Skandal um angeblichen BluttestDen Brustkrebs-Test gab es gar nicht

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Bluttest

Bluttests im Labor des Universitätsklinikums Heidelberg

  • Es galt als Sensation: Im Februar wurde ein revolutionärer Bluttest zur Brustkrebserkennung verkündet.
  • Doch für den angeblich in der Uniklinik Heidelberg entwickelten Test existieren bislang keine Unterlagen, nicht einmal Pilotstudien.
  • Jetzt hat sich sogar die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

Heidelberg – Schon damals, im Februar, hatte die Sache ein Gschmäckle. Forscher und Ärzte aus Heidelberg hatten mit Tam-Tam zu einer Pressekonferenz nach Düsseldorf geladen, doch Informationen, worum genau es gehen sollte und was einen erwartete, wollten sie vorab nicht rausrücken. In der Luft hing nur eine angebliche Sensation als schüttere Pressemeldung: „Bluttest für Brustkrebs entwickelt“. Tatsächlich rückte eine Armada von Gynäkologen des Universitätsklinikums Heidelberg an, die diesen Test entwickelt hatten; mit auf dem Podium saß der Marketing-Direktor der Firma „Heiscreen“, die den Test vertreibe n sollte.

Profitierten die Ärzte von der Firma?

Doch schon am Morgen der Pressekonferenz standen sämtliche Informationen bereits in aller Ausführlichkeit in der „Bild-Zeitung“. Der Professor und sein Team – sie trachteten nach dem schnellen Erfolg auf dem Boulevard, weniger nach Seriosität. Tatsächlich kamen bald erste Zweifel an diesem Bluttest auf. War er wirklich so sicher, wie uns verheißen wurde? Von Anfang an bestand zudem der Verdacht, dass die Ärzte von der Firma selbst profitieren würden – vor allem Christof Sohn, der Chef der Frauenklinik, und eine seiner Oberärztinnen.

Das Verfahren war schon 2016 umstritten

Mitarbeiter entlassen: Einer chinesischen Forscherin, die den Bluttest mitentwickelt hatte, wurde 2017 unvermittelt gekündigt, eine weitere, die Molekularbiologin Barbara Burwinkel, musste ihren Posten als wissenschaftliche Leiterin der Bluttest-Forschungsgruppe abgeben. Burwinkel hatte schon 2016 im Fachblatt „Clinical Epigenomics“ darauf hingewiesen, dass die „Evidenz des Tests recht begrenzt“ sei. 

Fehler eingeräumt: Die Ärztliche Direktorin Annette Grüters-Kieslich der Uniklinik hat unterdessen persönliche Fehler zugegebenn. „Ich hätte mich stärker gegen die Einbeziehung des Klinikums in die PR-Aktivität der ,HeiScreen GmbH’ wenden müssen", schreibt sie der ‚SZ‘, „und hätte versuchen müssen, die Pressekonferenz zu stoppen."

Jetzt erhärten sich die Vorwürfe. Der Tumorforscher Magnus von Knebel Doeberitz war laut „Süddeutscher Zeitung“ vom Vorstand der Universität Heidelberg beauftragt worden, die „Umstände jener Presseerklärung“ zu prüfen. Anfang April schickte er seine Erkenntnisse dem Dekan der Medizinischen Fakultät Andreas Draguhn. Aus diesem Schreiben zitiert die „SZ“ nun. Dort ist zu lesen, „dass es das in der Pressemitteilung erwähnte Verfahren bisher nicht gibt“. Es gebe nicht einmal einen Prototypen. Auf Deutsch: Das Ganze ist eine Luftnummer.

Warnzeichen wurden offenbar ignoriert

Dem Münchner Blatt, aber auch der lokalen „Rhein-Neckar-Zeitung“ liegen offenbar diverse Briefwechsel und Mails aus dem Universitätsklinikum vor. Sie deuten darauf hin, dass im Haus zwar Warnlampen angegangen, aber vom Vorstand übersehen oder ignoriert worden seien. So habe die Pressesprecherin der Klinik, Doris Rübsam-Brodkorb, mehrfach vor einer Veröffentlichung der Pressemeldung gewarnt. Es bestehe „die sehr große Gefahr einer Negativpresse“; es mangele an Differenzierung. So vermisste Rübsam-Brodkorb „Aussagen zur Größe der Tumoren, die entdeckt werden können und auch zur Spezifität des Tests – damit ist gemeint, wie viele der gesunden Frauen einer Untersuchungsgruppe auch als gesund erkannt werden“.

Kurz nach der Präsentation in Düsseldorf sagte Stefan Lange vom Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (Iqwig): „Verlässliche Studiendaten liegen uns noch nicht vor.“ Das hat sich nicht geändert: Bis heute existieren keine publizierten Ergebnisse aus klinischen Studien zu dem Test, das haben bereits zahlreiche medizinische Fachgesellschaften kritisiert.

Katastrophenstimmung in Heidelberg

In Heidelberg herrscht derzeit Katastrophenstimmung, zumal auch eine Strafanzeige gegen Unbekannt im Raum steht. Laut „Rhein-Neckar-Zeitung“ hat sie der Manager Markus Jones gestellt. Den hatte der Vorstand des Universitätsklinikums ursprünglich beauftragt, als Chef einer universitären Ausgründungsfirma namens TTH die Steuerung der Vorgänge zwischen Klinik und „Heiscreen“ zu übernehmen. Jones wurde dieser Tage aber fristlos vom Vorstand freigestellt. In Heidelberg herrscht heilloses Durcheinander. Interessant wird der Fall auch für Patentrechtler, denn im Raum steht auch der Vorwurf, dass Sohn und sein Team den Test gar nicht erfunden haben.

Wie der „Spiegel“ schreibt, sei ein Gründerstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft vor drei Jahren zunächst an ein Team junger Wissenschaftler um die Chinesin Rongxi Yang gegangen, das den Test damals entwickelte. Die Forscher scheiterten laut dem Nachrichtenmagazin jedoch an einer Ausgründung, „weil eine zur Universität Heidelberg gehörende Beratungsfirma für Technologietransfers die Verhandlungen vorzeitig abbrach“. Möglicherweise handelte es sich hierbei um die neben anderen von Jones geführte Firma TTH. Rongxi Yang kehrte daraufhin nach China zurück. Erst danach soll Gynäkologe Sohn die Federführung übernommen und die Ausgründung nun auch erfolgreich vorangetrieben haben.

Als Motiv der PR-Kampagne liegen laut „Spiegel“ finanzielle Interessen nahe. Der Aktienkurs eines chinesischen Investors, der NKY Medical Holding, stieg nach dem Erscheinen jenes „Bild“- Artikels um mehr als 35 Prozent.

Neuer Test könnte sinnvoll und seriös sein

Trotz der immensen Verwirrungen und des Imageschadens, den die Angelegenheit für das Uniklinikum Heidelberg bedeutet, ist nicht ausgeschlossen, dass ein neuer Test sinnvoll und seriös sein könnte. Es ist außerdem denkbar, dass in Heidelberg unpublizierte Vorstudien durchgeführt wurden. Beruhen die Zahlen, die damals in Düsseldorf genannt wurden, auf diesen experimentellen Vorläufertests? Oder sind sie gar erfunden? Oder gefälscht?

Jedenfalls wurden in Düsseldorf, was die Zuverlässigkeit des Tests betrifft, gar nicht einmal besonders beeindruckende Werte präsentiert. Bei Frauen über 50 Jahren liege die Sensitivität (also die korrekte Trefferquote bei tatsächlich vorhandenen Tumoren) laut Christof Sohn bei 75 Prozent. Das heißt: Bei drei Viertel aller Krebspatientinnen gab der Test zutreffend positiv Alarm, bei einem Viertel versagte er; dagegen ist die oft kritisierte Mammografie mit 78 Proz ent etwas genauer. „Es lässt sich bei einem solchen Test tatsächlich nicht vermeiden, dass er manchmal Gesundheit meldet, obwohl die Frauen in Wirklichkeit bereits erkrankt sind“, sagte Sohn damals.

Skandal dürfte personelle Konsequenzen haben

Man darf fragen: Hat er solche suboptimalen Messwerte seines Bluttests wirklich erfunden? Noch dazu, da es in einem Teil der Fälle auch zu falsch-positiven Befunden gekommen sei. Falsch-positiv bedeutet: Der Test sagt, eine Frau sei krank, obwohl sie gesund ist. Bei Frauen unter 50 Jahren identifiziere der Test laut Sohn angeblich mit 86 Prozent deutlich sicherer eine Krebserkrankung. Sollten diese Frauen die Zielgruppe des angeblichen Bluttests sein?

Ganz sicher wird es personelle Konsequenzen in Heidelberg geben. In jedem Fall ist der Schaden für eine der renommiertesten deutschen Unikliniken schon jetzt verheerend. 

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