Die Parallelwelt unter Mechernich

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Im Rahmen der Aktion „Türen öffnen“ bietet die Kölnische Rundschau Lesern Exklusiv-Führungen an Orten an, deren Türen normalerweise geschlossen bleiben. Am 8. November öffnet die Bundeswehr in Mechernich die Tore zur Untertageanlage (UTA).

MECHERNICH. Zwischen Bäumen und Gestrüpp auf dem Bleiberg klafft ein Loch: der Eingang zum fünf Kilometer langen „Hauptverkehrsstollen“ in die geheime Welt der UTA. Die Sicherheitsschranke öffnet sich sonst nur „Eingeweihten“ - und nur, wenn zuvor ein Kontrollgerät piepsend und blinkend ihre Chipkarte akzeptiert hat. Wer sich hineinwagt, darf dies nicht alleine: Nach einer Sicherheitseinführung muss jeder Besucher seinen „Selbstretter“ umschnallen. Das hoch entwickelte Gerät erinnert an eine Butterbrotdose - für 700 Euro ein teurer Stullenbehälter. Wie ein Schnorchel angelegt, sichert der Selbstretter im Notfall 30 Minuten „Überlebenszeit“.

130 Meter in der Tiefe des Bleibergs führen 13,2 Kilometer Stollen durch eine gigantische (Parallel-)Welt unter Mechernich. Um die 87 000 Quadratmeter Fläche zu schaffen, war eine Bauzeit von zwölf Jahren (1963-1975) nötig. Ursprünglich war die Anlage in dreifacher Größe als Untertage-Instandsetzungswerft für Kampfflugzeuge gedacht. Nach Änderungen der Nato-Strategie waren diese Pläne jedoch Makulatur - es kam zum sofortigen Baustopp.

Als Materialdepot fand die UTA ihre heutige Aufgabe: Hier kann ein breites Artikelspektrum lagern. Bei einer Länge von 700 Metern sind die Stollen zwölf Meter breit und neun Meter hoch - Flugzeugmaße. „Insgesamt könnten wir hier einen 2,5 Kilometer langen Zug verstecken“, verrät Depotkommandant Major Lammers. Dabei weist er auf einen Schienenstrang, der sich in der scheinbaren Unendlichkeit des Tunnels verliert.

Es ist unnatürlich still, die klimatisierte Luft macht alles ein bisschen unwirklich - ein Vakuum der Realität. Früher wurde das Material über den Mechernicher Bahnhof direkt zur Verladerampe im Stollen an- und abtransportiert.

Über 81 000 verschiedene Waren - vom Schräubchen bis zum Flugzeug-Leitwerk - lagern in 74 000 Klein-, 3600 mittleren und 10 000 Großfächern des Depots. Teilweise stammen sie aus aufgelösten Standorten, teilweise „wartet“ das Material auf Auslandseinsätze. Von Mechernich aus werden auch Soldaten ausgestattet, die in Krisengebiete berufen werden. Dazu öffnet sich dann auch eine „brandheiße“ Tür: Über 15 000 Waffen lagern in einem besonders gesicherten Bereich. Einige davon stapelweise in offenen Gitterboxen, „das sind alte Waffen, die warten auf Verschickung zum Schreddern“. In unzähligen Stahlkisten lagert das neue „Material“.

Kurios: An den Regalreihen hängen noch Schilder, die Geldmünzen ausweisen. Während der Währungsumstellung zum Euro hatte die Zentralbank diesen Stollen zum „Hochsicherheitstrakt“ umgerüstet und unterhielt in Mechernich ein Hauptlager für neue Münzen.

Im Kalten Krieg

Kommandozentrale

„Bei uns kann sich das sensible Bundeswehrmaterial erholen“, spielt Lammers auf das mit konstant 55%iger Luftfeuchtigkeit lagerfreundliche Klima in der UTA an. Gesteuert wird das Klima von einer Technikzentrale aus. Tag und Nacht besetzt, werden Klima, Strom, Elektronik und Zugangsverkehr überwacht. Doch hier quietscht Boden! „Das“, erklärt Klimamechaniker Horst Weber, „liegt am Antistatik-Belag.“ Dann ist er kaum noch zu hören - drei riesige Schiffsdiesel machen einen Höllenlärm. Im Fall eines Stromausfalls können die ratternden Ungetüme mit fast 850 PS Notstrom erzeugen und die UTA autark versorgen.

Dieser Sicherung kam zu Zeiten des Kalten Krieges noch eine andere Bedeutung zu: Das so genannte „Headquarter“ war ständig bereit, im Kriegsfall der militärischen Luftwaffen-Führungsspitze als Kommandozentrale zu dienen. Noch heute zeugen strategische Pläne und Karten an den Wänden davon. Erneut liefert der „Innere Regisseur“ dem Betrachter Filmszenen: Männer, die Kriegsstrategien entwickeln, die Feindlage analysieren. Dabei wäre die Militärführung gut versorgt gewesen: 1500 Soldaten konnten in der UTA-Küche bekocht werden. Heute werden die Mitarbeiter „von oben“ beliefert und nutzen lediglich den großen Speisesaal.

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