Interview mit Thomas Brussig„Die DDR-Literatur war so humorlos“

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Autor Thomas Brussig. (Bild: Friedrich)

Autor Thomas Brussig. (Bild: Friedrich)

Im Vorgespräch haben Sie gesagt, dass Sie bei diesem Thema schon eine ganz klumpige Zunge haben. Wird der Mauerfall in der Gedenktags-Gebetsmühle zu Tode georgelt?

Es ist natürlich unmöglich, diesen Termin einfach zu übergehen. Dazu ist der 9. November 89 zu wichtig gewesen. Und dass ich dazu immer wieder gefragt werde, ist ja irgendwo auch meine Schuld. Manuel Andrack muss keine Mauerfall-Interviews geben. Hätt ich mal auch Wanderbücher geschrieben!

Können Sie sich noch an Ihre Gefühle an diesem 9. November 1989 erinnern?

Einerseits herrschte natürlich eine unfassbare Freude. Andererseits war der Mauerfall aus dem unmittelbaren Erleben heraus gar nicht so überragend, sondern nur ein Ereignis in einer Kette ebenso unglaublicher Ereignisse.

Welche Literatur haben Sie damals gelesen?

Ich könnte Ihnen leichter sagen, welche Musik ich damals gehört habe. Aber ich glaube, es war Bukowski. Ich habe als Portier im Ost-Berliner Palasthotel gearbeitet und bin da auch an etwas Westgeld gekommen und habe mir dessen Bücher rüberbringen lassen.

Gab es DDR-Autoren, die die sanfte Revolution befördert oder vorhergesehen haben?

Es gab natürlich Dissidenten, Kritiker, Gegner - aber ich wüsste niemanden auf der Welt, der das so vorhergesehen hat. Das beweist nicht, dass Intellektuelle dumm oder fantasielos sind, sondern wie unglaublich, ja, utopisch das war, was 89 geschah. Selbst Biermann sang vom „Bernstein der Balladen / den werden dann die schönen Frauen / im Kommunismus tragen“. Also auch bei ihm: Ferne Zukunft gleich Kommunismus.

Einige wie Biermann oder Erich Loest waren zu dieser Zeit schon im Westen. Hatten Sie das auch erwogen?

Das fragte sich ja im Sommer 1989 jeder: Gehste oder bleibste? Ich habe mich vor allem aus einem Gefühl der Vertrautheit und ein bisschen Unbehagen vor dem Fremden gegen das Weggehen entschieden, obwohl ich auch nicht weiter so leben wollte. Mir war aber klar, dass ich bei so etwas wie der „chinesischen Lösung“ gegangen wäre. Aber so sehr ich der DDR ihr Ende gegönnt habe, das war ja nun kein blankes Terror-Regime. Das System glaubte zu wissen, was gut für „unsere Menschen“ sei. Wer andere Vorstellungen hatte, bekam dann mit den „zuständigen Organen“ zu tun.

Das westliche Vorurteil vom grauen Leben hinter der Mauer haben Sie ja mit „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ revidiert...

Wobei man so eine Mauerkomödie erst nach dem Mauerfall schreiben konnte. So lange an der Mauer tatsächlich Menschen umgebracht wurden, wäre das zynisch gewesen.

Trotzdem war man ja auch in der DDR jung und verliebt...

Na, und stellen Sie sich mal vor: Wir haben auch mit Messer und Gabel gegessen, haben die Toten bestattet, und wenn sich zwei junge Menschen liebten, dann wurde geheiratet.

Umgekehrt erkennen Figuren Ihres Wenderomans „Wie es leuchtet“: „Sie waren im Westen, und es schnurpste nicht.“ Wie geht es Ihnen: „Schnurpst“ das vereinte Deutschland?

Gemessen an der Erwartungen, ist die deutsche Einheit gewiss eine Enttäuschung. Aber es gab ja auch Befürchtungen, Stichwort „Viertes Reich“. Oder dieser Gag aus einer US-Late Night Show: „Die beiden Deutschländer wollen sich jetzt wieder vereinigen. Da fragt sich natürlich alle Welt, wann sie auf Tournee gehen.“ Und vor diesem Hintergrund war die deutsche Einheit dann letztlich doch ein Erfolg.

Und die Enttäuschungen?

Die Veranstaltung hieß „Wiedervereinigung“, aber im Osten hat sich fast alles, im Westen fast nicht geändert, wenn man vom Soli und dem Hauptstadtumzug absieht. Ich glaube, mittlerweile spielen Mentalitätsunterschiede auch keine Rolle mehr, wenn man darüber rätselt, warum die innere Einheit immer noch nicht gelingt. Die Arbeitslosigkeit ist im Osten noch immer doppelt so hoch wie im Westen. Bei der Vermögensverteilung klafft noch eine riesige Lücke. Oder Führungspositionen: Gibt es ostdeutsche Generäle, ostdeutsche Vorstände?

Würden Sie also mit Günter Grass sagen, dass wir die Einheit vermasselt haben?

Absolut. Die Fehler wurden am Anfang gemacht, und da lässt sich auch nichts reparieren.

Kommt daher die „Ostalgie“, die ja im Westen als eine Art Geschichtsklitterung gilt?

Ostalgie ist eine aufreizende Spielart der Nostalgie - zu deren Wesen nun einmal das Vergessen des Unschönen und das Verklären gehört. Ich glaube, die DDR lässt sich am besten in Paradoxien erklären. Die Autorin und Journalistin Abini Zöllner sagte mal: „Ich sehne mich nach der DDR, aber ich möchte sie nicht wiederhaben.“ Man muss schon in der DDR gelebt haben, um sie nicht zu begreifen.

Wer hat denn, Thomas Brussig mal ausgeklammert, den besten Wenderoman geschrieben?

Puh! Da bringen Sie mich nun wirklich in Verlegenheit.

Was ist mit Tellkamps „Turm“?

Ein großartiger Roman, der die Verhältnisse in der Endphase der DDR präzis und auch in gekonnten Überdimensionierungen beschreibt - aber kein Wenderoman. Zur Wende gehört ja der schwankende Boden, auf dem sich alle bewegten, dieses Jetzt-werden-die-Karten-neu-gemischt-Gefühl. Mir hat ein kleiner Roman gefallen: „Alles nur geklaut“, eine Art forensische Autobiografie von Falko Hennig. In der DDR klaut er Bücher aus Bibliotheken, ein Einbruch in eine Kaufhalle ist, glaube ich, auch dabei. Nach dem Mauerfall richtet sich die kriminelle Energie eher auf Versicherungsbetrüge. Und plötzlich war sogar Schwarzfahren ein Delikt! Systemvergleich unter dem Aspekt kleinkrimineller Entfaltungschancen - eine gute Idee.

Was hat die Wende für die Autoren aus dem Osten bedeutet?

Das war sehr unterschiedlich. Natürlich ist für viele Autoren der Resonanzraum ihrer Anspielungen weggefallen. Viele haben sich in den ersten Jahren nach der Wende nur gequält. Dazu kamen ganz handfeste Fragen, etwa, in welchem Verlag man unterkommt, wenn der eigene untergeht.

Und für die Jüngeren wie Sie?

Ich kann mich nicht beschweren. Die DDR-Literatur war so humorlos, dass die Welt nach komischer Bewältigung dürstete. Das ist mir allerdings erst klar geworden, als mein Roman „Helden wie wir“ erschien. Solange ich den schrieb, dachte ich, das hat was mit DDR und Stasi zu tun, also Themen, die als Bürgerpflicht gelten. Dass man so was freiwillig liest, galt ja damals als ausgeschlossen.

Ärgert es Sie, immer noch als Schriftsteller aus dem Osten wahrgenommen zu werden?

Zugegeben, DDR und deutsche Einheit war für mich thematisch ein Geschenk, das ich gern angenommen habe. Nun bin ich aber immer ein „ostdeutscher Schriftsteller“. Gibt es auch „westdeutsche Schriftsteller"? Manchmal antworte ich auf die idiotischsten Mails oder Anfragen aus irgendwelchen Redaktionen nur, weil das Thema nichts mit dem Osten zu tun hat. Bin ja geradezu dankbar dafür, dass man mir auch andere Themen zutraut als immer nur, wie denn nun die Kartoffelsuppe von Ostberlin geschmeckt hat.

Werden Sie das Thema DDR in künftigen Werken verlassen?

Ich hab ja nun schon ne Menge über die DDR gesagt. Aber Günter Grass ist ja auch immer wieder auf Danzig gekommen. Solange ich mich und andere nicht langweile, kann ich für nichts garantieren.

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