Interview mit Alan Bangs„Die Leute sind nicht so doof“

Lesezeit 6 Minuten
Alan Bangs (Bild: Meisenberg)

Alan Bangs (Bild: Meisenberg)

Herr Bangs, schalten Sie das Radio ein, wenn Sie mit dem Auto zum Einkaufen fahren?

(lacht) Nein, ich höre so gut wie gar kein Radio.

Wie bitte?

Ich höre oft Musik im Internet. Da gibt es zum Beispiel einen kalifornischen Sender,den finde ich gut. Aber da treten Leute oft live auf, und es geht auch um Kino undKultur. Grundsätzlich will ich mich von Musik im Radio nicht beeinflussen lassen.Ich will meine eigenen Sachen machen, deswegen hat mich auch das Formatradio nie interessiert...

... die Vereinheitlichung des Musikprogramms innerhalb eines Senders ...

... mit der unheimlich viel ausgeschlossen wird. Da gibt es Richtlinien, was nichtzum Programm gehört. Deshalb bin ich damals beim WDR rausgeflogen, weil ich Chopinnach Jacques Brel gespielt habe. Man hat mir gesagt, das gehört nicht zum musikalischenSpektrum. Ich bin nach wie vor stolz, dass man mich wegen Brel und Chopin rausgeschmissenhat, aber noch mehr finde ich es schade, dass junge Leute das nicht unbedingt hörensollen.

Wissen Sie noch, welches Brel-Stück es war?

Das war „Voir un ami pleurer“, und es war ein kurzes Stück von Chopin, das ichübrigens als Einleitung für die Einstürzende Neubauten genutzt habe. Ich fande immerdie Mischung interessant, das Unerwartete. Gerade heute, wo alle Musiktitel im Netzverfügbar sind, muss man irgendetwas anbieten, was mehr ist als nur eine Ansammlungvon Titeln oder Alben.

Sie haben Ihre legendäre Sendung „Nightflight“ wieder aufgelegt. Was ist nach30 Jahren geblieben?

Wenig. Damals habe ich nie in die Musik gesprochen, das war heilig. Ansage, dannkam die Musik. Heute mische ich eine Stunde durchgehende Musik, wo Anfang und Endeeines Stückes nicht ganz klar sind, da moderiere ich dann auch rein. Wer ein Stückhaben will, kann es sich eh für 99 Cent runterladen, der braucht ja nicht mehr dieganze CD, das war früher auch so ein Problem. Nach der ersten Sendung hat mit derProgrammleiter gemailt, er habe sich das chinesische Stück bei „itunes“ gekauft.

Sie spielen chinesische Titel?

Klar, alles Mögliche, aus allen Ländern. Aber es geht nicht um eine Ansammlungvon Songs, sondern wie das alles zusammengebaut wird.

Müssen die Stücke unbekannt sein?

Nicht unbedingt, ich hatte auch Grace Jones drin oder Madonna. Aber, ich willniemanden bedienen, es geht ums Entdecken, das ist der Unterschied zum Formatradio.Ich muss das kurz erklären: Es gibt etwa den Song „Hurt“ von Nine Inch Nails. Darinheißt es „I hurt myself today“, sich selbst Schmerzen zufügen, damit man überhauptetwas spüren kann. Das war das Thema einer Sendung, da habe ich „Hurt“ von JohnnyCash drin gehabt, „Love hurts“ von Gram Parsons war drin und am Ende das zynischeStück von Randy Newman „I want you to hurt like I do“. Den Anfang der Sendung habeich aber anmoderiert mit den kurzen Worten „No Pain, no gain“: ein „Flash Forward“,eine kurze Einleitung, deren Sinn sich erst später erschließt. Es ging in der Sendungvor allem darum, dass Menschen nicht kämpfen, um zu gewinnen, sondern um etwas zuspüren.

Hat jede Sendung ein Thema?

Nicht unbedingt, und das Thema erschließt sich nicht immer über den Text. Sehroft ist es sogar gerade das, was nicht gesagt wird. Ich arbeite gerne mit Stimmungen,die Sendung ist jetzt viel experimenteller als früher.

Ist das Radiomachen, wie Sie es immer gewollt haben?

In gewisser Weise schon. Ich habe mich immer gefragt, wie weit kann man gehen.Die Übergänge sind mir sehr wichtig, teilweise lege ich Sachen 30 Sekunden übereinanderoder schneide Stücke auf andere Längen.

Das ist ja alles keine Straftat. Warum geht so etwas nur in Nischen, und auf WDR 2laufen Chris Rea und Toto in Endlosschleife?

Oder Chris de Burgh, noch schlimmer. Ich glaube, das Publikum wird total unterschätzt.Die Leute sind längst nicht so doof. Gerade die Öffentlich-Rechtlichen müssen dochMusik anbieten. Bei EinsLive hat man mir immer gesagt, du musst dich verändern, dasPublikum ist jetzt jünger. Aber wie haben sie nicht gesagt. Mir selbst war das Alterder Hörer aber immer egal.

Wo suchen Sie eigentlich Musik? Bei „Saturn“ eher nicht, oder?

Nicht mehr, obwohl da früher am Hansaring einige Freaks gearbeitet haben. Diekannte ich, und oft waren bestimmte Platten gar nicht im Regal. Davon kamen nur fünfStück, und die fünf Typen hatten sich alle eine gesichert, weil sie wussten, die willeh keiner kaufen. Das war schön, aber die Zeiten sind andere geworden. Ich lese einigeMusikzeitschriften und stöbere im Internet. Ich habe die Zeit, und finde immer wiederwas.

Die Leidenschaft für Musik hat nicht gelitten?

Nein, wobei ich immer sage: Ich bin kein Sammler. Ich höre Musik, um sie im Radiozu spielen. Vor der neuen „Nightflight“-Sendung habe ich zehn Jahr lang nur vier Malim Jahr eine Sendung im Bayerischen Rundfunk gehabt.

Nachtsession auf BR 2. Es gibt die hübsche Geschichte, dass Sie die Sendeterminenicht so recht nachvollziehen konnten.

(lacht) Ja, bis mir ein Redakteur erklärte: immer wenn ein Monat fünf Freitagehat. Das war natürlich ein Schlag ins Gesicht. Ironischerweise war der BR lange dereinzige Sender, der noch an mich geglaubt hat. Die Sendung wird übrigens beim WDRin Köln produziert und dann nach München geschickt.

Fühlen Sie sich unverstanden?

Nein, das nicht. Aber ich finde es einfach bescheuert: Es ist jetzt 15 Jahre her,dass ich diesen Ärger hatte, und im Grunde war es nicht mal Ärger. Ich habe immergefragt: Gibt es ein Problem mit meiner Musik? Habt Ihr Beschwerden? Dann wäre ichder erste der geht. Das war offenbar nicht der Fall.

Trauen Sie manchmal dem Rockpalast nach?

Nein, weil es heute nicht mehr möglich wäre. Damals gab es kein MTV und keineMusikclips. Das würde heute nicht mehr funktionieren. Die beste Sendung die ich malim Fernsehen gemacht habe, war vielleicht „Music News“ für Sat.1. Weil wir da nachParis, Los Angeles, Dublin oder Berlin geflogen sind. Da wurden die Bilder in dieMusik und die Interviews integriert. Es kam Samstags um viertel nach drei, das hatnatürlich kein Mensch gesehen. Da haben wir etwa in New Orleans Willy de Ville inseinem Holzhaus im French Quarter gesprochen, der hat dann in der Dämmerung und imUnterhemd einen alten Blues auf seiner Akustikgitarre gespielt. Das war wunderbar.

Ihr bekanntestes Interview ist wohl das mit Mitch Ryder im Rockpalast. Obwohles kein Gespräch war, weil er nach einer halben Flasche Jack Daniels kaum noch sprechenkonnte. . .

. . . oder wollte.

Er hat Ihnen nicht geantwortet, aber Sie irgendwann gefragt, ob Sie schon malgesehen haben, wie es zwei Hunde auf der Straße miteinander treiben.

Ja, wir hatten uns zwei Tage vor dem Auftritt kurz kennen gelernt, und er wusste,wenn auf der Bühne was passiert, wird es spannend. Das hat er ausgereizt.

Lesen Sie hier Teil 2 des Interviews:

Rundschau abonnieren