Kleiner Piekser, große Wirkung?

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Vorsorge ist das „A und O”

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Was ist eine Grippe?

Die Influenza ist eine ansteckende Infektionskrankheit der Atemwege. Das Influenza-Virus wird üblicherweise über die Tröpfcheninfektion, also durch Husten oder Niesen, von einem Menschen auf den anderen übertragen. Das Virus greift die Schleimhaut der Atemwege an und mindert die Abwehrkraft. Dadurch ist der Körper anfälliger für andere schwere Komplikationen wie beispielsweise bakterielle Lungenentzündungen.

Grippe ist die Infektionskrankheit, an der jährlich mehrere tausend Menschen in Deutschland sterben. Die Grippe ist weltweit verbreitet. Auf der Nordhalbkugel tritt die Grippe vor allem von Dezember bis April, auf der Südhalbkugel von Juni bis Oktober auf.

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Die Grippe hat allerdings nichts mit der allgemeinen Erkältung zu tun. „Die Verwechslung ist ein Problem der deutschen Sprache. 'Grippe“ und 'grippaler Infekt' liegen sprachlich nah beieinander“, sagt Professor Bernhard Ruf, Leipziger Experte auf dem Gebiet hochansteckender Krankheiten.

Die Grippe bricht oft schlagartig aus. Wichtige Symptome sind ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl im ganzen Körper, hohes Fieber bis 40 Grad Celsius, dazu unter anderem Schüttelfrost, trockener Husten und Schnupfen. Ein grippaler Infekt hingegen ist eine Erkältung, die in der Regel nach einer Inkubationszeit von etwa zwei bis acht Tagen harmlos verläuft und selten länger als eine Woche dauert.

Wie wird geimpft?

Die Grippe-Impfung ist ein Totimpfstoff, das bedeutet, der Impfstoff besteht aus Influenza-Viren, die die Krankheit nicht mehr auslösen können. Da sich das Influenza-Virus ständig verändert, muss jedes Jahr neu geimpft werden. Um herauszufinden, wie sich die Erreger verändern, arbeiten die Weltgesundheitsorganisation und Nationale Referenzzentren zusammen. So werden jährlich die Richtlinien für den aktuellen Influenza-Impfstoff festgelegt. Wichtig sind bei dem Impfstoff vor allem die so genannten „inaktivierten Spaltimpfstoffe“. Diese werden aus Viren hergestellt, die in Hühnerembryonen gezüchtet werden.

Nach der Impfung entwickelt der Körper Antikörper, die später echte Influenza-Viren abfangen. Der Schutz beginnt ungefähr zehn Tage nach der Impfung. Vor Erkältungen schützt die Impfung nicht, da ein grippaler Infekt von anderen Viren ausgelöst wird.

Wie sind die Nebenwirkungen?

Gering. Die Impfung ist im Allgemeinen sehr gut verträglich. Möglich sind in der Regel lediglich leichte Reaktionen an der Injektionsstelle und Allgemeinreaktionen, wie Abgeschlagenheit, Magen-Darm-Beschwerden oder Temperaturerhöhungen.

Wie sinnvoll sind Impfungen?

Geht man nach den Gesundheitsbehörden der Industriestaaten, kann die Antwort nur sein: sehr sinnvoll. Beinahe flächendeckend werden gerade für die Risikogruppen ältere Menschen, chronisch Kranke und Kleinkinder Impfungen dringend empfohlen. Tom Jefferson stellt dies in Frage. Jefferson leitet die Impfstoff-Abteilung der Cochrane-Vereinigung, einem weltweiten Netz von Wissenschaftlern, deren Ziel es ist, systematische Übersichtsarbeiten zur Bewertung von medizinischen Therapien zu erstellen. Jefferson hat kürzlich 64 internationale Studien zur Wirksamkeit von Grippeimpfungen analysiert. Ergebnis: Gerade bei älteren Patienten oder Kranken hält Jefferson eine Schutzimpfung für weitgehend überflüssig. Der Mediziner sieht keinen Beweis dafür, dass die Maßnahme für Personen über 65 Jahren die Zahl und Dauer grippebedingter Klinikaufenthalte oder Todesfälle beeinflusst. Auch Asthmatiker oder Patienten mit Mukoviszidose würden nicht von einer Grippeimpfung profitieren. Bei Kindern unter zwei Jahren ist nach Ansicht Jeffersons die Schutzwirkung „nicht größer als die eines wirkstofffreien Placebos“.

Dass gerade bei sehr jungen und älteren Menschen die Schutzwirkung einer Impfung geringer ist, ist laut Robert-Koch-Institut bekannt. Ursache sei das in der Regel schwächere Immunsystem. „Bei älteren Menschen besteht jedoch trotz des nicht optimalen Infektionsschutzes eine gute Schutzwirkung gegenüber komplizierten Verläufen der Grippe“, meint der Influenza-Experte Dr. Tom Schaberg.

Schabergs Leipziger Kollege Professor Ruf hält es für fahrlässig, Kleinkinder nicht zu impfen: „Das hat ein Vorkommnis in Japan gezeigt.“ Dort sei vor einigen Jahren das Grippeimpfprogramm für Kleinkinder komplett eingestellt worden. „Der Effekt war, dass die Influenza-Fälle nach oben schnellten und man eiligst wieder anfing zu impfen.“

Sind Studien mangelhaft?

„Ja“, sagt Tom Jefferson. „Stimmt“, meint Bernhard Ruf. Beide Experten sind sich darin einig, dass die Erkenntnisse zum Thema Grippeschutzimpfung mehr als dürftig sind. Jefferson hält gerade die Teilnehmerzahlen vieler Studien für viel zu gering. „Und da hat er sicherlich recht“, sagt sein Leipziger Kollege. „Was wir bräuchten, wäre eine Riesenstudie mit zehntausenden Patienten. Das könnte aber niemand finanzieren.“ Die nackte Tatsache, dass Impfen hilft, sei aber unstrittig und vielfach belegt. Ruf: „Wenngleich ein Impfstoff aber natürlich nie zu 100 Prozent wirkt. Aber das hat auch noch nie jemand behauptet.“

Jeffersons Forderung nach Studien, die dabei helfen, einen Placebo-Effekt auszuschalten, hält Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut für unethisch: Man könne es nicht verantworten, jemandem einen Schutz vorzuenthalten, nur um zu sehen, wie gut dieser Schutz wirkt. (bpo / mow)

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