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Kunsthaus SeelscheidSondermeiers neue Revue über Tod und Beerdigung

Lesezeit 3 Minuten
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Burkard Sondermeier 

Neunkirchen-Seelscheid – Eine Revue im herkömmlichen Sinn ist vielfältig, farbig, mit flotten Wechseln von Wort, Musik, Gesang, Artistik und Tanz. Auf die zwei letztgenannten Attribute verzichtete Burkard Sondermeier bei seinem aktuellen Programm „Marche funèbre“.

Die übrigen Elemente aber verschmolz er zu einem farbenglühenden Abend. Was keineswegs im moralischen Widerspruch zu einem Trauermarsch, so die deutsche Bedeutung des Programmtitels, stand.

Auch in Antiquariaten wurde Sondermeier auf der Suche nach Material fündig

„Seit Monaten“ habe er seinen literarischen und musikalischen Fundus durchforstet, berichtete das singende, rezitierende und forsch die Drehorgel bedienende Multitalent Sondermeier. Auch in Antiquariaten holte er Preziosen aus dem Tiefschlaf.

Die Aufführungen

Den „Marche funèbre“ gibt es am Sonntag, 20. November, 17 Uhr im Kunsthaus Seelscheid, Bergstraße 41/43 (30 Euro) und am Mittwoch, 30. November, 19.30 Uhr, in der Volksbühne Köln, Aachener Straße 5 (25 Euro).

Wobei er sich von der Prämisse leiten ließ, „dass eine Revue auch ernst sein darf, […] Tod, Trauer und Beerdigung sogar unterhaltsam sein können“.

Jammer und Schmerz bleiben bei der Revue im Kunsthaus Seelscheid außen vor

So blieben im Kunsthaus Seelscheid Jammer und Schmerz in den zweieinhalb Stunden außen vor, Verklärendes aber auch. Unter anderem mit „traurig, schön, schaurig, fidel, tröstlich, virtuos, verzweifelt“ beschrieben die Macher den roten Faden. So durfte gelacht, gegruselt und gestaunt werden.

Fesselnd waren die abrupten Wechsel der Genres. Beispielhaft war da schon der Auftakt, wo dem Grimm-Märchen „Von dem Tod des Hühnchens, das Brigitte Sondermeier fast liebevoll bis zum bitteren Ende aller darin vorkommenden Tiere rezitierte, der „Trauermarsch für eine Marionette“ (Gounod) folgte. Das bot der Hausherr an seiner mächtig atmenden Drehorgel als Solo dar.

Das glänzende Musikertrio Johannes Götz (Klavier), Enis Hotaj (Violine, Viola) und Thomas Falke (Kontrabass, Gitarre) wäre schon allein das Eintrittsgeld wert gewesen, angesichts seiner Klasse und verwegenen Spielfreude.

Ein Trauermarsch, der ausschließlich auf den schwarzen Tasten gespielt wird

Götz etwa präsentierte den fast unbekannten Trauermarsch von James Ensor, der ausschließlich auf den schwarzen Tasten gespielt wird, was aber nichts Düsteres ins Haus brachte und vom Pianisten als „technisch heikle Angelegenheit“ beschrieben wurde.

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Mit Hotaj lieferte Götz bei Ernest Blochs „Nigun“ den Glanzpunkt. Hier fanden zwei impulsive Könner zueinander, die dem komplexen Werk ihren Stempel aus Kraft, Tempo, Wucht und Zartheit aufdrückten. Wobei die technischen Herausforderungen aus langen Doppelgriff-Passagen Hotojs ebenso wenig Sorgen bereiteten wie Götz das diffizile Begleitspiel.

Bei Chopins „Marche funèbre“ standen dem Trio die Gastgeber Burkard (Drehorgel) und Brigitte Sondermeier (große Trommel) zur Seite. Der polnische Romantiker hätte sich gewundert, dass sein Ewigkeitswerk auch mit viel Wumms und Forschheit Würdevolles entfalten kann.

Sondermeiers tiefgründige Anmerkungen kamen beim Publikum an

Conférencière Brigitte Sondermeier überzeugte in vielen Rollen. Etwa wenn sie Verstorbene in der Pathologie zu Wort kommen ließ (Gregorovius „Eine Oktave aus Bizini“), im romantischem Duktus das „Tantchen“ auf dem hindernisreichen Weg zur letzten Ruhestätte begleitete oder sich sachlich nüchtern mit Bertrands „Der Galgen“ auseinandersetzte.

Ihr Ehemann präsentierte sich mit einer gewissen Grandezza als Chansonnier (George Brassens „Pauvre Martin“), eskortierte die dumpfen Sargträger Koobe und Toone beim Besuch sieben bizarrer Stationen oder schmetterte – verschmitzt-charmant – „Oh! Du lieber Augustin“. Sondermeiers tiefgründige Anmerkungen kamen an.

Die Schönheit des „Lacrimosa“ aus Mozarts Requiem redete in der Zugabe dem Philosophen Herbert Marcuse das Wort, der sagte, „Sterben gehört zum Leben, nicht zum Tod“.

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