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Rheinland für EntdeckerWie im wilden Westen – Besuch im Tagebau Garzweiler

Lesezeit 6 Minuten
Andreas Walter Absetzer

Großgeräteführer Andreas Walter vor einem Absetzer. Die riesige Maschine bewegt 240 000 Kubikmeter Erde pro Tag.

Staub liegt in der Luft. Feiner Staub, der in Nase und Ohren kriecht. Der die Augen zum Tränen bringt und auf der Zunge einen pelzigen Geschmack hinterlässt. Wir sind im  „Loch“,  im Braunkohletagebau Garzweiler.  Vor uns türmt sich ein Monster auf, ein sogenannter Absetzer, rund 50 Meter hoch, etwa 2400 Tonnen schwer.

Er wird gefüttert von unablässig ratternden Förderbändern, die ihm Erde zuführen und die er an einer anderen Stell wieder ausspuckt. Ringsum eine Wüstenei aus weicher graubrauner Erde, in der jeder Tritt einen Abdruck hinterlässt. Birken, Weiden und Falsche Akazien krallen sich ins Erdreich und bilden kleine Lichtungen, in denen Vögel, Rehe und angeblich sogar Wildschweine hausen.

Anfahrt

Treffpunkt: Vor der  Tennishalle an der Stresemannstraße 4 in  Bedburg-Kaster. An der A 61  Ausfahrt 17  Richtung Bedburg. An der Anschlussstelle Bedburg/Kaster abfahren,  weiter Richtung Kaster.  Hinter einer Linkskurve die 2. Straße rechts.  Hinter der Bushaltestelle rechts ab zum  Parkplatz. Auskunft:  RWE Power Tel. 0800 8833 830    www.rwe.com/besichtigungen

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Die hoch aufragenden Grubenwände sind bunt wie Malkästen. Gelblich-grauer Löss, Kies und Sand, Relikte eines längst vergessenen Meeres, bilden farbige Streifen und Schlieren, als sei jemand mit einem mächtigen Pinsel darüber gefahren. Irgendwo darunter liegt die Braunkohle, drei mächtige Flöze, bis zu 40 Meter dick. Rund 35 Millionen Tonnen  werden jährlich im Tagebau Garzweiler gefördert.  Bis zum Jahr 2045 sollen es rund 1,3 Milliarden sein – falls nicht irgendwann das vorzeitige Aus kommt. Im Juni 2016 fuhr die damalige NRW-Landesregierung die Fördermenge bereits zurück und beschloss in einer Leitentscheidung, den Tagebau Garzweiler zu verkleinern.

Wie im Wilden Westen

Oben im Absetzer sitzt Großgeräteführer Andreas Walter und schaut über die verwüstete Landschaft. Kies und Sand rauschen in einem breiten Strahl in die Tiefe. Im Führerhaus der Maschine sitzt ein Kollege und überwacht auf einem Monitor die Erdbewegungen. Manchmal, sagt Walter, fege der Wind mit  80, 90 Stundenkilometern durch die Grube. „Dann sieht es hier aus wie im Wilden Westen. Überall Staub.“  240 000 Kubikmeter Erde bewegt der Absetzer pro Tag. Die Erdmassen stammen aus dem aktuellen Abbaugebiet des Tagebaus und sollen die bereits abgebauten Gebiete wieder auffüllen, sprich: Teile des Loch schließen, damit die Landschaft renaturiert werden kann.

Kilometerlangen Förderbändern werden die Erdmassen innerhalb von 25 Minuten von einer Seite der Grube auf die andere transportiert. Insgesamt sind sechs Maschinen im Einsatz, um jährlich rund 140 Millionen Kubikmeter Löss, Kies und Sand zu bewegen.

„Das Land sieht nach der Renaturierung besser aus als vorher“, sagt Walter. Der 61-Jährige hat fast 20 Jahre in der Steinkohlezeche Sophia-Jacoba bei  Aachen gearbeitet. 1997 wurde sie stillgelegt, und Walter wechselte nach Garzweiler: „Ich verdiene mein Geld mit Kohle.“ Seine Familie stammt aus Hückelhoven. Dort sei man sicher vor dem Tagebau. Doch das Krankenhaus in Immerath, in dem der Vater einmal lag, ist seit drei Jahren abgerissen, das Dorf längst verlassen. Immerath ist der nächste Ort, der abgebaggert wird.

„Man macht sich nicht überall Freunde, wenn man sagt, dass man im Braunkohletagebau arbeitet“, sagt Walter. Vor allem für Familien, die seit  vielen Generationen hier lebten, sei der Verlust der Heimat bitter. „Aber es  ist zum Wohl der Allgemeinheit.“ Ein paar Kilometer weiter klettert Thomas Scheufen vom knallroten Traktor. Seine Füße versinken in hohem Gras, in Löwenzahn, Klee und Gänseblümchen. Bienen summen, in den Bäumen lärmen Vögel. Jenseits des Wegs, verborgen hinter dichten Büschen, stehen Weinstöcke.

1993 hat Scheufen auf der Königshovener Höhe südlich von Grevenbroich vier Hektar Land von RWE gepachtet. Fruchtbares Land, wie er sagt. Rekultiviertes Land. Eines mit einer extradicken Schicht Lössboden, auf dem seine Obst- und Walnussbäume prächtig gedeihen.  Da hinten, sagt der Obstbauer und deutet in die Ferne, habe in den ersten Jahren noch die Versuchsanlage von RWE gestanden. „Dort wurde geprüft, wie sich  Apfelbäume auf rekultiviertem Boden verhalten.“ Das ist längst überflüssig.  „Die Bäume entwickeln sich lehrbuchmäßig. Die müssen sogar kaum beschnitten werden.“

Noch vor wenigen Jahrzehnten befand sich dort, wo heute Scheuvens Äpfel, Birnen und Pflaumen in der Sonne reifen, der Tagebau Garzweiler.   Inzwischen ist die Wunde geschlossen, mehr als 4000 Hektar Land sind rekultiviert. Sie werden forst- und landwirtschaftlich sowie als Erholungsgebiet genutzt.

Biotop für Insekten

Schmale Straßen, beliebt bei Radfahrern und Hundebesitzern, durchziehen das Buschland der Königshovener Höhe. Das renaturierte Gebiet gilt als Biotop für Vögel und Insekten. In den Hecken und Bäumen leben Feldlerchen, Schwarzkehlchen und Grauammern. Selbst Wildbienen und Schwalbenschwänze sehe er häufig, sagt Scheufen. Auch er und seine Familie wurden 2003 umgesiedelt. Ihr Heimatdorf Otzenrath ist inzwischen  weggebaggert.  Bei Jüchen hat er einen neuen Betrieb aufgemacht.  „So ist das halt.“   

Auf einem Hügel steht, erbaut aus Backstein, die Petruskapelle und tut so, als sei sie schon Jahrhunderte alt. Doch das Kirchlein wurde 2004/2005 gebaut und erinnert an das Dorf Königshoven, das hier stand. Ende der 70er Jahre fiel es der Braunkohle zum Opfer, die Bewohner wurden in die Nähe von Kaster bei Bedburg umgesiedelt. In der Kapelle sollen sie „ein Stück Heimat wiederfinden“, steht auf einer Tafel. Eine Plakette zeigt den Stadtplan des verschwundenen Dorfes: die Bachstraße, die Bergstraße und die Hauptstraße.  Fenster und Tür der Kapelle stammen aus der alten Kapelle  – Buchholz und seine 349 Einwohner mussten Anfang der 80er Jahre dem Tagebau Fortuna-Garsdorf weichen.

Nach dem Ende des Tagebaus soll in dem Restloch bei Jackerath und Kückhoven ein gigantischer, bis zu 180 Meter tiefer See entstehen, gespeist aus Rheinwasser. Das Genehmigungsverfahren für dessen Einleitung läuft. Nach bisherigen Schätzungen werden etwa zwei Millionen Kubikmeter benötigt, um die Grube in ein Badeparadies  zu verwandeln. 

2080 soll das Projekt abgeschlossen sein. Das werde er leider nicht mehr erleben, sagt Scheufen. Segelboote auf Garzweiler. So unvorstellbar wie ein Weinstock auf der Königshovener Höhe.

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Tipps rund um den Ausflug

Gruppentouren mit dem  eigenen Bus: Abfahrt: Stresemannstraße 4, 50181 Bedburg-Kaster, Tennishalle Termine: Mo-Sa Gruppengröße: 25-50 Mindestalter: 10 Jahre Dauer: 150 Minuten Programm: Kurze Einführung, geführte Rundfahrt mit dem eigenen Bus durch den Tagebau, nahe Rekultivierungsgebiete und zu einer umgesiedelten Ortschaft.

Öffentliche Touren in Bussen von RWE für Einzelpersonen und kleinere Gruppen: Abfahrt: s.o. Termin:  So., 23. September, 10 bis 16 Uhr.  

Führungen für Familien und  Einzelpersonen im Tagebau Garzweiler und im Kraftwerk Niederaußem in den Sommer- und in den Herbstferien: Termine (jeweils Mittwoch): 15. August, 22. August, 27. August,  17. Oktober und 24. Oktober   – Beginn entweder um 10 Uhr oder 13.30 Uhr.

Anmeldungen werden 2-3 Wochen vor dem jeweiligen Termin unter der kostenlosen Hotline 0800/8833830 entgegengenommen.  Bürozeiten Mo. bis Do. 8.30 Uhr bis 17 Uhr, freitags bis 16 Uhr. Kinder sollten für den Besuch des Tagebaus mindestens zehn Jahre und für die Besichtigung im Kraftwerk zwölf Jahre alt sein.

Der nützliche Tipp: Den besten Blick auf den Tagebau Garzweiler hat man vom Skywalk am Aussichtspunkt Jackerath. Er befindet sich direkt am Autobahnkreuz Jackerath A 44/A 61.

Kontrastprogramm:  Das  Wasserschloss Dyck mit  Parkanlage in Jüchen.   Parkeintritt  9,50, Kinder bis 16 Jahre 1,50 Euro. Mo. Ruhetag. In der „Remise Schloss Dyck“ gibt es Frühstück und Brunch. Das „Café Botanica“ liegt außerhalb des eintrittspflichtigen Bereichs.

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