Richtig lernenSo lässt sich das Gymnasium meistern – Tipps vom Experten

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Zuviel Stoff? Durch G8 hat der Stress für Schüler zugenommen.

Zuviel Stoff? Durch G8 hat der Stress für Schüler zugenommen.

Wer auf dem Gymnasium nicht in Stress geraten will, muss auch zu Hause  kontinuierlich lernen,   empfiehlt Buchautor und Lehrer Rainer Ammel. Angela Sommersberg sprach mit ihm über einen guten Lernstil und die Rolle der Eltern.

Herr Ammel, woran hakt es bei Schülern am häufigsten?

Viele Schüler eignen sich einen schlechten Lernstil an. Da wird, gerade auch bei begabten Kindern, viel Potenzial verschenkt.

Wie lernt man denn richtig?

Die Noten geben darüber nicht unbedingt Aufschluss. Nehmen wir etwa einen Schüler mit guter Auffassungsgabe, aber arbeitsvermeidendem Lernstil, der ans Gymnasium kommt. Erstmal läuft alles glatt und schnell stellt sich ein Gefühl der Sicherheit ein. So lange die Noten so bleiben, sind auch die Eltern entspannt. Aber irgendwann kommt man mit dem schludrigen Lernstil nicht weiter, spätestens wenn mehrere Fremdsprachen zu absolvieren sind. In der achten oder neunten Klasse beginnt dann das große Scheitern. Abgesehen davon beobachte ich bei sehr vielen Schülern Folgendes: Erst wenn eine Prüfung ansteht, wird mit dem Lernen begonnen. Was man sich da auf die Schnelle aneignet, ist sehr oberflächliches Wissen. Mit tiefergehenden Fragen ist man überfordert, leichte Abwandlungen der gewohnten Aufgabenstellung werfen einen aus der Bahn. Mit diesem kurzfristigen Lernen eignet man sich auch kein Grundwissen an, was man für die nächsten Themen noch braucht.

Und wie funktioniert das?

Ich propagiere einen kontinuierlichen Lernstil. Weg von diesem Lernen, das sich nur auf Prüfungen bezieht. Schüler sollten jeden Tag ein Pensum von etwa zwei Stunden für Hausaufgaben und zusätzliches Lernen einplanen. Nur so umgeht man die Stressphasen vor Prüfungen und kann auch Grundwissen erwerben.

Wenn ich brav meine Hausaufgaben mache, aber nicht zusätzlich jeden Tag lerne, reicht das also noch nicht?

Naja, bezogen auf die heutige Schullandschaft sind Sie schon mal ganz gut, wenn Sie in der Mittelstufe als pubertierender Schüler tatsächlich regelmäßig und ernsthaft Ihre Hausaufgaben machen. Auf der anderen Seite gehören zu den Hausaufgaben eben nicht nur die schriftlichen, sondern auch die mündlichen Aufgaben. Also beispielsweise, dass man die letzte Stunde in eigenen Worten zusammenfassen kann. Dazu kommt das freiwillige Wiederholen: Wer in seinem Problemfach Mathe regelmäßig Grundwissen wiederholt, kann sich von einer Fünf auf eine Vier hocharbeiten.

Oft verzweifeln Eltern daran, dass ihr Kind zwar begabt ist, aber keine Lust hat zu lernen. Wie geht man damit um?

Das hängt von der speziellen Situation und den beteiligten Charakteren ab. Aber: Ohne sanften Druck von Seiten der Eltern funktioniert es selten. Die Kunst besteht darin, als Eltern den Punkt zu erkennen, ab dem die eigenen Bemühungen das Gegenteil bewirken. Es ist nichts gewonnen, wenn die Kinder dadurch noch mehr Motivation verlieren und immer unselbstständiger werden. Generell würde ich Eltern empfehlen, ihre Kinder in der fünften Klasse an wesentliche Standards heranzuführen: die gewissenhafte Erledigung der mündlichen Hausaufgaben, aber auch Kleinigkeiten wie das vollständige Packen des Schulranzens. Wenn die Eltern sehen, dass es gut läuft, können sie sich zunehmend ausklinken. Leider läuft es oft andersrum: Die Eltern halten sich lange Zeit zurück, weil die Noten passen. Dann kommen in den höheren Jahrgangsstufen die Probleme und die Eltern steigen mit voller Wucht ein. Dabei kann viel kaputt gehen.

Aber wenn man als Eltern gerade in dieser Situation ist, kann man doch nicht zuschauen ...

Ja, das ist ein schmaler Grat. Aber es gibt schon ein paar patente Mittel. Die Eltern können zum Beispiel einen Lern-Vertrag mit dem Kind schließen. Die Eltern sagen zum Beispiel: Okay, ich halte mich zurück und beobachte deine Leistung, bewerte sie aber nicht jeden Tag. Stattdessen gibt es einmal pro Woche ein Gespräch, in dem die Eltern konstruktiv Rückmeldung geben. Denn den Kindern geht dieses tägliche Genörgel natürlich auf den Wecker. Und es ist ein großer Unterschied, wenn die Eltern einen mal in Ruhe lassen.

Und was macht das Kind?

Es verpflichtet sich, mit diesen Freiräumen verantwortungsbewusst umzugehen und zeigt den Eltern, dass es sich mehr anstrengt. Solche Lern-Verträge können hilfreich sein. Gut ist immer, wenn man diese Vertragssituation von einer dritten Person, etwa einem Schulpsychologen, moderieren lässt. Aber es hängt immer davon ab, ob die Eltern es schaffen, sich auf eine längere Experimentierphase von mindestens einem Monat einzulassen. Und, das Kind bereit ist, etwas an der Situation zu ändern.

Wie schafft man es denn, dass Kinder intrinsisch motiviert sind, sich also wirklich für die Schule interessieren?

Interesse an den Lerninhalten ist natürlich immer hilfreich, aber es muss nicht unbedingt intrinsische Motivation sein. Manche kommen mit einem gesunden Wettbewerbsverständnis gut durch. Die nehmen sich vor, in allen Fächern möglichst gut abzuschneiden und bekommen ziemlich schnell raus, wie das gelingt. Wichtig ist, dass überhaupt eine Motivation da ist. Und im besten Fall geht so eine extrinsische Wettbewerbsmotivation in eine intrinsische über. Oftmals sind sich Eltern auch gar nicht darüber im Klaren, wie sehr sie Motivation verhindern. Denn Druck, Vorhaltungen, Missbilligungen, hohen Erwartungen – all das kann das Selbstwertgefühl des Kindes kaputt machen. Und natürlich hat das Kind dann keine Lust, sich auf Schule einzulassen. Da ist ein gewisser Freiraum, der an Bedingungen geknüpft ist, viel hilfreicher. Wenn man dem Kind dann noch Techniken zeigt, wie es sich selbst motiviert, kann aus dieser Kombination was Gutes wachsen.

Was wäre eine solche Technik?

Ich habe schon mehrere Kurse mit Zehntklässlern zu dem Thema gegeben und da hat sich folgendes Schema als gut erwiesen: Die Schüler sollten sich Gedanken darüber machen, was sie demotiviert. Dabei werden vier Ebenen vorgegeben: Körper, Gefühle, Gedanken und äußere Umstände. Was hält dich also körperlich davon ab, das zu tun, was du für richtig hältst? Oft wird hier Müdigkeit und Schlappheit genannt. Wann sind dir deine Emotionen im Weg? Was für negative Gefühle kommen etwa auf, wenn du an Mathe denkst? Was für negative Gedanken stehen dir beim Lernen im Weg? Und letztlich die äußere Umgebung, Zimmer und Schreibtisch: Ist das störungsfrei oder passieren Dinge, die dich ablenken? Diese Demotivationsfelder sollte man analysieren und sich dann überlegen, wie man die Situation verbessern kann. Die Schüler sind da übrigens sehr einfallsreich: Einer duscht jetzt immer, wenn er nach Hause kommt, weil ihn das wach macht.

Aber gibt es nicht auch Schüler, die keine Lust haben – völlig egal, was die Eltern anbieten?

Natürlich gibt es die. Auf das Gymnasium zu gehen, ist keine Selbstverständlichkeit. Und das Gelingen hängt heutzutage viel weniger von der Intelligenz ab als von der Bereitschaft zu arbeiten. Die Eltern sollten dem Kind deutlich machen: Wenn du dazu nicht bereit bist, bist du nicht geeignet fürs Gymnasium. Punkt. Wir gucken uns dein Arbeitsverhalten noch ein halbes Jahr an. Wenn sich die Situation nicht bessert, ist die Realschule besser für dich geeignet. Das soll keine Drohung sein, sondern eine nüchterne Analyse. Wichtig ist, dass die Eltern das ernst meinen. Wenn man da Scheuklappen auf hat und in einem Schulwechsel die absolute Katastrophe sieht – was leider oft der Fall ist – dann verzögert sich der Leidensprozess nur. Ich bin übrigens bisher keinem Schüler begegnet, der den Wechsel an die Realschule aus solchen Gründen bereut hätte. Einige haben dann nach der mittleren Reife mit viel Motivation ihr Abi nachgemacht.

Sie haben Ihr Buch „Gute Noten ohne Stress“ genannt. Glauben Sie, dass Kinder heute mehr gestresst sind als früher?

Ich habe in meinen Anfangsjahren als Lehrer G9 erlebt. Mit G8 hat der Stress deutlich zugenommen. Einmal natürlich durch die erhöhte Stundenzahl. Aber ich glaube, es hat auch etwas damit zu tun, dass das Gymnasium für einen viel größeren Teil der Schüler geöffnet wird, ohne das Niveau zu senken. Bei Übertrittquoten von mehr als 70 Prozent in manchen Großstädten können manche Schüler nur mit sehr viel Coaching von Elternseite, inhaltlicher Hilfe, Nachhilfe und so weiter bestehen. Außerdem erlebe ich die Oberstufe als viel härter. Da gibt es einen gnadenlosen Kampf um Punkte, weil es ein ganz bestimmter Schnitt sein muss. Dieser Kampf macht manche Schüler in der Oberstufe krank.

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