SelbstversuchWie es ist, in einer einsamen Luxus-Glashütte Urlaub zu machen

Lesezeit 8 Minuten
Urlaub Glashaus

Viel Stauraum gibt es in der Glashütte nicht.

  • Im schwedischen Dasland stehen mitten in der Natur neun Designer-Hütten aus Glas.
  • Unsere Autorin Angela Sommersberg hat mit ihrem Freund 72 Stunden in einer dieser Hütten verbracht.
  • Was sie dabei über sich selbst gelernt hat.

Ich sitze im Bett, ein dickes Kissen im Rücken, die Beine weit ausgestreckt, und ich will: Nichts. Gar nichts. Diese Erkenntnis überrascht mich.

Fast schon zwanghaft überlege ich, was ich tun könnte. Muss ich nicht noch irgendeine Whatsapp-Nachricht beantworten? Vielleicht mal schauen, was bei Instagram so geht? Meinen Roman weiterlesen? Mit meinem Freund reden? (Der im Übrigen neben mir sitzt und mit seinem Handy spielt). Nein. Ich will wirklich nichts. Ich bin nicht einmal genervt von dem Regen, der auf das Glasdach über unseren Köpfen prasselt. Ärgere mich nicht, dass wir jetzt schwimmen, wandern, uns sonnen könnten, wenn das Wetter besser wäre.

Schweden Glsshaus

Auch bei schlechtem Wetter schön: Der unverstellte Blick aufs Wasser.

Ich will einfach nur so da sein in diesem Zwischenzustand aus Sitzen und Liegen, Schlafen und Wachsein und aus der weit geöffneten Flügeltür hinaus auf den See starren, der zugegebenermaßen bei Sonne auch noch ein bisschen schöner aussieht. Aber es stört mich nicht, dieses Grau in Grau aus Wasser und Wald, dass Bucht um Bucht immer verschwommener aussieht. Kein Ende in Sicht.

72 Stunden im Glashaus ohne Stress

Es ist Tag zwei im Glashaus und dass ich in diesem Moment gar nichts will, irritiert mich zutiefst. Rückblickend wird mir klar, dass sie das wohl war, diese Entspannung, von der vorher alle gesprochen hatten. Aber von Anfang an: Mein Freund und ich sind nach Schweden gereist, nach Mittelschweden, um genau zu sein, nach Dalsland, um genauer zu sein, an den See Iväg, um es ganz genau zu sagen. Dort stehen in einigen Kilometern Entfernung neun Glashäuser. Und in einem davon wohnen wir 72 Stunden lang. Das soll nämlich nachweislich stressreduzierend wirken, heißt es beim Tourismusportal Visit Sweden, das das ganze Projekt 2017 ins Leben gerufen hat.

Laut einer Fallstudie sollen diese 72 Stunden in der schwedischen Natur das Stresslevel um 70 Prozent senken – und die Kreativität steigern. Gestresst sind wir, nachdem wir im Frühjahr unsere neue Wohnung im Hauruckverfahren renoviert haben und kurz darauf umgezogen sind. Und Kreativität kann ich sowieso immer gut gebrauchen. Wird das Glashaus also auch bei uns seine magische Wirkung entfalten?

Magischer Ort auf Stelzen

Als wir ankommen an diesem Montag im Sommer, nimmt Pontus Gyllenberg uns in Empfang. Pontus ist Chef von „Dalsland Aktiviteter“, einem Outdoor-Zentrum, wo Touristen reiten, klettern, Kajak fahren, Elche angucken, wandern, essen und vieles mehr erleben können. Auch Team-Building gehört ins Portfolio des Psychologen. Das Unternehmen hat Pontus’ Vater 1993 gegründet, die beiden Glashäuser sind erst im vergangenen Jahr dazu gekommen. Das, in dem wir wohnen, ist nagelneu. Pontus hat es im Winter, als der See zugefroren war, über das Eis bis zum Fuß der kleinen Klippe ziehen lassen.

Glashütte

Bötchentour (ein kleines Ruderboot gehört zur Ausstattung dazu)

Jetzt steht es da, nur wenige Meter vom Wasser entfernt und sieht ein bisschen aus als würde es schweben. Diesen Effekt erzeugen wohl die kleinen Stelzen. Eine breite Holztreppe führt nach oben, Pontus öffnet die hölzernen Flügeltüren. Sie, die Rückwand und der Fußboden sind das einzige, was hier aus Holz (und blickdicht) ist. Seitenwände und Dach bestehen aus Plexiglas. Drinnen gibt’s ein Bett, zwei Decken, sehr, sehr viele Kissen, zwei Vorhänge und ein paar Teelichter. Das war’s dann eigentlich auch schon. Hinter dem Haus befindet sich ein modernes Plumpsklo (aus Holz, wohlgemerkt) und ein Mülleimer. Unten am Fuß der Klippe ragt ein kleiner Steg in den See hinaus. Ein Tisch, zwei Stühle. Unsere Terrasse.

Natur „all inclusive“

Aus einem kleinen Verschlag hinter dem Haus holt Pontus einen Armee-Rucksack mit allerlei lebenswichtigen Dingen. Er zeigt uns, wie man ein kleines Feuer macht und Wasser erhitzt. Ich lächle und nicke. Mein Freund lächelt nicht. Er sieht konzentriert aus. Denn im Gegensatz zu mir hört er zu. Gut, dass einer von uns sich für den Outdoor-Kram interessiert. Sonst hätte ich wohl drei Tage lang keinen Kaffee bekommen. Das hätte mein Stresslevel sicherlich nicht reduziert.

Ausblixk Glashütte

Der Ausblick von der Glashütte.

Verpflegung ist im Preis für die Glashütte inbegriffen. Natur „all inclusive“ sozusagen. Jeden Abend bringt uns eine freundliche Mitarbeiterin Gerichte, die im mit dem Auto fünf Minuten entfernten Haupthaus vorbereitet wurden: Eine Kühlbox fürs Abendessen und eine fürs Frühstück. Am ersten Abend grillen wir mit dem Kugelgrill auf der Terrasse: Steak, Pflanzenschnitzel, Kartoffelsalat, grüner Salat, Brot, Dip. Das Essen ist fantastisch. Und das liegt nicht nur am See, der leise unter dem Steg plätschert und der Abendsonne, die mir warm aufs Gesicht scheint.

Gäste aus 19 verschiedenen Ländern

Doch das tut sie nicht immer: Am nächsten Morgen regnet es. Am Abend auch. Und am nächsten Morgen ebenfalls. Die Terrasse ist nicht überdacht, die breite Treppe auch nicht. Und in der Hütte ist nur Platz fürs Bett. Wir kauern uns also auf den Boden vor dem Bett, Kaffee, Müsli, Brot, Eier, Käse wild zwischen uns verteilt. Es könnte gemütlich sein, aber es ist auch nervig. Und dann kippt ein Becher Orangensaft auf dem beigen Bettvorleger um, panisch suchen wir die Taschentücher, tupfen, streichen, reiben. Ein bisschen Gelb bleibt für die nächsten zurück.

Glashütte (1)

Die Glashütte liegt direkt am See.

Menschen aus 19 unterschiedlichen Ländern hat Pontus schon in seinen Glashütten beherbergt, Deutsche natürlich, aber auch Australier und Singapurer. Meist seien es Paare, meist im Alter zwischen 40 und 55 Jahren und meist würde die Frau buchen. Ein Outdoor-Erlebnis für den Mann mit gemütlichem Bett für sie. Ähnliche Gedanken hegte ich zugegebenermaßen auch, als ich meinen Freund fragte, ob er mit mir ins Glashaus fahren würde. Nur, dass wir ein paar Jahre jünger sind.

Auf Biber- und Elch-Safari

Schon am ersten Abend bleibt keine Zeit zum Verweilen. Zusammen mit Pontus begeben wir uns nach dem Essen auf Biber-Safari. Richtig gelesen. Zunächst mit dem Geländewagen, dann zu Fuß über Moos und Zweige scheucht der 40-Jährige uns mitten durch die Walachei bis zu einem Platz, an dem wir einen weiteren, kleineren See überblicken können. Wir starren aufs Wasser und warten auf die Biber, die wir irgendwann in sehr weiter Entfernung schwimmen sehen. Das war wohl nix.

Dafür fährt Pontus uns auf Umwegen zurück zu unserer Hütte – ich hatte ihm erzählt, dass ich in diversen Schweden-Urlauben noch nie einen wild lebenden Elch gesehen habe. An diesem Abend entdecken wir drei. Einer im Dickicht, einer im mystisch aufziehenden Abendnebel, einer am Straßenrand. Riesen-Geweih inklusive. Das kann ich dann also von meiner Bucket-List streichen. Am nächsten Tag geht’s weiter: Wanderung übers Gelände, Elchpark, Bötchen-Tour.

Elch Schweden

Der Elchpark ist Teil des Zentrums.

Ursprünglich hatte ich erwartet, dass wir drei Tage am See sitzen und nichts tun würden. Einige Tage zuvor hatte ich mir in Göteborg panisch noch ein weiteres Buch gekauft. Was mich jedoch stutzig gemacht hatte: Einige Wochen vor dem Trip bekam ich eine Aktivitäten-Liste per Mail geschickt, von der ich etwas auswählen sollte. Wahllos hatte ich ein paar Kreuzchen gesetzt. Die arbeiten wir jetzt ab.

Reiten und Kajak fahren gegen die Langeweile

Pontus gegenüber äußere ich meine Irritation. Sollten wir für die absolute Entspannung nicht lieber am See sitzen bleiben? Die meisten Leute, die bei ihm buchen würden, wollten das so machen, sagt Pontus. „Aber spätestens am zweiten Tag kommen sie bei der Rezeption vorbei und wollen doch eine Aktivität buchen.“ Langeweile und so. Viele entschieden sich für Reiten oder Kajak fahren. Weil mein Freund keine Pferde mag, nehmen wir das Kajak.

Tina, die dänische Mitarbeiterin, bringt uns und die Boote zum nahegelegenen Fluss, gibt uns eine kurze Einweisung. Mein Freund setzt sich ins Kajak, gleitet ins Wasser, paddelt los. Da haben mein Kajak und ich uns längst um uns selbst gedreht und am anderen Ufer verheddert, ich komme nicht mehr raus, weiß nicht, wie ich das Ding steuern soll, fühle den Kontrollverlust, werde panisch. Von wegen Entspannung.

Grillplatz

Der Grillplatz an der Hütte.

Doch Tina ist, wie alle Mitarbeiter hier sind: Unfassbar hilfsbereit. Sie ruft Pontus an und bittet ihn, uns auf der Paddeltour zu begleiten, verbindet mein Kajak und ihres mit einem Seil und steuert mich so lange durch den flachen Fluss bis das Kajak und ich uns angefreundet haben. Nach einer Stunde sind wir am Ziel. Voller Muskelkater im Nacken, aber mit dem Gefühl, die Panik besiegt zu haben.

Kleine Insekten im Bett

Vor dem Trip hatten wir uns Gedanken darüber gemacht, was uns möglicherweise stressen könnte. Zwei Punkte standen auf der Liste: sanitäre Anlagen und Mücken. Punkt eins erledigt sich recht schnell: Im Haupthaus gibt es ausreichend gespülte Toiletten und Duschen. Auch die Gleichung Schweden plus Sommer plus See gleich Mückenplage geht nicht auf. Denn der Iväg ist ein großer See mit vielen Zuflüssen. Das Wasser ist immer ein bisschen in Bewegung und das mögen Mücken nicht.

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Doch dafür entdecken wir abends an Tag zwei (nach der Tiefenentspannung) etwas anderes: Durch die Hütte krabbeln ein paar kleine, schwarze Insekten. Und sie scheinen sich ausgerechnet in unserem weichen, gemütlichen Bett mit den weißen Laken besonders wohl zu fühlen. Was folgt ist ein kurzer Ekelanfall, vor allem, da sich kürzlich mal wieder eine Zecke in mir festgebissen hatte. Dann ziehen wir das Bett ab, schütteln Laken, Decken und Kissen, kontrollieren jeden Zentimeter Bettwäsche, und beziehen alles wieder neu. Das hier ist eben ein wunderschönes Bett an einem wunderschönen Ort. Der Natur. Und weil die hellen Holzdielen in Rückwand und Boden nicht komplett verleimt sind (Stichwort Luftzirkulation), kommen ein paar Naturbewohner hier eben auch rein. Wie beim Zelten. Nur in Luxus.

Wohltuendes Nichts

Trotzdem guckt die Mitarbeiterin an der Rezeption genauso angeekelt wie wir, als wir bei unserer Abreise von den Insekten erzählen. Daran werden sie auf jeden Fall etwas ändern, verspricht sie. Auch das mit dem Platz und dem Essen notiert sie sich. Wir gehen nochmal schwimmen. Und verlassen dann diesen Ort mit der Gewissheit, ihn irgendwann in diesem Leben wieder zu sehen. In Gedanken sitze ich jetzt, zwei Monate später, wieder im Bett, ein imaginäres Kissen im Rücken, die Beine weit ausgestreckt und ich kann mich hervorragend zurückbeamen in dieses wohltuende Nichts.

Diese Reportage wurde unterstützt von Visit Sweden und Westsweden Touristboard.

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