Mord an SusannaAli B. will im Alkohol- und Tablettenrausch getötet haben

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Blumen liegen neben und auf einem Foto in der Nähe des Leichenfundortes von Susanna F. Die 14-jährige wurde Opfer eines Sexualdeliktes.

Mainz/Erbil – Der Tatverdächtige im Fall Susanna ist auf dem Weg nach Deutschland. Ali B. habe die nordirakische Stadt am Samstagnachmittag in einer Maschine nach Frankfurt am Main verlassen, hieß es aus Kreisen des Internationalen Flughafens. Eine offizielle Bestätigung der kurdischen Sicherheitsbehörden im Nordirak und der Ermittler in Deutschland gab es zunächst nicht. Kurdischen Ermittlern zufolge hat Ali B. die Tötung des 14-jährigen Mädchens aus Mainz gestanden.

Die Maschine nach Frankfurt hob nach Flughafenangaben am Nachmittag ab, in Frankfurt sollte sie gegen 20.30 Uhr eintreffen. Laut einem Bericht der «Bild»-Zeitung reiste Bundespolizei-Chef Dieter Romann selbst in den Irak, um Ali B. abzuholen. Ein Bundespolizei-Sprecher sagte dazu auf Anfrage, diese Information könne er weder bestätigen noch dementieren.

Vernehmung noch in der Nacht

Ali B. soll nach dpa-Informationen gleich nach seiner Rückkehr nach Deutschland vernommen werden. Die erste Vernehmung sei noch für die Nacht geplant, am Sonntag werde er dann dem Haftrichter vorgeführt, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Samstag. Dann werde ihm der Haftbefehl eröffnet.

Der 20-Jährige hatte sich in den Nordirak abgesetzt und war dort in der Nacht zum Freitag von kurdischen Sicherheitskräften festgenommen worden. Ali B. steht im Verdacht, die am Mittwoch in Wiesbaden tot aufgefundene Susanna F. in der Nacht vom 22. auf 23. Mai vergewaltigt und anschließend durch Gewalt gegen den Hals getötet zu haben. Von der geplanten Rückkehr nach Deutschland hatten zunächst der «Wiesbadener Kurier» und die «Allgemeine Zeitung Mainz» berichtet.

Verdächtiger könne sich an Tat nicht erinnern

Der Verdächtige habe die Tötung Susannas vor dem kurdischen Ermittlungsrichter gestanden, sagte Polizeioffizier Tarik Ahmed.

Dem kurdischen TV-Sender Rudaw sagte Ahmed, der Verdächtige und sein Opfer hätten vor der Tat viel Alkohol getrunken und Tabletten geschluckt. Zwischen den beiden sei es zum Streit gekommen. Das Mädchen habe gedroht, die Polizei anzurufen, was Ali B. nach eigener Aussage zu der Tat getrieben habe - er habe die 14-Jährige stranguliert.

Die Mutter des Verdächtigen sagte der Deutschen Welle, ihr Sohn könne sich nicht an die Tat erinnern, weil er betrunken gewesen sei. Demnach erfuhr die Familie erst durch die Verhaftung im Irak und durch Nachrichten im Internet von den Vorwürfen gegen den jungen Mann.

Umgang mit Flüchtlingen

Nach den Morden von Freiburg, Kandel und Wiesbaden mit Flüchtlingen als mutmaßlichen Tätern rücken Fragen nach verpassten Abschiebungen und nach dem Umgang mit Kriminellen in den Mittelpunkt.

Warum konnte Ali B. mit seiner Familie unbehelligt ausreisen?

Die Familie legte der Bundespolizei im Flughafen Düsseldorf zwei irakische „Laissez-passer“-Papiere mit je vier Namen und acht Aufenthaltsgestattungen vor. Die Polizisten werteten diese als gültig. Die Lichtbilder passten zu den Personen. Einen Vergleich mit den anderslautenden Namen auf den bar bezahlten Flugtickets stellten sie nicht an, da dies „derzeit rechtlich nicht möglich“ sei, erklärte die Bundespolizei. Der Flug startete am 2. Juni, zur Fahndung wurde B. erst am 4. Juni ausgeschrieben.

Was ist ein „Laissez-passer“?

Diese Passierscheine sind die bei deutschen Behörden für Abschiebungen begehrten Passersatzdokumente, die zeitlich begrenzt eine einmalige Ausreise ermöglichen, auch wenn der Ausreisepflichtige über keine gültigen Papiere verfügt. Das Heimatland erklärt sich damit bereit, die Personen wieder einreisen zu lassen. Die irakische Familie machte sich den Umstand zunutze, dass Behörden es begrüßen, wenn abgelehnte Asylbewerber auf eigene Kosten und freiwillig das Land verlassen wollen.

Weshalb befand sich Ali B. immer noch in Deutschland?

Der heute 20-Jährige war auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsdynamik über die Balkanroute am 16. Oktober 2015 nach Deutschland gekommen, hatte wegen der Überlastung der Behörden aber erst am 27. September 2016 formal seinen Asylantrag stellen können. Bereits am 30. Dezember erhielt er einen Ablehnungsbescheid. Jedoch beauftragte er einen Anwalt, im Januar 2017, umgehend Klage dagegen einzulegen. Dieses Verfahren lief noch. Für dessen Dauer bekam er eine Aufenthaltsgenehmigung.

Wie kriminell war er schon vor dem Mord?

Aktenkundig ist eine angebliche Beteiligung an einer Schlägerei im April 2017, die ihm jedoch nicht nachgewiesen werden konnte. Es folgt die Anwesenheit bei einem weiteren Gewaltdelikt im Februar, das nicht aufgeklärt werden konnte. Im März soll er eine Stadtpolizistin angerempelt und um sich geschlagen, drei Tage später einen Mann mit einem Messer bedroht und ausgeraubt haben – beide Ermittlungen laufen noch. Im April wurde er mit einem Messer erwischt, im Mai gehörte er zum Kreis der Verdächtigen einer Vergewaltigung eines elfjährigen Flüchtlingsmädchens. Auch hier fehlt bislang der Nachweis.

Wie häufig werden Flüchtlinge Straftäter?

Die Kriminalstatistik hält fest, dass im vergangenen Jahr 5,7 Millionen Straftaten registriert und 2,1 Millionen Tatverdächtige ermittelt wurden. Darunter befanden sich 300.680 Zuwanderer. Im Vorjahr waren es noch 506.641. Das Absinken wird damit erklärt, dass es auch viel weniger nur von Ausländern begehbare unerlaubte Einreisen gab.

In der Rubrik „Mord, Totschlag und Totschlag auf Verlangen“ weist die Statistik 1558 deutsche und 1140 nichtdeutsche Tatverdächtige aus. Nur ein Teil davon sind Flüchtlinge. Soziologen verweisen darauf, dass Flüchtlinge im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung überproportional viele Straftaten begehen. Es gebe jedoch kaum Unterschiede, wenn man nur die Gruppe deutscher junger Männer mit der junger männlicher Flüchtlinge vergleiche.

Wie hat sich die Zahl der Abschiebungen entwickelt?

Von 2014 zu 2015 gab es fast eine Verdoppelung von 10.884 auf 20.888. Dann stieg die Zahl 2016 jedoch nur auf 25.375 und ging 2017 sogar auf 23.966 zurück. Behördenvertreter erklären das damit, dass zunächst die unproblematischen Fälle vom Balkan in großer Zahl abgewickelt wurden, dann jedoch die problematischen an der Reihe waren.

Warum werden nicht Hunderttausende abgeschoben?

Wenn im Schnitt jeder zweite Antrag erfolglos ist, müssten allein von den 890.000 Flüchtlingen 2015 eigentlich fast 450.000 wieder gehen. Viele tun dies auch selbst oder mit Hilfe durch Startprogramme. In den ersten vier Monaten 2018 bekamen 1312 Antragsteller Asyl, 14 720 weitere den Flüchtlingsstatus, 10.639 subsidiären Schutz und 4973 eine Abschiebesperre. Bleiben darf auch, wer eine Schule besucht oder eine Ausbildung macht. In zehn bis 40 Prozent der Fälle sind zudem Klagen erfolgreich. In der Praxis tauchen viele Abzuschiebende einfach unter. Seit dem Bombenanschlag in Kabul vor einem Jahr wurden nach Afghanistan nur noch Straftäter abgeschoben. Diese Einschränkungen sind nun aufgehoben; die SPD-geführten Länder wollen jedoch daran festhalten.

Was soll nun verändert werden?

Innenminister Horst Seehofer (CSU) will Dienstag einen „Masterplan“ vorstellen, um schnellere Verfahren und mehr Abschiebungen zu erzielen. Verständigt haben sich Union und SPD auf „Ankerzentren“, in denen Ankunft, Registrierung und Entscheidung konzentriert werden. Nur noch Flüchtlinge mit positiver Bleibeperspektive sollen dann aus diesen Zentren heraus auf Städte und Dörfer verteilt werden.

Was im Fall Susanna geschah

In der Nacht auf den 23. Mai kommt Susanna nicht nach Hause. Nach Erkenntnissen der Wiesbadener Ermittler wird sie abends oder in der Nacht vergewaltigt, umgebracht und in einem Erdloch verscharrt. Der mutmaßliche Täter, ein irakischer Flüchtling, war polizeibekannt.

Am 23. Mai meldet ihre Mutter Susanna als vermisst. Susanna war zuletzt in der Wiesbadener Innenstadt unterwegs. Eine Woche später bekommt Susannas Mutter abends von einer Bekannten ihrer Tochter eine Mitteilung, dass Susanna tot sei und ihre Leiche an einem Bahngleis liege. Sie wendet sich daraufhin an die Polizei in Mainz und Wiesbaden. Die Beamten können aber die Hinweisgeberin zunächst nicht befragen, weil sie auf Kurzurlaub mit ihrer Mutter ist.

In den kommenden Tagen findet die Polizei trotz intensiver Suche nach eigenen Angaben nichts. Der tatverdächtige 20-jährige Iraker fliegt mit seiner Familie am Samstagabend von Düsseldorf nach Istanbul und von dort aus weiter in den Irak. Am Sonntagabend meldet sich ein 13-Jähriger, der in derselben Flüchtlingsunterkunft wie der verdächtige 20-Jährige wohnt. Er nennt den möglichen Tatort und Ali B. als möglichen Täter. Zwischen 300 und 400 Polizisten sind von Montag bis Mittwoch mit dem Fall beschäftigt. Am Mittwochnachmittag wird eine weibliche Leiche neben einem Bahngleis gefunden. Ein verdächtiger 35-jähriger Türke wird festgenommen. Am Donnerstag gibt die Polizei den Tod Susannas bekannt.

Der verdächtigte 35-Jährige wird wieder freigelassen. Ein dringender Tatverdacht kann zunächst nicht nachgewiesen werden, jedoch gilt er weiterhin als Beschuldigter. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) äußert sich bei der Innenministerkonferenz in Quedlinburg zunächst nicht zu der Tat. Kurze Zeit später die Überraschung: Seehofer erklärt, dass der Verdächtige Ali B. im Irak festgenommen wurde. (dpa) 

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