Interview mit Dr. Manfred Lütz„Lieber zu Tante Frieda in die Eifel“

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Chefarzt im Alexianerkrankenhaus: Dr. Manfred Lütz.

Chefarzt im Alexianerkrankenhaus: Dr. Manfred Lütz.

Herr Lütz, Sie sind Psychiater. Warum können Sie den Begriff Burn-out nicht mehr hören?

Warum ich ein regelrechtes Burn-out-Burn-out habe? Weil ich dauernd auf diesen Begriff angesprochen werde. Dabei gibt es Burn-out eigentlich gar nicht! Das ist wie im Märchen bei des Kaiser neue Kleider. Die sind auch da, obwohl alle so tun, als würden sie sie sehen.

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Das mag ja sein, aber im ICD-10-Schlüssel der Weltgesundheitsorganisation kommt Burn-out als Krankheit überhaupt nicht vor.

Anders als früher sind heute die meisten Menschen rund um die Uhr erreichbar. Sind das nicht beste Voraussetzungen fürs Ausgebranntsein?

Im Dreißigjährigen Krieg waren die Leute rund um die Uhr für die Schweden erreichbar. Das war viel unangenehmer. Im 19. Jahrhundert gab es Massenarmut, im 20. zwei Weltkriege. Wir sollten die Kirche im Dorf lassen.

Wenn es das Syndrom nicht gibt - wie erklären Sie die Epidemie?

Das Problem am Begriff Burn-out ist, dass er ein sehr breites Spektrum abdeckt. Das beginnt bei wirklich schweren, behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen - und endet bei Fällen wie dem jenes Studenten, der die Nacht durchgefeiert hat und morgens die Klausur nicht mitschreiben will. Zu meiner Zeit wurde man dann wegen eines sogenannten psychovegetativen Erschöpfungssyndroms krankgeschrieben. Heute ist das eben ein Burn-out.

Das klingt, als wäre Burn-out die klassische Simulanten-Diagnose. Dabei leiden einer finnischen Studie zufolge 53 Prozent der Ausgebrannten unter einer Depression.

Nein. Ich habe ja gesagt, dass sehr schwere Erkrankungen darunter sind. Anfangs stand ich dem Burn-out-Begriff sogar positiv gegenüber. Schließlich hilft er einigen Menschen, die schwere Depressionen haben, sich unter diesem Label in ihrem Umfeld zu outen. Aber das Phänomen, dass heute plötzlich ganz viele Menschen psychisch krank sind, gibt es schlicht nicht. Die schweren psychischen Krankheiten haben in den vergangenen Jahrzehnten nicht zugenommen.

Was verbirgt sich denn hinter einem Burn-out, wenn es nicht gerade schwere Erkrankungen sind?

Zum Beispiel Lebensprobleme. Oder das Peter-Prinzip (Menschen werden so lange befördert, bis sie überfordert sind. Die Red.) Es gibt auch Menschen, die arbeiten 16 Stunden am Tag. Denen sagt ein selbsternannter Burn-out-Experte mit tiefer Stimme: "Sie müssen kürzertreten!" Das hätte meine Oma auch geraten, und es stimmt ja auch. Aber dafür brauche ich keinen Psycho-Experten. Da schicke ich jemanden zu meiner Tante Frieda in die Eifel, die Lebenserfahrung hat.

Noch mal: Was, wenn doch eine Depression dahintersteckt?

Wer schwer leidet und seinen Alltag nicht mehr bewältigen kann, sollte sich unbedingt professionelle Hilfe holen. Aber dazu braucht es keine Selbstdiagnose durch einen Burn-out-Ratgeber. Da stehen oft Fragen drin wie: Schlafen Sie manchmal schlecht? Überfordern Sie sich? So hat jeder schnell ein Burn-out. In einem 20-minütigen Gespräch bei einem beliebigen glücklichen Kölner kriege ich immer ein Burn-out hin - egal, wie seine frühe Kindheit verlaufen ist. Aber so was mache ich natürlich nicht.

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