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Wichtigste Ressource in der NaturDie Bedeutung des Bodens war lange Zeit unterschätzt

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Unzählige Lebewesen leben unter der Erde.

Hoch erheben sich die runden Köpfchen des Pilzes über dem modernden Stück Holz. Seine feinen Wurzeln, kaum zu erkennen, überziehen die Fasern und dringen in sie ein. Mit ihnen saugt der winzige Schimmelpilz Nahrung aus den Zellen. Im Holz  findet er genügend Kohlenstoff, um zu leben und sich zu vermehren. Etwas  tiefer im Boden, in einer Spalte, die Feuchtigkeit enthält, leben noch kleinere Wesen, vom menschlichen Auge ohne Mikroskop nicht zu erkennen: Rädertierchen wirbeln ihre Umgebung auf der Suche nach Essbarem auf, und auch Amöben warten darauf, dass nahrhafte Partikel vorbeikommen. Mit ihren Wurzelfüßen ziehen sie Bakterien oder winzigste Algen heran, nehmen sie auf und verdauen sie. Manche werden  auch selbst erbeutet –  von Fadenwürmern, die sich auf der Suche nach Futter durch die Erde schlängeln. Zählen lassen sie sich kaum, nur schätzen.

Milliarden von nützlichen Bakterien

Unvorstellbar viele Lebewesen tummeln sich in einem Kubikmeter, einer Schaufel oder auch nur einem Teelöffel Erde: Milliarden von nützlichen Bakterien und Einzellern, Millionen von Algen, Pilzen und Fadenwürmern. Gegen sie wirken die Käfer und Springschwänze, die kleinen Bodenspinnen und Asseln wie Giganten. Ganz zu schweigen von den Regenwürmern oder  Maulwürfen, die unterirdisch leben. Doch so winzig sie sind: Ohne sie gäbe es keinen fruchtbare Erde, kein pflanzliches, kein tierisches und kein menschliches Leben. Denn sie machen die Nährstoffe im Boden verfügbar, so dass Pflanzen wachsen und Tiere und Menschen sich ernähren können. Kaum mehr als ein Tausendstel der Bodenmasse  machen sie aus. Und dennoch sind sie die Verantwortlichen im Hintergrund, die heimlichen Stars dieses Universums, das sich unter der Erdoberfläche verbirgt. Amöben, Schleimpilze und Milben sind emsige Arbeiter, sie bilden die Grundlage für das Wachstum von Pflanzen. Ihr Kosmos erschließt sich uns Überirdischen nur schwer,   wenn wir hineinschauen, zerstören wir ihn meist. Ein Spatenstich fördert das Unterste zuoberst. Die Kuhle wimmelt vor Ameisen und Milben, Würmer hängen in der Luft. Unsichtbare Pilzfäden sind zerrissen, blasse Springschwänze dem Licht ausgesetzt.   

Jedes hat seine Aufgabe 

Von einem Birkenblatt bleibt nur mehr ein feines Skelett übrig. Fällt es im Herbst zu Boden, machen sich zunächst größere Lebewesen wie Hornmilben und Springschwänze daran zu schaffen. Sie fressen erste Löcher hinein. Schnecken und Asseln, Schnakenlarven und Ohrkneifer nagen das Blatt dann weiter ab, bis nur noch die harten Adern übrig sind. Auch Regenwürmer ziehen sich Stücke davon in die Erde. Gleichzeitig mit den größeren Organismen sind aber auch die Kleinstlebewesen aktiv. Sie ernähren sich von den feinen Resten und dem, was die größeren wiederum ausscheiden. Sie machen die mineralischen Nährstoffe des Bodens für die Pflanzen verfügbar.

Jeder Organismus, der in der Erde lebt, trägt dazu bei, den Boden in seinem Zustand zu erhalten. Es sind vorwiegend Bakterien und Pilze, aber auch Einzeller, die es möglich machen, dass Pflanzen diese Nährstoffe nutzen können. Manche bleiben an Ort und Stelle, weil sie Partikeln anhaften, andere bewegen sich durch die Poren. Sie sind für die gute Durchmischung der mineralischen und organischen Bodenbestandteile zuständig, die sogenannte Bioturbation. Kleine und große Tiere im Boden tragen auf ihre Weise dazu bei, ob der Maulwurf, der Erde verwühlt, Regenwürmer, Ameisen oder Milben. Vom  Standort, der  Bearbeitung und Belastung mit Schadstoffen hängt ab, wie belebt der Boden ist. Auch die Jahreszeiten machen einen Unterschied. Bei Frost und Trockenheit versiegt das Bodenleben. Wenn es im Frühjahr und Herbst feucht wird, wimmelt es vor Organismen. Ob groß wie ein Käfer oder klein wie eine Bakterie –  sie alle tragen dazu bei, dass der Boden ist, was er ist: Eine lebendige Ressource.

In ihm wachsen Salat und Getreide, Apfelbäume und Fichten. Der Boden ernährt uns, und die Humusschicht, die das ermöglicht, ist hauchdünn. Meist wird  Boden als selbstverständlich genommen. Doch er ist endlich. Er erodiert, wird versiegelt und bebaut. Weltweit ist bereits etwa ein Fünftel aller fruchtbaren Böden degradiert, also in der Leistung eingeschränkt. Ein Prozess, der sich nicht rückgängig machen lässt, zumindest nicht im selben Tempo, wie Boden gebraucht wird. Und dieser Prozess schreitet weiterhin fort durch Erosion, die häufig mit der industriellen Landwirtschaft einhergeht. Derzeit stehen noch jedem Menschen im Schnitt rund 2000 Quadratmeter Ackerland pro Kopf zur Verfügung. Im Jahr 2050, wenn prognostizierte 9,5 Milliarden Menschen auf der Erde leben, werden es nur noch 1500 Quadratmeter sein – ein drastischer Verlust angesichts der Tatsache, dass die Flächen heute bereits knapp sind.

Fruchtbarer Boden muss  gehegt und gepflegt werden. Nicht nur die Landwirtschaft ist gefragt bei dem Bemühen, Humus und Bodenleben zu erhalten.  Auch das Tun im Privatgarten zählt. Zwar sind Gärten klein, in der Masse tragen sie jedoch ihren Teil bei. Der Boden ist unter dem Rasen, über den wir barfuß gehen – gut versteckt, es sei denn, Regenwürmer oder Maulwürfe werfen  Haufen auf. Unter dem Laub von Bergenien ist er feucht, zwischen den Möhren auf dem Gemüsebeet trocken. Er trägt die Terrassenplatten, zwischen denen immer wieder ungebetene Kräuter keimen. Er bietet Bäumen festen Halt im Erdreich und gibt ihnen Nahrung. Er lässt Äpfel und Rosen wachsen, Kartoffeln und Rote Bete.

Beachtet wird er jedoch meist nur, wenn er zu trocken ist oder zu nass, zu sandig, steinig oder unfruchtbar. Der ideale Boden sollte locker sein. Im Idealfall enthält er etwa ein Viertel Luft – in den kleinen und größeren Poren. Diese machen das Leben erst möglich. In verdichtetem Boden ist zu wenig Sauerstoff, so dass sich die Nässe staut und die Nährstoffe nicht verwertet werden können. Ein weiteres Viertel ist Wasser, die andere Hälfte bilden Feststoffe,  größtenteils mineralisch, nur fünf Prozent sind organische Materie: vor allem Humus, aber auch Wurzeln und Kleinstlebewesen.  Bodenorganismen in dieser Substanz machen wiederum nur etwa fünf Prozent aus - einen winzigen, aber entscheidenden Anteil. 

Wer seinen Boden gut behandeln will, versteckt ihn im Beet unter Mulch, dann hält die Erde die Feuchtigkeit besser und wird nicht so leicht abgetragen. Aber Boden  braucht auch Nahrung. Immer, wenn etwas entnommen wird – seien es Möhren, Rhabarberblätter oder auch nur das Herbstlaub, muss der Erde etwas zurückgegeben werden. Denn das, was wir verzehren, wegfegen und in die Braune Tonne geben, fehlt im Kreislauf aus Werden und Vergehen. Selbst Rasen, dessen abgemähte Halme nicht liegen bleiben, muss irgendwann gedüngt werden – auch wenn Gras sehr genügsam ist. Im Idealfall bleiben daher Laub und Rasenschnitt als Mulch im Garten.

Umgraben stellt alles auf den Kopf

Gärtner graben ihre Gemüsebeete regelmäßig um. Wenn der Boden außerordentlich schwer ist, wenn ein Neubaugrundstück fruchtbar gemacht oder Rasen in ein Beet verwandelt werden soll, lohnt der Schweiß. Das Erdreich wird so gelockert, dass Pflanzen tief wurzeln können, die Grasnarbe  zuunterst gekehrt.  Umgraben kann aber auch kontraproduktiv sein. Es zerstört die Strukturen im Boden, die sich über einen langen Zeitraum hinweg entwickelt haben. Es stellt den Lebensraum der Organismen auf den Kopf, die sich neu orientieren müssen oder durch die abrupt veränderten Bedingungen eingehen. Denn sie alle haben ihren speziellen Platz in der Erde. Diejenigen, die Sauerstoff brauchen, können in  unteren Schichten nicht überleben, und solche, die kein Licht vertragen, sterben an der Oberfläche.

Es reicht, die  Erde an der Oberfläche zu lockern. Das schont nicht nur die Regenwürmer, die sonst unversehens mit dem Spaten zerteilt   werden. Das Bodenleben bleibt weitgehend intakt, genau wie die  funktionierende Beziehung  der  Pflanzen zu Pilz, Amöbe und Rädertierchen – den  winzigen Helfern. 

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