuten sich jahrelang, gegen die wissenschaftliche Correctness zu verstoßen, wonach gesicherte Aussagen erst nach 30 Jahren Wetterstatistik erlaubt sind. Erst dann sei eine Klimaänderung belegt.

Der lange und heiße Sommer scheint nachzuwirken

Ein schwieriges Unterfangen, denn zu viel Schnee, Regen oder Trockenheit hatte die launische Wetterküche schon immer im Programm. Doch weitere drei Jahrzehnte warten, in denen der naheliegende Verdacht zur wissenschaftlichen Gewissheit reift, wäre verheerend – und die Lage beim vielbeschworenen, aber tatenlosen Klimaschutz noch desaströser. Deshalb wagen sich Wissenschaftler zunehmend aus ihrem Correctness-Käfig und erklären Zusammenhänge, die dem Laienpublikum zuweilen paradox erscheinen. Denn Schnee gilt seit Urzeiten als Inbegriff für Winter und Kälte. Doch diesmal scheint der extrem lange und warme Sommer nachzuwirken. Das Meer ist im Januar noch viel zu warm und erleichtert die Verdunstung.

„Wir hatten 2018 das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, und wir hatten ab April neun Monate, die überdurchschnittlich warm waren“, sagt Peter Hoffmann. Der Meteorologe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (Pik) verweist auf die „massive Nordströmung“, die über die Nordsee weht, die für die Jahreszeit „relativ warm“ sei.

Die weltweite Häufung von Wetteranomalien, die fortschreitende Erforschung der Zusammenhänge und insbesondere der vergangene Nordhalbkugel-Sommer ließ die Forscher bei Wetteranalysen zuletzt immer häufiger das Wort „klimabedingt“ aussprechen. Ja, das sei sehr wahrscheinlich der Fingerabdruck der menschengemachten Erderwärmung. Der Bürger lernte, dass es Fernwirkungen gibt, etwa von der Arktis nach Mitteleuropa; dass in der Höhe ein Jetstream bläst, der Hochs und Tiefs steuert; dass wärmere Meere die Verdunstung verstärken und wärmere Luftmassen mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Ein wärmerer Luftschwamm hat gewissermaßen mehr Poren. Faustregel: Pro ein Grad mehr kann Luft sieben Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Deshalb die vielen Sturzfluten im Spätsommer 2018 in Europa – auf Mallorca, in Italien und Frankreich. In Europa sind es jedoch schon mehr als ein Grad – im Durchschnitt – Erwärmung, was rund zehn Prozent mehr Feuchtigkeit in der Luft bedeutet.

Stehendes Wetter wie schon im Sommer

Aber mehr Schnee? Was sich gerade in den Nordalpen ereignet, heißt im Sommer Starkregen, bringt sintflutartige Überschwemmungen und löst Erdrutsche aus. Regentropfen im Sommer, Schneeflocken im Winter: Wie die Feuchtigkeit fällt, ist nur eine Frage der Jahreszeit und der Lufttemperatur. Und wie im Sommer verändert sich die Witterung gerade nicht. Schon im Sommer sprachen Meteorologen von „stehendem Wetter“, das den steten Fluss der wechselnden Hochs und Tiefs in Mitteleuropa stoppt. Gerade diese Blockaden sind letztlich eine Fernwirkung der beschleunigten Arktis-Erwärmung.

Das Verhältnis der Alpenländler zum Schnee ähnelt indes einer Achterbahnfahrt: Am runden Tisch einer Mehrgenerationen-Familie, die ein Wintersporthotel im Hochgebirge betreibt, wäre Erstaunliches zu hören. Es ist knapp 100 Jahre her, da nannten alpine Selbstversorgerbauern das geschichtete Flockenweiß, wenn es sich stumm über Felder und Häuser legte, ein „Leichentuch“. Als der Ski-Fun in die Berge einzog und der Lift den Pflug und das Hotel den Bauernhof ersetzte, wurde aus dem „Leichentuch“ ein Schatz, der den Wintertourismus gebar.

Mehrere Jahrzehnte reichten die Einnahmen für Hotel- und Liftkredite. Dann warben immer mehr Orte mit „Schneesicherheit“, weil die weiße Pracht sich alpenweit zunehmend als unzuverlässiger Geselle entpuppte. Erst im Sauerland und in anderen Mittelgebirgen, später in den mittleren Lagen der Schweiz und Österreichs.

In tieferen Alpenlagen gießt es wie aus Kannen

Die Erfindung von Schneekanonen brachte die Kunstschnee-Branche hervor. Und provozierte neue Kredite, um die alten Hotel- und Liftkredite abzahlen zu können. Doch der investitionsintensive Aufstand gegen die menschengemachte Erwärmung kann nicht zaubern. Ist die Luft zu warm, versagen die Schneekanonen. Und nun das. Zu viel natürlicher Schnee.

Doch der ist kaum von hoher Wintersportgüte, sondern eher von Rheinland-Qualität: Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt fallen keine mit viel Luft gefüllten Flocken, sondern sogenannter Pappschnee. Der ist schon schwer, wenn er landet – und wird durch Tauprozesse noch schwerer. Das macht die Lage in Bayern und einigen Regionen in Österreich auch so gefährlich. In tieferen Alpenlagen gießt es indes wie aus Kannen. Klassischer Steigungsregen. Weiter höher, ein paar Grad kälter, schneit es – immer weiter. Der Begriff ist noch nicht erfunden, aber bald werden die Leute von „Steigungsschnee“ sprechen.

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