Das KulturjahrDem Virus virtuell Paroli geboten

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Joseph Beuys, Capri-Batterie, 1985

Capri-Batterie von Joseph Beuys (1985). 

Köln – Die „Früchte des Zorns“ passen gut in die Gegenwart von Klimawandel, Migration und angeschlagener Wirtschaft. Das Schauspiel erzählt John Steinbecks Geschichte einer Farmerfamilie aus Oklahoma, die von der Dürre vertrieben ihr altes Leben aufgibt und sich nach Kalifornien aufmacht, unter einem weiteren schlechten Vorzeichen: nämlich ohne Zuschauer aufgrund der Beschränkungen der Pandemie.

Streaming als Segen

Trotzdem erreicht Regisseur Rafael Sanchez mit seinem Team das Publikum. Sie streamen. Damit geht das Theater in das zweite Corona-Jahr und entwickelt sich – wie viele andere Ensembles virtuell rasant weiter: Divertissementchen digital fürs Wohnzimmer, Ausstellungs-Rundgänge per Video. Die lit.Cologne weicht mit 50 Veranstaltungen ins Netz aus. Als Serie legt das Schauspiel Edward II. in mehreren Kapiteln an. Auch wenn die Digitalisierung noch zurückliegt, zeigen die Kulturschaffenden Flagge. Sie unterstreichen das, indem sie bei wieder möglicher Präsenz die vorher gestreamten Aufführungen nun real auf der Bühne spielen, wie Wajdi Mouawads Stück „Vögel“, das im Januar wieder gespielt wird, ebenso wie die „Früchte des Zorns“. „Vervirte Zeiten“, titelt Ralf König sein Corona-Comic lakonisch und als Anfang März  die Nachricht kommt, dass das Museum Ludwig endlich seine große Andy Warhol Ausstellung öffnen darf, ist die Erleichterung greifbar.

Alles zum Thema Henriette Reker

Diversität

Alles wird diverser. Ensembles und Einrichtungen vom Sender bis zum Museum wollen das auch in ihrem Personal, in Filmen, Theater oder Tanz zum Ausdruck bringen.

Zahlreiche Schauspieler outen sich in einer Kampagne der Süddeutschen Zeitung, auch hier geht ein Ruck durch die Gesellschaft. Es hat sich viel getan in drei Jahrzehnten, seit Rosa von Praunheim öffentlichen Alfred Biolek und Hape Kerkeling als schwul outete. „Bio“, wie der Talkmeister liebevoll genannt wurde, stirbt im Sommer 87-jährig, hatte aber seinen Frieden mit dem öffentlichen Outing gefunden.

Wo steht die Fotostadt?

Bei der modernen Kunst ist die Stadt klangvolle Metropole. Aber den Kulturausschuss treibt die Frage um „ Wo steht die Fotostadt Köln?“ Essen und Düsseldorf sind im Gespräch für das Institut für Fotografie, und nicht der einst weltweit bedeutende Standort der von Leo Fritz Gruber und Bruno Uhl gegründeten Photokina. Aufgrund des stetigen Rücklaufs des Marktes wird die Veranstaltung Ende November 2020 endgültig abgesagt.

Beutekunst

Bundesweit schlägt das Thema Beutekunst Wellen, die Forderungen nach Rückgabe des Kulturguts kolonialer Herkunft wie den Benin-Bronzen beschäftigen auch das Rautenstrauch-Joest-Museum.

Beuys hat Geburtstag

Das Bonner Kunstmuseum verbindet im Oktober den hundertsten Geburtstag von Joseph Beuys mit dem „Passierschein in die Zukunft“, aber insgesamt fällt die Rückschau etwas schwach aus. Die Hoffnungen, die Pandemie zu überwinden, pendeln zwischen Vorsicht und Verzagtheit. Mit Benefizkonzerten unterstützen zum Beispiel die Blechbläser des Gürzenich-Orchesters freischaffende Musiker. Als sich die Philharmonie mit Präsenzveranstaltungen im August zurückmeldet, kommt das Konzert des Bundesjugendorchesters einem Weckruf vor gut besetzten Rängen gleich. Daniel Barenboim und das West-Eastern Divan Orchestra spielen für die Opfer der Flutkatastrophe, das Konzert ist ausverkauft. Schon bald zeigt sich, dass das Publikum verhalten reagiert, Kulturbetriebe vom Klein-Theater bis zum Schauspiel haben Probleme beim Ticketverkauf. Im September eröffnet da Schauspiel unter Stefan Bachmann die Saison – unter Corona-Bedingungen. 3 G schränkt ein.

1700 Jahre jüdisches Leben

Auf 1700 jüdisches Leben in Deutschland blickt die Ausstellung „In die Weite“ im Kolumba zurück – zum Auftakt der Schau macht das welthistorisch bedeutsame Dekret Kaiser Konstantins als Leihgabe der Bibliotheca Vaticana Station.

Virtuelle Versteigerung

Das Auktionshaus Van Ham versteigert erstmals virtuelle Kunst in Kryptowährung – nicht gerade mit durchschlagendem Erfolg. Auf der Art Cologne wird für 35 000 Euro ein Holzschnitt angeboten, der den Einsturz des Stadtarchivs darstellt, den kölschen Klüngel aufs Korn nimmt. 

Personalkarussell

Der Vertrag von Opernintendantin Birgit Meyer   wird nicht verlängert. „Das trifft misch schon persönlich“, sagt sie Anfang Februar. Oberbürgermeisterin Henriette Reker erntet regional und national Kritik. Zwei Monate später stellt sich Meyers Nachfolger Hein Mulders vor. Seither ist es leise um den Niederländer, der  im September 2022 übernimmt.   Als  Casting-Chef der Flämischen Oper Antwerpen  suchte er am  Anfang seiner Karriere  die Sänger aus. Später wurde er Direktor der Oper in Amsterdam und zuletzt in Essen. Mulders wird zusammen mit Kulturdezernent Stefan Charles, dem Nachfolger von Susanne Laugwitz-Aulbach, das sanierte Ensemble am Offenbachplatz eröffnen. Allein Stefan Bachmann verlängert den Vertrag als Schauspiel-Intendant. 

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