Am Freitag ertönt der Muezzin-Ruf in Köln bereits zum zehnten Mal. Um die Genehmigung der Stadt hatte es laute Debatten gegeben. Doch was ist aus der teils scharfen Kritik geworden? Wir haben uns umgehört.
Moschee in EhrenfeldWas aus der Aufregung um den Muezzin-Ruf in Köln geworden ist

Die Kölner Moschee in Ehrenfeld
Copyright: Nabil Hanano
Keine der vielen Tauben unter der goldenen Sichel regt sich. Träge sitzen sie auf dem Dach der Moschee in Ehrenfeld – auch dann noch, als am gestrigen Freitag der Muezzin-Ruf ertönt. Seine Worte verhallen jenseits des Vorplatzes scheinbar ungehört. Wo ist die Menschenmenge, die vor zwei Monaten den Muezzin fast unsichtbar werden ließ, als er auf dem Vorplatz der Moschee zum ersten Mal öffentlich zum Gebet rief?
Es ist nunmehr das zehnte Mal, seit die Stadt im Oktober die Genehmigung dafür erteilte. Was ist aus der teils scharfen Kritik geworden, die zur Premiere laut wurde? Jetzt, im Alltag, scheint sie keine Rolle zu spielen. Bei minus vier Grad hasten die Menschen von einer Heizung zur nächsten, kaum jemand dreht um 12.35 Uhr auf der Venloer Straße den Kopf zur Moschee.
Debatte um Kölner Muezzin-Ruf schaffte es bundesweit in die Schlagzeilen
Damals sorgte die Kritik an dem ersten Muezzinruf in Köln bundesweit für Schlagzeilen. Kritiker warnten vor einem „politischem Islam“, sahen vor allem die Nähe des Moscheevereins Ditib zum türkischen Präsidenten Erdogan als Gefahr. Heute, rund zwei Monate später, hat sich eine kleine Gruppe von Rechtspopulisten vor dem Hauptbahnhof versammelt. „Nein zum Muezzinruf. Politischen Islam bekämpfen statt fördern“ – um im selben Atemzug gegen Flüchtlinge zu polemisieren. Kaum einer der Passanten schenkt ihnen Gehör. Bis Ehrenfeld dringt ihr Rufen eh nicht vor.
Wenn ich den Ruf höre, fühle ich mich, als hätte ich etwas von meiner Religion hier.
„Wo ich aufgewachsen bin, haben wir neben einer Kirche gewohnt. Da haben uns morgens die Glocken aus dem Bett geworfen“, erinnert sich ein Nachbar der Moschee lachend, als er seine Einkaufstüten vor der Haustür abstellt. William (70) hört weder vor dem Haus noch in seiner Wohnung den Gebetsruf. So auch im Discounter direkt gegenüber der Moschee.
„Selbst außerhalb der Filiale kann man ihn nicht hören. Nur fürs erste Mal hatten sie den glaube ich etwas lauter gestellt“, erklärt Mitarbeiter Hatip Öcal (29), während er Kartons zerkleinert. Die mit der Stadt vereinbarten 60 Dezibel überschreitet der Schall des Rufs scheinbar nicht.
Der Ruf verhallt meist ungehört, dennoch kommen die Besucher
Das Freitagsgebet fällt Öcal nur durch die Kundschaft auf: „Wir bekommen dann viele Besucher aus Frankreich oder Belgien, weil hier eine der größten Moscheen in Europa ist.“
Sehnsüchtig schaut die 19-jährige Sara aus dem Fenster der Tankstelle neben der Moschee – auch hier hin dringt kein Ton des Muezzin-Rufs. Sie muss arbeiten und kann deshalb nicht zum Freitagsgebet. „Ich freue mich immer, wenn ich den Ruf höre. Ich fühle mich dann so, als hätte ich etwas von meiner Religion hier“, erzählt Sara. Sie ist im Libanon aufgewachsen, wo der Muezzin fünf mal täglich und sehr viel lauter ruft. „Das vermisse ich“, sagt sie und beobachtet, wie die Leute beschwingt die Treppen zur Moschee hochlaufen. Zwei Freundinnen begrüßen sich lachend an den Stufen und zücken ihre Handys. Auf dem Weg nach oben verewigen sie den Muezzin-Ruf auf einem Video.
Weiter unten, am Treppenansatz, wäre ihnen das schon nicht mehr gelungen. Vom starken Verkehr auf der Venloer übertönt, ist der Gebetsruf dort kaum mehr zu hören. Eine junge Familie lässt sich auf dem Bürgersteig, beeindruckt von dem Bauwerk, vor der Moschee fotografieren, bevor sie es den letzten Nachzüglern gleich tut und zum Eingang eilt.
In der Tankstelle dreht sich Sara wieder zur Kasse, ein Kunde fragt nach Enteisungs-Spray. Muezzinruf? Nicht sein Thema. Er will einfach nur die Windschutzscheibe vom Frost befreien.