Interview mit Starkoch François Geurds„Molekular? Ich kann das Wort nicht ausstehen"

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Starkoch François Geurds

  • François Geurds ist immer auf der Suche nach neuen Techniken und Geschmäckern.
  • In Köln wird der Sternekoch bei den „Fine Food Days” als Koch des Jahres ausgezeichnet.
  • Unsere Kulinarik-Expertin Julia Floß hat mit dem Starkoch gesprochen und viel über seine Philosophie erfahren – und welche gastronomischen Regeln er für Quatsch hält.

François Geurds gilt nicht nur in seiner niederländischen Heimat als Wunderkind und kulinarischer Vorreiter. Er war einer der ersten Gastronomen, der sich ein eigenes „Lab“, eine Art sensorisches Forschungslabor, leistete – immer auf der Suche nach innovativen Techniken und Kompositionen. Er betreibt gleich zwei Sterne-Restaurants in Rotterdam: das mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Restaurant „FG“ und das mit einem Stern dekorierte „FG Food Labs“ direkt daneben.

Rotterdam steht für Trends, Kreativität, Multikulturalität und schwimmt immer ein bisschen gegen den Strom. François Geurds und sein unkonventioneller Küchenstil spiegeln diesen Charakter wider. In ehemaligen, mittlerweile kernsanierten Bahnhofsbögen serviert der Niederländer mit karibischen Wurzeln seine ungewöhnlichen Menüs – spektakulär und bodenständig, nostalgisch und innovativ, angenehm vertraut und überraschend zu gleich. In einem Gang kombiniert er gute Bekannte wie Lauch, Kartoffeln und Knochenmark; im nächsten schickt er seine Gäste nach Japan und vereint Gelbschwanzmakrele, Stopfleber, Austern und Seetang.

Hummer und verkohlte Sellerie

Geurds scheut sich nicht vor Klassikern der Haute Cuisine wie Taube oder Hummer. Er nutzt und interpretiert sie auf seine eigene Art, aber er braucht sie nicht zwingend. Dafür macht er aus einem Stück verkohltem Sellerie ein sensorisches Feuerwerk, das seinesgleichen sucht. Geurds sucht immer: Geschmack, Qualität, den besonderen kulinarischen Appeal – seine Gäste nimmt er mit auf diese Reise. So kann man sich, wenn man denn möchte, seine eigene Pfeffer-Melange für den Abend zusammen stellen. Zwölf Pfeffersorten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, stehen zur Auswahl. Bei den zwölf verschiedenen Salzen wird es schon diffiziler. Was als Spielerei anmutet, kann genauso gut als sensorische Verkostung angesehen werden. Und eben dies ist das wichtigste Stilmittel Geurds: spielerische Ernsthaftigkeit.

Fine Food Days Cologne

Das Festival mit besonderen Genuss-Events läuft ab Samstag, 31. August bis zum 8. September. Am letzten Tag findet die Preisverleihung an Geurds und Kollegen statt.  finefooddays.cologne

Infos zu Francois Geurds Gastronomien: francoisgeurds.nl

Das beeindruckt. Diese Leistung ist auch den Machern der „Fine Food Days Cologne“ aufgefallen, die morgen starten. Und so geht der diesjährige Award in der Kategorie „Koch des Jahres“ in die Kölner Partnerstadt Rotterdam, an François Geurds. Wir trafen Ihn zum Gespräch in seinem „FG“.

Herr Geurds, Ihre Gäste sind erstaunlich jung. Woran das liegt? Ich glaube, meine Art zu Kochen bringt sehr verschiedene Menschen quer durch alle Altersklassen in mein Restaurant – von 20 bis 70 und alles dazwischen. Wir haben eine schöne Mischung.

Hat das auch etwas mit ihrem Standort zu tun? Warum haben Sie sich für Rotterdam entschieden? Ich mag die Mentalität der Menschen hier. Sie sind gradlinig. Sie stehen zu ihrem Wort. Das ist mir sehr wichtig. Die Menschen hier sind bescheiden und bodenständig. Wenn sie dich in ihr Herz gelassen haben, dann bleibt man für immer dort.

Warum nicht Amsterdam? Amsterdam ist nicht meine Stadt. Es gibt da sehr viele Zugezogene. Die kommen und gehen. Rotterdam ist beständiger. Ich glaube an diese Stadt. Vor ein paar Jahren wurde Rotterdam für seine Multikulturalität ausgezeichnet. Diese vielen verschiedenen Einflüsse verarbeite ich in meinen Gerichten. Aus all diesen Kombinationen wird Weltküche. Das inspiriert mich.

Wie beschreiben Sie ihren Küchenstil? International cuisine, etwas in der Richtung.

Andere benennen ihn molekular, weil Sie früher als Souschef bei Heston Blumenthal im „Fat Duck“ arbeiteten. Das mit drei Michelin-Sterne ausgezeichnete Restaurant im englischen Bray galt als ein Zentrum der molekularen und Avantgarde-Küche. Sie kochen aber gar nicht molekular. Wie gefällt Ihnen die Bezeichnung? Ich kann dieses Wort nicht ausstehen. Was soll das denn überhaupt sein? Wenn Sie ein Brot im Ofen backen, ist das streng genommen molekular. Das Wissen um die Vorgänge, die chemischen Prozesse – das ist die Basis. Das ist molekular.

Ist Regionalität ein Thema für Sie? Wir arbeiten mit regionalen Produkten, wo es sich anbietet. Ich will immer die beste Qualität meiner Zutaten. Ich benutze Olivenöl aus Spanien, das gibt es in den Niederlanden nicht, weil hier nun mal keine Oliven wachsen. Alle Produkte werden vor ihrem Einsatz blind verkostet. Das Beste wird dann genommen. Da mache ich auf keinen Fall Abstriche.

Was ist Ihnen wichtig, wenn Sie ein Gericht kreieren? Geschmack ist das Wichtigste. Und die Struktur. Ich arbeite gerne mit Erinnerungen. Das Eis, welches zu Beginn des Menüs serviert wird, ist ein gutes Beispiel dafür. Es handelt sich um eine Tomatenwaffel mit Lakritz, Piccalilli-Sorbet und Knallbrause. Es versetzt meine Gäste zurück in ihre Kindheit, ohne dass sie es merken. Wenn man das isst, fühlt man sich wohl, es vermittelt Gemütlichkeit, das ist mir sehr wichtig. Ich verbinde meine Gerichte gerne mit einer Geschichte.

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Ist Wiederholung ein kulinarisches Stilmittel? Im Menü begegneten uns immer wieder Rosa Pfeffer, knusprige schwarze Oliven, Kaviar und Gänseleber. Das ist eigentlich nicht konzeptionell beabsichtigt. Als ich noch jung war, galt die Regel: keine Wiederholungen im Menü. Aber das ist doch Quatsch. Wenn du eine Zutat liebst, dann setze sie ein, auch gerne noch einmal. Warum auch nicht? Warum können meine Gäste denn nicht zweimal den großartigen Geschmack von Kaviar genießen, in jeweils in anderer Komposition?

Sie haben Personal, das ausschließlich im „Lab“ arbeitet. Was machen Sie denn eigentlich in ihrem Labor? Wir entwickeln Geschmäcker.

Geht’s etwas genauer? Wir entwickeln neue Gerichte, probieren viel aus. Tofu selber machen, Fische trocknen – solche Dinge. Und dann gucken wir, was passiert und was wir damit machen können. Wir haben zum Beispiel Kaffee gefriergetrocknet und daraus eine Beize hergestellt. Kaffeebohnen haben 200 Geschmacksmoleküle, die denen von Fleisch sehr ähnlich sind, also haben wir das miteinander kombiniert. Oder Entenfett. Wir haben vor zwei Monaten ein Stück Rindfleisch mit Entenfett eingestrichen und lassen es darin reifen. Da kommt keine Luft durch. Es reift ganz geschützt vor Oxidation und kann so seinen Geschmack verstärken.

Sie haben in vielen Sterne-Küchen gearbeitet, als die ihren kulinarischen Höhepunkt hatten. Aber als Wurzel ihrer Inspiration nennen Sie Ihre Mutter. Stand für Sie jemals zur Debatte, nicht in der Spitzengastronomie zu kochen? Ich habe als Zwölfjähriger damit angefangen und nie aufgehört. Das ist eine bestimmte Art zu denken und zu leben. Es geht immer um Qualität – nämlich die besten Produkte und Kreativität zu kombinieren.

Weltweit gibt es eine große Lücke zwischen gut informierten Konsumenten, die Wert auf Qualität legen, bewusst einkaufen und essen, und der riesigen Mehrheit der Verbraucher, die immer noch billiges Fleisch kaufen und nicht gewillt sind, für Lebensmittel mehr Geld auszugeben. Haben Sie mit ihrer Arbeit Einfluss auf diese Lücke? Wir Köche haben die Pflicht, Menschen, unseren Gästen, zu erklären, was gute Qualität ist und warum sie so wichtig ist. Restaurants geben Leuten die Möglichkeit, den Unterschied zu probieren, und natürlich hoffe ich, dass sich diese Erkenntnis dann auch zu Hause durchsetzt.

Hat der wachsende Bekanntheitsgrad von Köchen einen Einfluss auf diese Entwicklung? Ich denke schon. Ich beobachte seit gut zehn Jahren, dass sich die Leute immer mehr für ihr Essen interessieren und auch sehr ambitioniert zu Hause kochen. Es gibt immer mehr private Kochclubs und -schulen. Die Leute stellen mehr Fragen als früher und sie wissen auch immer mehr. Das Niveau steigt kontinuierlich.

Das klingt optimistisch. Können Sie eine ähnlich gute Bilanz über den gastronomischen Nachwuchs ziehen oder haben auch Sie Schwierigkeiten, Auszubildende und Mitarbeiter zu finden? Mehr und mehr. Ich habe darüber auch schon mit Köchen aus aller Welt gesprochen und sie beklagen alle dieselben Probleme. Junge Menschen stellen sich eine Karriere als Koch häufig zu einfach vor. Sie träumen von schicken Kochjacken und gut sitzenden Frisuren, aber so leicht ist das nicht. Als Koch fängt man ganz unten an. Als allererstes muss man Kochen lernen und sich sehr viel Wissen aneignen. Wir hier schaffen das mit dem Nachwuchs bisher immer irgendwie, aber das ist schon sehr stressig.

Gibt es Pläne für die Zukunft? Ich träume davon, irgendwann den dritten Stern zu erkochen. Aber hier in Holland gibt es ein Sprichwort: Aachen und Köln wurden auch nicht an einem Tag gebaut.

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