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Interview mit Raimund WilhelmiFasten ist „Fast wie ein Rausch“

Lesezeit 3 Minuten

Raimund Wilhelmi  leitet  die Buchinger-Wilhelmi- Klinik am Bodensee. Wir haben ihn zum Thema Fasten befragt.

Herr Wilhelmi, kann man Nichtessen genießen?

Absolut. Körperlich ist es ein Genuss, weil Sie sich leicht fühlen. Sie haben die ganze Schwere der Verdauungsarbeit nicht, die immerhin zwei Drittel der Energie im Körper beansprucht. Geistig ist es so, dass Sie nach zwei, drei Tagen in einen anderen Bewusstseinszustand kommen.

Klingt im ersten Moment nach Rauschzustand.

Ein bisschen ist das so. Ihr Gehirnstoffwechsel verändert sich. Sie kommen in einen Zustand der Leichtigkeit, in dem sie sich mit geistigen und spirituellen Dingen auseinandersetzen. Das ist auch der Grund, warum das Fasten ja von den Religionsstiftern empfohlen und genutzt wird. Von Buddha über Jesus bis hin zu Mohammed.

Was verändert sich da?

Sie träumen sehr viel und sehr tief. Die Träume gehen sehr weit zurück in Ihre Vergangenheit. Mein Großvater hat das so interpretiert, dass diese Aufräum- und Entgiftungsarbeit im Körper während des Fastens auch im Seelischen stattfindet. Es können auch existenzielle Sinnfragen auftauchen: Lebe ich in meiner Präsenz? Habe ich den richtigen Job? Lebe ich in der richtigen Stadt? Bin ich mit der richtigen Person zusammen? Sie empfinden alles sehr viel tiefer. Das ist auch der Grund, warum wir den Leuten raten, nicht in ihrem normalen Alltag zu fasten, in dem es ja manchmal nicht so harmonisch zugeht. Wir versuchen, unseren Gästen hier mit psychologischen und philosophischen Angeboten, aber auch viel Kunst, Musik und Naturerleben eine heilende Atmosphäre zu bieten.

Ihr Großvater Otto Buchinger, der Begründer des Heilfastens, hat die Klinik im Jahr 1920 eröffnet. Was hat sich denn geändert seit damals?

Das Fasten an sich hat sich gar nicht viel verändert. Aber die Begleitmusik schon. Wir haben uns weiterentwickelt. Es gibt neue Herausforderungen, neue Ideen. Yoga, Tai Chi, Meditation, eine Lehrküche, einen Fitnessraum und Sportlehrer. Da habe ich mich lange gegen gewehrt. Buchinger ist doch Bewegung an frischer Luft. Aber so etwas können Sie nicht verhindern. Inzwischen haben wir wahrscheinlich den schönsten Fitnessraum am ganzen Bodensee, und ich muss zugeben: Das ist toll, wenn Sie da auf dem Laufband stehen, mit Blick auf den See und die Mainau. Durch das internationale Publikum haben wir jeden Abend Vorträge oder Veranstaltungen auf vier Sprachen. Und Psychotherapie ist mein persönlicher Beitrag zu Buchinger. .

Warum kommen die Leute zu Ihnen ?

Es ist nicht so, dass nur dicke, gesunde Menschen zu uns kommen. Wir sind ja kein Spa, sondern eine Klinik. Ein Drittel unserer Patienten kommt tatsächlich mit einer Erkrankung – Bluthochdruck, Rheuma oder Diabetes etwa. Und viele Manager kommen zu uns, nicht wegen ihres Gewichts, sondern weil sie gestresst sind. Stress ist eine der schlimmsten Geißeln der Menschheit.

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