Rätselhafte MissbildungenFehlende Gliedmaßen bei Kindern schrecken Behörde auf

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Babyfüße Symbolbild

Symbolbild

Paris – Der Schrecken war groß bei Mélanie und Jonathan Vitry, als ihr Sohn Ryan auf die Welt kam: Dem Neugeborenen fehlte die rechte Hand. „Ich fing an zu weinen, Jonathan wurde ohnmächtig“, erinnert sich die Mutter an diesen ersten Moment zurück, der eigentlich ein freudiger sein sollte: die Geburt ihres Kindes. Die Fehlbildung war bei vorherigen Ultraschalluntersuchungen nicht entdeckt worden. Ihre Ursache erscheint rätselhaft. Eine Sache verwundert außerdem: In einem Umkreis von nur 17 Kilometern waren zwischen 2009 und 2014 sieben weitere Babys mit Missbildungen zur Welt gekommen. Arme, Unterarme oder Hände fehlten. Elf ähnliche Fälle wurden zudem seit 2000 gezählt.

Über eine Facebook-Gruppe fanden betroffene Eltern zusammen, darunter auch Isabelle Tamans-Grassin, deren Tochter Charlotte nach ihrer Geburt 2012 eine Missbildung am linken Arm aufwies. „Es war ein Schock“, berichtet die Mutter. Die Schwangerschaft sei perfekt verlaufen. Sowohl bei Tamans-Grassin als auch bei Mélanie Vitry und den anderen Müttern schlossen die Ärzte eine genetische Veranlagung aus. Die Frauen hatten während der Schwangerschaft weder Medikamente noch Drogen oder Alkohol zu sich genommen, nicht geraucht, sich normal ernährt. Insgesamt sind Fehlbildungen dieser Art selten: Ein Neugeborenes unter 5000 ist demnach in Frankreich betroffen.

Die Ursachen sind unklar

Diese beunruhigenden Vorgänge riefen die Ärztin Emmanuelle Amar auf den Plan, eine Spezialistin für Missbildungen. „Wir haben alle betroffenen Mütter mit einem sehr umfangreichen Fragebogen über ihre Lebensgewohnheiten befragt. Die einzige Gemeinsamkeit war, dass all diese Frauen in einer ländlichen Gegend inmitten von Feldern lebten“, sagt sie. Handelte es sich um eine Belastung durch Umweltgifte, die zu den Fehlbildungen bei Neugeborenen führten, wie manche grüne Abgeordnete vermuten? Amar informierte die Gesundheitsbehörden, die in einem Bericht „Abnormitäten“ bei mehreren Kindern in zwei Regionen feststellten, die „wahrscheinlich nicht zufällig“ entstanden seien. So war nicht nur die Gegend um das bretonische Lorient betroffen, sondern auch eine Region etwas südwestlicher gelegen im Loire-Tal. Die Ursachen bleiben weiter im Unklaren. Inzwischen hat das Gesundheitsministerium eine Untersuchung in Auftrag gegeben.

Die betroffenen Kinder, die heute im Grundschulalter sind, haben gelernt, mit ihrer Behinderung zu leben – und ihre Eltern, damit umzugehen. Ihre Tochter Charlotte könne alles wie alle anderen Kinder – oder fast. Seit Kurzem fahre sie Fahrrad. „Am Anfang war es schwer und zugleich verbunden mit vielen positiven Emotionen“, erzählt die Mutter, Isabelle Tamans-Grassin. „Die Beziehung, die zwischen mir und meiner Tochter entstanden ist, hat uns ermöglicht, das Leiden zu überwinden.“

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