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WintermärchenJan Bonnys Film über drei Rechtsradikale als bewusste Zumutung

Lesezeit 4 Minuten
Wintermärchen

Thomas Schubert als Tommi und Ricarda Seifried als Becky in einer Szene des Films "Wintermärchen"

Es ist Winter, ganz zweifellos. Graue Städte, kahle Bäume, Leute, die sich vor Wind und Regen wegducken und am liebsten ganz schnell in ihren Häusern verschwinden. Doch wenn Becky und Tommy die Wohnungstür hinter sich schließen, weicht die Kälte keineswegs wohliger Gemütlichkeit, auch wenn irgendwo etwas von „Home Sweet Home“ zu lesen ist. Die beiden haben Sex miteinander, der wie ein Zweikampf wirkt. Er läuft mit gesenktem Kopf wie ein getretener Hund durch die Zimmer, sie schreit und erniedrigt ihn, wenn sie nicht gerade in Depressionen versinkt. Und beide faseln wirres Zeug, in dem sich Xenophobie und Gewaltfantasien vermischen. Es ist Winter, aber ein Wintermärchen sehen wir nicht.

Ätzend sarkastisch

Es gehört zu der grimmigen Entschlossenheit Jan Bonnys, dass er seinen Film so betitelt. Das Wort Märchen hat hier eine ausschließlich ironische Bedeutung, ach was, es ist ätzend sarkastisch, wenn nicht gar zynisch gemeint: Bonnys zunächst zwei, dann drei Protagonisten sind Rechtsradikale, die sich in animalischer Körperlichkeit suhlen, die mit brutalen Aktionen von sich reden machen wollen und ihre eigene innere und äußere Verwahrlosung zum Maß aller Dinge machen. Die Kamera von Benjamin Loeb wirkt genauso gehetzt und getrieben wie die Figuren, es liegt eine Atemlosigkeit über den Szenen und dem gesamten Film, die ihm den Charakter einer Flucht verleiht. Alles ist unmäßig: die sexuelle Gier, die seelische und physische Brutalität, aber auch die Art, wie Bonny seine Geschichte erzählt. Eine Zumutung.

Natürlich liegt es nahe, die Figurenkonstellation und die Geisteshaltung dieses Trios auf den sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund, auf Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu münzen. Schießübungen im Wald, fremdenfeindliche Sprüche, schließlich die Ermordung oder vielmehr die Hinrichtung eines türkischen Supermarktbesitzers. All das scheint sein Vorbild in der Realität zu besitzen, so dass „Wintermärchen“ auf den ersten Blick die erschreckende Verblendung dreier Neonazis zu reflektieren scheint, die nicht allein der jüngst zu Ende gegangene NSU-Prozess aufzuarbeiten versuchte. Auch in Kino und Fernsehen hat die Geschichte Spuren hinterlassen wie in Christian Schwochows „Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“ und selbst in Fatih Akins „Aus dem Nichts“.

Doch Bonny legt diesen Kontext nur nahe, ergründen will er ihn in Wahrheit nicht. Im Grunde führt er sogar auf eine falsche Fährte, wenn er den Anschein erweckt, als handele es sich bei Becky, Tommy und später Maik um Personen nach realer Vorlage, ihnen dann aber ein Sexleben andichtet, über das wir schlicht nichts wissen. Vielmehr stellt er nämlich ein soziales Experiment an, eine Art Laborversuch mit drei Probanden, die unter verheerenden psychischen Defiziten leiden und für das Zusammenleben vollkommen untauglich sind. Aber welchen Sinn hat das hochspekulative Geschehen, wenn es einerseits Wirklichkeitsnähe behauptet und sie im gleichen Atemzug verleugnet?

Dauerbeschuss mit Hässlichkeit und Gemeinheit

Ja, denkt man zu Beginn: Genauso schmutzig, verwackelt, homevideomäßig muss ein Film aussehen, der sich mit drei so widerwärtigen Charakteren auseinandersetzt. „Wintermärchen“ ist mit jedem Bild bemüht, die Aura filmischer Radikalität und Kompromisslosigkeit zu verströmen, weil sich Gewalt eben nicht schön darstellen lässt, wenn man sie wirklich zeigen will. Doch man ist zunehmend entweder genervt oder ermattet von diesem Dauerbeschuss mit Hässlichkeit und Gemeinheit, zumal es Bonny nicht gelingt, neue Facetten zu erschließen. Nicht zuletzt in einem politischen Sinn bleibt „Wintermärchen“ eindimensional und erschreckend flach.

Der Film wühlt im Seelendreck, zumal wenn Maik auftaucht, der erst mal einen Striptease aufführt, mit seinen „dicken Eiern“ wackelt und anschließend Becky flachlegt. Was bleibt dem armen Tommy noch, außer einsam vor der Schlafzimmertür zu onanieren? So geht es in einer Tour weiter: Maik und Betty machen Tommy fertig, und alle drei bringen zwischendurch Menschen mit Migrationshintergrund um die Ecke. Es wird gesoffen, gebrüllt und gevögelt, bis man den unangenehmen Eindruck hat, dass sich Bonny angesichts seines Furors selbst gratuliert. Doch was er produziert, ist nur rasender Stillstand.

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Einmal betrinken sich die drei in einer Kneipe, krakeelen alle anderen mit ihren nationalistischen Phrasen nieder, pöbeln gegen einen fremdländisch wirkenden Gast – und plötzlich sind alle Thekenhocker auf ihrer Seite. Was soll das sein? Ein kurz eingeflochtenes deutsches Sittenbild? Doch mal ein politisches Statement zum braunen Sumpf, der größer ist als man denkt? Die Szene ist symptomatisch, weil sie die Wut des Regisseurs zum Ausdruck bringen soll, aber rein reflexhaft wirkt.

In seinem Film „Gegenüber“ hat Jan Bonny häusliche Gewalt dargestellt, und wie im „Wintermärchen“ war es auch dort die Frau, die zuschlägt. „Gegenüber“ war auch deshalb so eindrucksvoll, weil er nicht ständig auf gleichbleibend hoher Betriebstemperatur lief, sondern Nuancen zuließ. Diese bleibt der neue Film schuldig.

Infos zum Film

Wintermärchen Deutschland 2018, 125 Minuten, R Jan Bonny, D Jean-Luc Bubert, Ricarda Seifried

Das Neonazi-Liebesdreieck des Films erinnert an den NSU, wird aber nicht wirklich ergründet. Jan Bonny produziert vor allem rasenden Stillstand.

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