Gesundes Baby geborenSchwanger während der Chemotherapie

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Übelkeit? Keine Regel? "Das sind die Nebenwirkungen der Chemotherapie" sagten die Ärzte. Und Brüsemeister glaubte ihnen.

Übelkeit? Keine Regel? "Das sind die Nebenwirkungen der Chemotherapie" sagten die Ärzte. Und Brüsemeister glaubte ihnen.

Sie hat es nicht gewusst. Während einer Zeit, in der andere Schwangere dreimal überlegen, ob sie eine Kopfschmerztablette nehmen, sich die Haare färben oder das Mettbrötchen auf der Party wirklich essen sollen, hat Maren Brüsemeister mehrere Chemotherapien und Bestrahlungen über sich ergehen lassen. Dass sie zu diesem Zeitpunkt schwanger war, ahnte sie nicht.

Unter Frauen stellt Brustkrebs die häufigste Krebserkrankung dar, auch in der Schwangerschaft. Bei mehr als 70 000 Frauen stellen Ärzte in Deutschland jährlich die Diagnose. Statistisch gesehen ist eine von 3000 Schwangeren betroffen.

Mehr als 17 000 Frauensterben jährlich daran. Doch die häufigste Krebsart ist gleichzeitig nicht die gefährlichste. Wird er rechtzeitig erkannt und behandelt, ist Brustkrebs meist heilbar. Die genauen Ursachen sind bisher nicht bekannt, es gibt jedoch Risikofaktoren wie zum Beispiel eine Hormontherapie, Rauchen, fettreiche Ernährung, Vererbung und Übergewicht. Auch Männer können an Brustkrebs erkranken, allerdings kommen auf etwa 115 Erkrankungen bei Frauen kommt eine bei einem Mann. (chn)

Buchtipp: Maren Brüsemeister: "Die Löwenstarke", MB Verlag, 330 Seiten, 16,99 Euro.

Sie hat es nicht bemerkt. Bis sechs Wochen vor der Geburt nicht.Maren Brüsemeister ist eine Frau, die mitten im Leben steht. Sie wohnt in der Nähe von Hannover, hat zwei Söhne im Alter von zehn und zwölf, alles ist bestens. Als die Frauenärztin bei ihr eine Verdickung in der rechten Brust entdeckt, versucht die 41-Jährige erst noch, sich selbst zu beruhigen. Doch der Besuch beim Spezialisten bringt die Gewissheit: Der Knoten ist ein Karzinom. Sie hat Brustkrebs.

Drei langwierige Operationen

Nun beginnt ihre Reise durch die Arztpraxen und Kliniken. Es folgen drei langwierige Operationen samt Komplikationen. 18 Wochen lang Chemotherapie, danach vier Wochen Bestrahlungen. Die Übelkeit und das Ausbleiben ihrer Regel finden die Ärzte normal. "Das sind die Nebenwirkungen der Behandlung", heißt es. Auch dass sie an Gewicht zulegt, gehöre dazu, das komme von den kortisonhaltigen Medikamenten. Ihre Jeans passen immer noch, nur den obersten Knopf muss sie offen lassen. Nur fünf Kilo hat die sportliche Frau während der ersten Monate ihrer Schwangerschaft zugenommen. "Ich wunderte mich zwar, dass ich die vermeintlichen Wassereinlagerungen vor allem am Bauch hatte, aber nachdenklich wurde ich erst später." 29 Wochen lang bleibt die Schwangerschaft unentdeckt. "Rückblickend gab es so viele Anzeichen", sagt sie heute. Aber da die Schwangerschafts-Symptome nahezu identisch mit den Nebenwirkungen der Krebsbehandlung sind, ahnte zunächst niemand etwas.

Erst eines Nachmittags, als die heute 44-Jährige erstmals wieder versucht zu joggen, sich dabei aber übergeben muss, dämmert es ihr. Diese Übelkeit kennt sie von ihren ersten beiden Schwangerschaften. In der Praxis ist dann auch ihre Frauenärztin fassungslos. Ob das Baby lebensfähig ist, kann die Ärztin nicht sagen. Auch die Spezialisten in der Frauenklinik attestieren, dass es solch einen Fall in Deutschland noch nicht gegeben hat. Chemotherapie mit unentdecktem Baby im Bauch. Ein Wahnsinn.

Angst um das ungeborene Kind

Die Bestrahlungen werden sofort abgebrochen. Wie es dem Kind geht, wie es die Flut an Medikamenten und Narkosemitteln verkraftet hat, ob es gesund sein wird - keiner der Ärzte kann es mit Sicherheit sagen. Der Ultraschall zeigt, dass das Baby normal entwickelt aussieht. Doch alles Weitere ist ein großes Fragezeichen. "Da stieg große Panik in mir auf. Dazu kamen die Schuldgefühle und die Verantwortung für das Kind, von dem ich bisher noch nicht einmal etwas wusste." Man kann nur erahnen, wie Maren Brüsemeister sich in diesen Tagen gefühlt haben muss. "Absurderweise hatte ich während meiner Krebserkrankung gar nicht wirklich daran gedacht, dass ich in Lebensgefahr war", sagt sie. Sie hatte Schwierigkeiten mit den vielen Nebenwirkungen, der Haarausfall setzte ihr psychisch zu, und auch die Tatsache, dass sie keinen Sport mehr machen durfte. Doch die Lebensbedrohung wurde ihr erst so richtig bewusst, als sie um ihr ungeborenes Kind fürchtete. Die Freude, die schöne Überraschung mit Anfang 40 noch einmal Mutter zu werden, war von dunkelster Angst überschattet.

Bezüglich der Geburt raten die Ärzte zu einem Kaiserschnitt in der Uniklinik. Doch das Baby selbst hat andere Pläne. Fünf Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin macht es sich auf den Weg. Das kleine Mädchen kommt am 20. Januar 2013 ganz natürlich zur Welt - und zwar kerngesund. Maren Brüsemeister und ihr Mann können ihr Glück kaum fassen. Ihre Söhne suchen den Namen für ihre kleine Schwester aus und entscheiden sich für Lia. Übersetzt heißt das "die Löwenstarke".

Heute ist Lia zwei Jahre alt und topfit, wie ihr Kinderarzt sagt. Auch ihrer Mutter geht es gut. Insgesamt ist sie fünf Jahre in der Krebsnachsorge, wenn dann kein Karzinom mehr auftaucht, gilt sie als geheilt. Doch erst jetzt, fast zweieinhalb Jahre nach der Geburt, fängt sie an, sich wirklich zu entspannen. Im ersten Lebensjahr ihrer Tochter dachte sie ständig: "Da kommt noch was. Das kann doch alles nicht sein." Doch Lia ist kerngesund, zum Glück.

Heute sagt Brüsemeister, die inzwischen als Verlegerin, Autorin und Künstlerin in der Wedemark arbeitet: "Wer weiß, wozu es gut war, dass die Schwangerschaft so spät festgestellt wurde." Ihre Tochter habe alles richtig gemacht: "Erst hat sie sich versteckt und dann hat sie sich ganz alleine durchgeschlagen."

Wenn die Ärzte den Fötus früher entdeckt hätten, hätten sie wahrscheinlich zu einer Abtreibung geraten. Vermutlich hätte Brüsemeister sich dann gegen das Kind entschieden. Doch heute hat die dreifache Mutter nicht viel Zeit, über solche Fragen nachzudenken. Lia fordert sie jeden Tag, sie will spielen, toben, essen, lachen und Quatsch machen. Ein ganz normales Kind. Und gleichzeitig ein ganz besonderes.

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