Kontrollierter KonsumZum Frühstück ein Bier im Seniorenheim

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Alkoholismus Seniorenheim 261119

Pflegebedürftige Menschen finden in diesem Seniorenheim ein Zuhause.

  • Es besteht eine Hohe Nachfrage nach Plätzen auf der Suchtstation
  • Eine Erweiterung der Station auf medikament- und drogenabhängige ist in Plannung
  • Bis zu vier Jahre bleiben Patienten bis sie wieder einen geregelten Tagesablauf haben

Düsseldorf – Ein Rosenkranz hängt an der Bremse von Harry Grewes Rollator. An Gott glaubt der 65-Jährige aber nicht. Nicht mehr. „Da glaub‘ ich lieber an mein Bier“, sagt er und setzt sich auf seinen Sessel in dem Einzelzimmer auf der Suchtstation im Caritas-Altenzentrum in Düsseldorf. Neben Grewes Stuhl stehen zwei leere Flaschen. Das Zimmer ist aufgeräumt – Aschenbecher, Pflegeprodukte, ein kleiner Strauß Blumen. Alles an seinem Platz. Auch ein Kochbuch liegt auf der Kommode: „Fitnessküche - Köstlich leicht und herrlich frisch.“

Mit dem Trinken hat er angefangen, als das Jüngste seiner drei Kinder, sein zehnjähriger Sohn starb. Grewe war damals knapp 30 Jahre alt. Bei der Erinnerung daran verstummt die Stimme des Seniors, er wischt sich Tränen aus den Augen. Der gebürtige Neusser ist einer von 32 Bewohnern der Suchtstation „Johannes“ im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk.

Hohe Nachfrage nach Plätzen auf der Suchtstation

Pflegebedürftige Menschen finden dort ein Zuhause. „Es ist eine Einrichtung für Menschen, die in der Gesellschaft keine Lobby haben und die dringend Hilfe benötigen“, sagt Einrichtungsleiter Tino Gaberle. Erst im Oktober  wurde der neue Anbau der Suchtstation von Oberbürgermeister Thomas Geisel eröffnet. „Der Bedarf an solchen Plätzen ist groß“, sagt Gaberle. Bei der Eröffnung vor zehn Jahren gab es lediglich 15 Plätze, auch heute sei die Warteliste noch lang. Zahlen und repräsentative Erhebungen darüber, wie viele Menschen im Alter zu viel Alkohol konsumieren, gibt es kaum. Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) haben in Deutschland aber schätzungsweise 400.000 ältere Menschen ein Alkoholproblem.

In der Suchtstation des Altenzentrums in Düsseldorf sei der Anteil der sozialen Betreuung deutlich höher als in den anderen Bereichen des Seniorenheims. Es werden mehr Gespräche geführt, auch mit speziell geschulten Therapeuten. Die emotionale Stabilisierung und der Erhalt von sozialen Kontakten seien Schwerpunkte auf der Suchtstation. „Bei der Körperpflege brauchen die Bewohner häufig eine Anleitung dazu“, sagt Gaberle.

In der Regel beträgt die Dauer des Aufenthaltes rund vier Jahre

Viele der älteren alkoholkranken Menschen kämen in einem schlechten Allgemeinzustand auf die Station. „Wieder einen geregelten Tagesablauf zu haben, dabei wird ihnen hier geholfen.“ Dazu gehören zum Beispiel auch regelmäßige Mahlzeiten. Alkoholkranke Menschen bräuchten davon mehr, teils sechs bis sieben Mahlzeiten am Tag.

Harry Grewes ist einer der Bewohner, die am längsten auf der Station wohnen. Normalerweise liegt die Dauer des Aufenthalts bei rund vier Jahren. „Nach Problemen mit dem Herzen kam ich in Kur und danach direkt hierhin“, sagt Grewe. Das war vor rund zehn Jahren. „Aber mir geht es gut, sehr gut“. Jeden Tag bekommt er sein Bier ausgehändigt. Kontrollierten Konsum nennt man das. „Wir streben zwar eine Abstinenz der Menschen an, diese ist aber keine Voraussetzung“, sagt Gaberle. Die Bewohner der Suchtstation erhalten in Absprache mit Ärzten eine festgelegte Menge an Alkohol.

Geplante Erweiterung der Suchtstation auf Drogenabhängige

Ausgegeben werden die Getränke genauso kontrolliert wie verschriebene Tabletten. Im Vergleich zu normalen Stationen im Seniorenheim ist das Alter der Bewohner der Suchtstation deutlich geringer. „Im Schnitt sind sie 70 Jahre alt, im Rest des Hauses hingegen 80 Jahre“, sagt Gaberle. Das liege vor allem daran, dass die Bewohner durch den teilweise jahrelangen Alkoholkonsum körperlich schneller altern, als abstinente Menschen. Mit der Erweiterung der Suchtstation sollen nun auch medikamenten- und drogenabhängige Menschen betreut werden.

Drei Flaschen. Das ist die Menge, die Grewe über den Tag verteilt trinken darf. „Ich brauche das nicht mehr. Früher schon, heute aber nicht“, sagt Grewe. Er könne auch mal zwei Tage gar nichts trinken. Manchmal müsse es aber auch mal eine Flasche mehr sein. Die genehmige er sich dann draußen mit seinen Freunden am Kiosk. Von der Einrichtungsleitung wird dieser sogenannte „Beikonsum“ eigentlich nicht geduldet. „Es ist aber keine geschlossene Station, und natürlich kann sich jeder draußen frei bewegen“, sagt Gaberle. Es könne immer mal vorkommen, dass Bewohner in Krisensituationen mehr trinken.

Meistens traurige Erlebnisse als Auslöser der Sucht

Das können Todestage oder andere schmerzhafte Erinnerungen sein. „Wir notieren solche kritischen Tage und versuchen, die Bewohner auf die Momente vorzubereiten“, sagt der Einrichtungsleiter. Grewe arbeitet daran diese Krisen zu vermeiden. In seinem Zimmer finden sich keine Familienbilder mehr. Er hat alle abgehängt, zu quälend sei für ihn die Erinnerung daran. Mit dem Tod seines jüngsten Kindes endete Grewes Ehe, und die Alkoholsucht begann. Drei bis fünf Flaschen Wein habe er früher getrunken. „Zum Frühstück die erste“, sagt Grewe. Mit 40 Jahren verlor er seine gut bezahlte Arbeit.

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„Das Haus konnte ich dann irgendwann nicht mehr halten.“ So sei eins zum anderen gekommen. Einen Entzug habe er erfolgreich durchgestanden und trotzdem mehrere Jahre auf der Straße gelebt und dort mehr getrunken als je zuvor. Die Jahreszahlen bringt der 65-Jährige manchmal durcheinander. Aber so wichtig sei das nicht. „Ich lebe im Hier und Jetzt“. Und nun gehe es ihm gut. Immer samstags koche er für sich.

Dann ist nämlich Suppentag im Altenzentrum, da stehe ihm nicht so der Sinn nach. Er mag lieber Nudeln oder ein Stück Fleisch. Von seiner Familie komme ihn hin und wieder sein Sohn besuchen. Grewe sagt, er sei zufrieden. Nur von Gott sei er enttäuscht. „Er hat mir mein Kind genommen und danach auch nicht geholfen.“ An dem Rosenkranz hängt er trotzdem noch, den habe er schon über 20 Jahre. Und einen Wunsch habe Grewe für seine Zukunft: „Dass ich gesund bleibe“.

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