„Wie in einem Alptraum“Daniela Kickl schreibt über den Horror im Apple-Callcenter

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„Man wurde jeden Tag drangsaliert“: Daniela Kickl zog für den Job bei Apple nach Irland.

„Man wurde jeden Tag drangsaliert“: Daniela Kickl zog für den Job bei Apple nach Irland.

Daniela Kickl war eine lustige Wienerin, immer pünktlich, immer höflich. Dann fing sie im Callcenter der Europazentrale von Apple in Südirland an. Das Großraumbüro, in dem Hunderte Mitarbeiter sich am Telefon um die technischen Probleme der Kunden kümmern, wird dort nur die „Chicken Factory“ genannt, die Hühnerfabrik. Dicht gedrängt sitzen die Angestellten nebeneinander, der Arbeitstag ist streng durchgetaktet, selbst die Zeit für Toilettengänge: acht Minuten pro Tag. Nach drei Jahren hatte Daniela Kickl Depressionen, konnte nicht mehr schlafen, war genervt von ihren Kindern und hatte keine Lust mehr auf Sex mit ihrem Mann. Sie kündigte – und schrieb ein Buch. Mit Daniela Kickl sprach Anne-Lena Mösken.

Können Sie den angebissenen Apfel überhaupt noch sehen?

Ein neues iPhone werde ich mir ehrlich gesagt nicht kaufen, aber mein altes werde ich sicher nicht einfach auf den Müll werfen.

Warum wollten Sie unbedingt für Apple arbeiten?

Sie erinnern sich sicher an den berühmten Slogan: „Think different.“ Apple präsentiert sich als innovatives, kreatives Unternehmen. Das war es früher auch, angefangen mit der Firmengründung, später haben sie den Mobilfunkmarkt revolutioniert. Ich hatte das Gefühl: Apple und ich passen total gut zusammen.

Sind Sie deshalb so lange dabei geblieben, obwohl Sie nur 1800 Euro im Monat verdient haben?

Ich bin niemand, der gleich aufgibt. Ich wollte mein Wissen und meine Erfahrung zur Verfügung stellen und darauf aufmerksam machen, was nicht so gut läuft. Außerdem bin ich mit der ganzen Familie nach Irland gekommen. Da sagen Sie nicht nach einem halben Jahr: Das gefällt mir nicht mehr.

Warum haben Sie im Callcenter gearbeitet? Dafür waren Sie doch eigentlich überqualifiziert.

Uns wurde am Anfang vermittelt: Ihr müsst da beginnen, aber dann steht euch alles offen. Eine Kollegin hatte einen Doktor in Computerlinguistik, sie hat gehofft, sich später mit Siri beschäftigen zu können. Ich fand die Idee gut, das Unternehmen von der Pike auf kennenzulernen.

Ist Ihnen der Aufstieg gelungen?

Nein. Entscheidend waren nicht die Fähigkeiten, befördert wurden die, die sich möglichst systemkonform gaben. Oder Externe, die keine Ahnung von der eigentlichen Arbeit haben, weil die eher das machen, was man ihnen sagt. Für ein Unternehmen ist sowas ganz schlecht.

Zur Person

Daniela Kickl, geboren 1970 in Wien, hat jahrelang als IT-Expertin unter anderem bei SAP gearbeitet, ehe sie 2007 Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt in Wirtschaftsinformatik und Personalmanagement studierte.

2014 zog sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern nach Irland, wo sie in der Europazentrale von Apple in Hollyhill in der Abteilung Technical Support arbeitete.

Über die Arbeitsbedingungen dort hat sie das Buch „Apple Intern“ geschrieben, das kürzlich im Verlag edition a erschienen ist.

Daniela Kickl: „Apple intern. Drei Jahre in der Europa-Zentrale des Technologie-Multis“, edition a, 288 Seiten, 21,90 Euro

Wann hatten Sie das Gefühl: Hier läuft etwas schief?

Vor allem war es die Stimmung, die ich bei den Kollegen wahrgenommen habe. Diese Aura der Trostlosigkeit, die habe ich lange nicht gesehen, weil ich so enthusiastisch war und ich mich so gefreut habe, dass ich für Apple arbeiten darf. Es gab eine Szene, die mir unvergessen bleibt. Ein Kollege hatte Gummibärchen. Ich habe ihn gefragt: Bist du so lieb und gibst mir ein Gummibärli? Und er antwortete: Hol es dir selber. Also bin ich rübergegangen, und habe ihn dann gefragt: Warum habe ich mir das selbst holen müssen? Seine Antwort: Ich habe gerade fünf Minuten deines Lebens gerettet.

Weil er Sie kurz von der Arbeit weggeholt hat?

Es ging nicht um die Arbeit an sich. Die war okay. Der Kontakt mit den Kunden war technisch herausfordernd und oft sehr lustig. Aber da war eben auch das permanente Gefühl, egal was man macht, es ist immer falsch.

Was zum Beispiel?

Manchmal nahmen Kunden nach dem Telefonat an einer Umfrage teil. Wenn einer dann sagte, er war unzufrieden, weil die Musik in der Warteschleife so furchtbar war – selbst wenn er dazu schrieb: »Mit der Daniela war ich total zufrieden« – wurde es mir schlecht ausgelegt. Und so ein negatives Survey entschied mit darüber, ob ich eine Gehaltserhöhung bekam.

Was hätten Sie anders machen sollen?

Ich hatte mich nicht ordnungsgemäß für die Musik entschuldigt. Sie drehen es immer so, dass man selbst an allem schuld ist.

Sie beschreiben ein System, das an Orwell und Kafka erinnert.

Ich habe mich gefühlt wie in einem Alptraum. Weil man nichts tun kann! Ich wurde zum Beispiel über Wochen in eine Schicht eingeteilt, die nicht mit meinem Familienleben vereinbar war. Da wurde nur gesagt: Das sind business needs. Gegen diese Schlagworte kommen Sie nicht an.

Einmal durften Sie nicht freinehmen, um zum Weihnachtssingspiel Ihres Kindes zu gehen, ein anderes Mal mussten Sie alle persönlichen Gegenstände vom Schreibtisch räumen, weil Manager aus den USA zu Besuch kamen. Was ist daran so schlimm?

Man wird als Mensch doch überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Man ist wie ein Huhn in der Legebatterie. Meine Bedürfnisse sind völlig egal, Hauptsache, ich funktioniere. Ich bin nur noch ein Rädchen in einem System, das doch viel besser funktionieren würde, wenn man mich ein bisschen schmieren würde.

Was Sie beschreiben, klingt dennoch nach kleinen Sorgen, wenn man das mit einem Sweatshop in einem Land wie Bangladesch vergleicht.

Sicher, wenn man uns angekettet hätte, würden alle sofort sagen: Na, das geht nicht. Aber nur, weil man die Entmenschlichung nicht sofort sieht, heißt es nicht, dass sie nicht existiert.

Was hat die Arbeit mit Ihnen gemacht?

Ich konnte kaum noch schlafen, da war immer der Gedanke: Was bekomme ich morgen wieder zugeschoben, wofür ich nichts kann? Meine ganze Energie ging dafür drauf, mich zu rechtfertigen, statt dass ich meine Arbeit machen konnte. Man wurde jeden Tag drangsaliert.

Kollegen verschwanden, es gab Gerüchte über Selbstmorde.

Es gab die Geschichte von einem Mann, der sich umgebracht haben soll und dessen Leiche genau vor dem Apple-Gebäude im Fluss gefunden wurde. Vielleicht war das ein Gerücht, aber wir konnten uns das vorstellen. Sowas trägt nicht zu einem positiven Arbeitsklima bei.

Sie haben Ihre Kritik in einem Dossier zusammengefasst, das Sie an das Apple Management und an den Vorstandsvorsitzenden Tim Cook persönlich geschickt haben. Titel: »Something is rotten in the State of Apple. Etwas ist faul im Staate Apple.« Haben Sie wirklich geglaubt, es würde sich etwas verändern?

Ich habe gedacht: Vielleicht wissen die einfach nicht, was sie tun. Ich gehe davon aus, dass diese schlechten Arbeitsbedingungen nach und nach entstanden sind. Das ist wie mit einem Frosch, den Sie ins kochende Wasser werfen, der wird heraushüpfen. Legen Sie ihn aber ins lauwarme Wasser und erhitzen Sie ihn langsam, ist er irgendwann zerkocht.

Gemeldet hat sich dann eine Frau aus der Personalabteilung, die Ihnen gesagt hat, dass sich nichts ändern wird. Wie haben Sie sich gefühlt?

Da ist eine Welt zusammengebrochen. Das Gespräch mit ihr war eigenartig. Ein Kollege hatte mich zum Beispiel gewarnt, ich solle auf Facebook nichts über Apple teilen, die Personalabteilung bekomme das mit. Auch das habe ich mit dieser Dame besprochen. Sie hat entgegnet: Dafür haben wir gar nicht genug Personal.

Im Umkehrschluss: Hätten wir die Kapazitäten, würden wir das sicher machen?

So kam mir das vor, ja.

Wie sind die Reaktionen auf Ihr Buch?

Apple hat gar nicht reagiert. Viele Kollegen aber haben mir gesagt: Endlich spricht mal einer darüber. Eine ehemalige Kundin meinte: Das ist in etwa so, wie wir Gammelfleisch vorgesetzt bekommen. Wir sind für Unternehmen nur noch Mittel zum Zweck, wir werden belogen. Der Umgang von Apple mit seinen Mitarbeitern schadet letztlich auch seinen Kunden.

Kritiker sagen: Das haben wir doch schon alles gehört. Ikea, DHL, Amazon – woanders ist es doch genauso.

Macht es das denn besser? Dass wir sagen, es ist eh überall schlecht, also beschweren wir uns nicht mehr? Es gibt diese Tendenz, sich nicht mehr um seine Mitarbeiter, sondern nur noch um die Zahlen zu kümmern. Und die Divergenz zwischen dem öffentlichen Auftritt und dem, was sich im Inneren abspielt, war bei Apple besonders krass.

Den Beginn der Entwicklung sehen Sie mit dem Tod von Firmengründer Steve Jobs im Jahr 2011. Was hat sich seitdem geändert?

Wahre Innovationen gab es unter seinem Nachfolger Tim Cook nicht mehr, dafür sind die Zahlen immer wichtiger geworden. Aber Zahlen spiegeln ja nur vermeintlich die Realität wider. Wenn ich dem Wahn erliege, alles mit Zahlen kontrollieren zu können, werde ich die Sache kaputt machen. Das Wesentliche an meiner Arbeit war ja die Kommunikation mit dem Kunden - dass ich ihm nicht nur technisch helfe, sondern ihm auch ein gutes Gefühl vermittle, das ist eine menschliche Komponente. Könnte das Siri übernehmen? Ich bin überzeugt, dass Apple es dann schon gemacht hätte. Aber das geht eben noch nicht.

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