„Kochen ist körperlicher Stress”Wie hält man 15 Jahre drei Sterne, Joachim Wissler?

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Joachim Wissler bei der Arbeit

  • Joachim Wissler kocht in seinem Restaurant „Vendôme“ in Bergisch Gladbach seit 15 Jahren auf Weltniveau. Jahr für Jahr verteidigt er seine drei Sterne, die höchste Auszeichnung in der Welt der Gastronomie.
  • Der Erfolg ist hart erarbeitet, die Arbeitszeiten lang, Kranksein ist nicht vorgesehen.Wie bleibt man unter diesem Druck noch kreativ?
  • Im Interview erzählt Wissler, warum er sich in der Küche ausnahmslos siezen lässt, von den guten und schlechten Seiten des Berufs – und warum Essen der wichtigste Bestandteil im Leben aller sein sollte.

Herr Wissler, wie schafft man das, so viele Jahre mit Sternen gekrönt zu sein?

Seit 15 Jahren habe ich die höchste Anzahl: drei Sterne. Natürlich schätze ich den Erfolg sehr, aber ich bin ein geerdeter Mensch geblieben und habe mich vom Erfolg nie einengen lassen. Und ich habe Demut vor dem Erfolg. Die Neugier, neue Dinge zu entdecken und weiterentwickeln zu wollen, hat mich nie verlassen.

Haben Sie nie gedacht, dieses Mal könnte es eng werden? Oder auch: Ich will nicht mehr?

Nein, nie. Sterneküche ist extrem anstrengend und stark personifiziert. Das heißt, ich bin fast immer präsent und man trägt große Verantwortung. Das habe ich bewusst gewählt ab dem Zeitpunkt, an dem ich mich entschlossen habe, dass ich an der Spitze kochen will. Zu resignieren war für mich nie ein Thema. Aber es gibt natürlich immer wieder Situationen, die zusätzlich viel Kraft kosten. Zum Beispiel der administrative Bereich wie Personalakquise und andere Dinge, die nichts mit dem Kochen zu tun haben, aber zu einem Betrieb wie dem „Vendôme“ nun mal dazu gehören.

Der Druck, dem Sie als Sternekoch ausgesetzt sind, ist enorm. Wie gehen Sie damit um?

Kochen ist körperlicher Stress, den ich aber nicht als negativen Stress empfinde, sondern der mich fordert. Für mich ist ein gutes Familienleben als Ausgleich extrem wichtig. Man braucht die Privatsphäre, um zur Ruhe zu kommen und die Grenze zum Berufsalltag zu ziehen. Als Ausgleich bewege ich mich viel, bin sportlich aktiv und fahre Rennrad. Der Körper muss gesund sein und bleiben, damit auch der Geist gesund ist und ich an stressigen Tagen und Wochen Kraft und Energie habe.

Zur Person

Joachim Wissler, 56, verheiratet, ein Sohn, stammt von der Schwäbischen Alb und zählt zu Deutschlands einflussreichsten Köchen. 1995 bekam er seinen ersten Michelin Stern, seit 2006 ist er ununterbrochen mit drei Sternen ausgezeichnet. Seit 2000 führt er die Küche des Restaurant „Vendôme“ im Grandhotel Schloss Bensberg.

Wissler ist auch bei den „Fine Food Days Cologne“ dabei, einem Festival mit Spitzenköchen aus Köln und der Region und besonderen Genuss-Events vom 31. August bis 8. September. (mas)

Ihre Kreativität am Herd scheint nie zu versiegen. Woher holen Sie sich Inspiration und Ideen?

Aus vielen Richtungen, denn es gibt ja keinen Brockhaus für Gerichte eines Drei-Sterne-Kochs. Ich schöpfe aus Kindheitserinnerungen, den Düften, Gerüchen und Erlebnissen – in erster Linie aber aus den Jahreszeiten und welche Produkte von bester Qualität sie mir bieten. Ich kreiere daraus immer neue Gerichte.

Haben Sie Vorlieben?

Ja, ich bin ein unglaublich begeisterter Fischesser. Im Lechtal habe ich einen Fischteich-Besitzer entdeckt, der Seeforellen und Bachforellen züchtet. Seine Bachforellen sind dreieinhalb Jahre alt, rund ein Kilo schwer und fantastisch. So einen herausragenden Fisch zuzubereiten macht Freude – schon wenn man ihn in der Hand hält, spürt man das Besondere.

Wie setzen Sie Ihre Ideen um?

Neue Gerichte werden immer wieder überarbeitet, verbessert, verändert, verfeinert – ein fortlaufender Prozess. Vier bis fünf Mal pro Jahr wird die Menüfolge mit zehn bis 14 Gerichten komplett ausgetauscht. Wenn alles stimmt bei den Gerichten, überlegen wir, wo sie im Menü ihren Platz haben.

Bestimmen Sie das allein?

Nein, auch mein Stellvertreter, der hervorragend ist, setzt meine Ideen mit meinen Vorgaben in die Praxis um. Wenn alles steht, kommt das Menü für einen kleinen Kreis von Stammkunden auf die Speisekarte. Sie probieren die neuen Gerichte, damit ich ein Feedback bekomme, ob es so empfunden wird, wie ich es geplant habe, ob es also ein schöner Teller geworden ist.

Zieht Ihr Team in der Küche immer mit oder sagen die auch schon mal: Joachim, das halten wir nicht für gut?

In der Küche gibt es keinen, der mich duzt. Das ist nicht überheblich von mir, sondern meine Art des Umgangs. Alle Mitarbeiter haben einen großen Anteil am Erfolg. Aber letztendlich ist es so: Einer macht die Vorgabe und muss dafür auch die Verantwortung tragen – und das bin nun mal ich. Wer Erfolg und Niederlagen verkraften muss, der hat auch das Sagen.

Haben Sie ein junges Team?

Das sind 14 sehr junge Menschen, die sehr fleißig sind. Sie wissen, dass das ein großer Abschnitt in ihrem Berufsleben ist, der sie weiterbringt, so dass sie Karriere machen können. Jeder von ihnen kommt morgens, hat seinen Plan schon im Kopf, was er alles zu erledigen hat und was vorzubereiten ist, um einen guten Ablauf zu garantieren.

Gibt es Arbeitstage, die Ihnen besonders gut gefallen?

Die schönsten Tage sind die, an denen ich mich voll auf meine Arbeit konzentrieren kann, nicht gestört werde durch Mail-Konversation oder andere Dinge. Dann kann ich mich in meine Arbeit fallen lassen, obwohl wir viel zu tun haben.

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Krank werden dürfen Sie nicht?

Es ist schon ziemlich lange her, dass ich wegen einer Krankheit nicht zur Arbeit gehen konnte. Das letzte Mal so vor acht Jahren. Da habe ich einen Tag gefehlt.

Wann ist der Stress für Sie am größten?

Mittwochs, weil extrem viel zu tun ist, neue Ware besorgt werden muss und wir sehr fokussiert und geplant in den Tag starten müssen. Und natürlich, wenn die ersten Gäste zwischen 19 und 20 Uhr kommen. Unser Restaurant ist zu über 90 Prozent ausgebucht. Wenn alle da sind, bestellt haben und die erste Stunde vergangen ist, ist alles im Fluss. 

Brauchen Sie Lob und wer gibt Ihnen das?

Jeder freut sich über Lob, weil es die ehrlichste Form der Anerkennung ist – auch ich. Aber ich respektiere genauso Kritik, die ebenso Bestandteil meiner Arbeit ist. Aber das Lob überwiegt. Ich freue mich, wenn es von Menschen kommt, die genießen können.

Was freut Sie am meisten als Reaktion auf Ihre Koch-Kreationen?

Genauso wichtig, wie die Teller, die aus der Küche rausgehen, sind die Teller, die zurückkommen. Wenn sie leer sind, gefällt mir das am besten.

Wenn man einen schlechten Tag hat, schlägt sich das auf die Arbeit nieder. Wie verhindern Sie das?

Es ist total menschlich, dass Probleme uns beeinflussen, auch wenn sie mit der Arbeit nicht unbedingt etwas zu tun haben. Aber ich versuche, diese Gefühle gar nicht erst aufkommen zu lassen. Das macht einen guten Chef aus, wenn er diese Gefühle abschütteln kann.

Alle reden vom Essen, erzählen von Erlebnissen in angesagten Restaurants – sind Essen und Ernährung heute zur Ersatzreligion geworden?

Das sehe ich nicht so. Ich behaupte, dass Menschen, die sich mit guter Ernährung und Essen befassen, verstanden haben, dass Essen der wichtigste Bestandteil im Leben ist – wichtiger als alles andere. Denn es beeinflusst unseren Körper und unsere Gesundheit. Ich finde es gut, dass sich immer mehr Menschen damit befassen, was Ernährung mit uns macht.

Was denn?

Dass man sich eben nicht fortlaufend mit wohl schmeckenden Pommes frites fit und gesund ernähren kann, sondern dass ein gesunder Körper gut ernährt werden will. Nur so kann man später viele Medikamente sparen. Hinzu kommt, dass der Einfluss guter Lebensmittel, egal ob im Anbau oder in der Tierzucht, die Menschen sensibel macht für die Auswirkungen auf die Umwelt.

Vorausgesetzt man kann sich die gute Qualität der Lebensmittel auch leisten.

Es gibt Menschen, deren Budget erlaubt es nicht, solche Prioritäten zu setzen. Das beschäftigt mich und ich bedaure das sehr. Diese Ungleichheit wird nicht abzuschaffen sein. Aber die meisten Menschen können Prioritäten setzen. Ich muss mich entscheiden, ob ich mir ein Jahr lang eine gute Ernährung leisten will oder einen aufwändigen Urlaub.

Sind andere Nationen weiter als wir?

In Frankreich und Italien leben auch Menschen, die nicht viel Geld zur Verfügung haben und trotzdem qualitativ gut essen, weil Essen für sie eine Wertigkeit hat, für die sie Geld ausgeben.

In Köln starten im August die Fine Food Days Cologne. Sie sind auch dabei. Was soll den Gästen vermittelt werden?

Köln und sein nahes und weiteres Umfeld haben kulinarisch unglaublich dazugewonnen. Was in den 1970er und 1980er Jahren begonnen hat, trägt heute flächendeckend Früchte. Viele junge Köche, die in guten Restaurants gelernt haben, sind heute selbst Chef eines Restaurants. In Deutschland wurde noch nie so gut gegessen wie heute, selbst in der kleinen, ehrlichen Gastronomie. Das ist beeindruckend.

Wenn junge Köche dahin wollen, wo Sie sind, was brauchen sie dafür?

Die Entschiedenheit, den Beruf zum Mittelpunkt ihres Lebens zu machen. Man muss sich mit seiner harten Arbeit identifizieren, die man täglich verrichtet. Dann ist das der schönste Beruf, denn so viel Kreativität kann man nur selten einsetzen. Wer Erfolg haben will, muss hart dafür arbeiten, Disziplin mitbringen und Glück haben.

Welches Glück ist Ihnen widerfahren?

Dass mir vor 25 Jahren nach einem Gespräch von über zwei Stunden mein Gegenüber gesagt hat: Ich glaube, dass Sie genau der richtige Mann für unser Unternehmen sind.

Das war wo?

In Erbacher Schloss Reinhartshausen, wo ich 1995 meinen ersten und 1996 meinen zweiten Stern bekam.

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