Wilder Streik fürs WeihnachtsgeldVor 50 Jahren gingen KHD-Arbeiter in Köln-Deutz auf die Straße

Lesezeit 4 Minuten
Männer gehen auf dem Schwarz-weiß-Foto in Arbeitskleidung in einem Streikmarsch am Torschild des Werksgeländes vorbei.

Rund 6000 Beschäftigte der Kölner Klöckner-Humboldt-Deutz AG (KHD) traten zwischen dem 2. und 9. November 1972 in einen wilden Streik, da der Konzern plante, das Weihnachtsgeld um bis zu 40 Prozent zu kürzen.

Vor 50 Jahren gingen 6000 Beschäftigte des Motorenbauers KHD auf die Straße, um gegen die massive Kürzung ihres Weihnachtsgeldes zu protestieren. Das war der Auftakt einer Welle von 400 wilden Streiks im ganzen Land. 

Im August 2023 jährt sich der große Streik bei Ford in Köln zum 50. Mal. 10.000 türkische Arbeiter legen am 24. August 1973 das Werk in Niehl lahm, weil die Firmenleitung 300 verspätet aus dem Urlaub heimgekehrte Kollegen entlassen will. Erst fordern sie deren Weiterbeschäftigung, bald auch bessere Arbeitsbedingungen bei der harten Fließband-Maloche, mehr Urlaub für die Hin- und Rückreise zu den Familien in der Türkei und mehr Lohn zum Ausgleich der hohen Inflationsrate von damals 7,1 Prozent.

Nach sechs Tagen wird der wilde Streik von der Polizei beendet. Zuvor hat es Prügeleien zwischen streikenden und arbeitswilligen Kollegen gegeben, bei denen deutsche und türkische Ford-Arbeiter aneinander geraten. „Der Arbeitskampf bei Ford war ein Medienereignis und ging in die Geschichte ein. Doch es war nur einer von rund 400 wilden Streiks, die sich 1972/73 in der Bundesrepublik abspielten“, erinnert sich Witich Roßmann (71), Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds Köln (DGB).

Im Sommer erschien täglich vor der Wetter- die Streikkarte mit den aktuellen Streiks.
Witich Roßmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds Köln

„Die Rahmenbedingungen waren vor 50 Jahren ähnlich wie heute: hohe Teuerungsrate, dann im Oktober der Jom-Kippur-Krieg, die Saudis und die OPEC kürzen die Ölförderung, die Energiepreise explodieren. Viele erinnern sich an die autofreien Sonntage und Tempo 100. Die angespannte Lage führte damals in vielen westdeutschen Betrieben zu spontanen Arbeitsniederlegungen trotz Friedenspflicht. Im Sommer erschien täglich vor der Wetter- die Streikkarte mit den aktuellen Streiks“, beschreibt Roßmann. Eine der ersten Auseinandersetzungen dieser Art, gleichsam der Auftakt für die zunehmenden Arbeiterproteste, habe in Köln stattgefunden, nämlich der wilde Streik fürs Weihnachtsgeld beim Motorenbauer Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD).

Alles zum Thema Ford

Am Donnerstag, 2. November 1972, verlassen ab 11 Uhr rund 6000 Beschäftigte die Werkshallen in Deutz und Kalk, 2000 von ihnen ziehen vor die KHD-Zentrale in Deutz, das heutige Messehochhaus. Grund: Vorstandschef Karl-Heinz Sonne will das bislang übertarifliche Weihnachtsgeld deutlich kürzen, er sagt, die schlechte wirtschaftliche Lage erfordere dies. Die Dividende habe man bereits von 16 auf 12 Prozent reduzieren müsse.  Für die Beschäftigten bedeutet das bis zu 40 Prozent weniger Geld. „Die Gesellschaft investiert in Maschinen und Gebäude, aber nicht in Menschen“, ruft ein Arbeiter über Lautsprecher seinen Kollegen zu, berichtet am nächsten Tag die Kölnische Rundschau. Es ist Freitag, und jetzt protestieren 6000 Mitarbeiter vor dem KHD-Hochhaus. Einer trägt ein Transparent mit der Aufschrift „Den Profitgeiern ein frohes Weihnachtsfest“.

1200 Arbeiter blockierten die Deutzer Brücke

Am Montag, 6. November, erhöhen die Streikenden den Druck. 1200 Arbeiter blockieren im Mittagsverkehr die Deutzer Brücke, sie marschieren über die Schildergasse zum Neumarkt und zurück. Den ganzen Tag ruht überall bei KHD die Arbeit – mit Ausnahme der Gießerei, wo laut Rundschau-Bericht rund 60 000 Tonnen flüssiges Eisen verarbeitet werden müssen. Am Dienstag geht der wilde Streik weiter, parallel legt der Vorstand ein erstes Angebot vor. Statt zwölf Millionen D-Mark will er nun 14,3 Millionen D-Mark Weihnachtsgeld auszahlen.

Mit dieser Offerte lässt sich Vorstandschef Sonne aber nicht persönlich vor der Belegschaft blicken, die an diesem Tag bei einer Betriebsversammlung in der benachbarten Sporthalle zusammenkommt. Die Stimmung ist aufgeheizt. Sonne feiert lieber auf der anderen Rheinseite beim Empfang zum 175-jährigen Bestehen der Industrie- und Handelskammer Köln. KHD-Betriebsratschef Paul Bleffert bleibt bei seiner Forderung von 17 Millionen D-Mark Weihnachtsgeld. 

Ein zehnstündiger Verhandlungsmarathon zwischen Vorstand und Betriebsrat bringt keine Einigung, der Streik wird fortgesetzt. Schließlich kommt doch noch ein Kompromiss zustande: Der Konzern zahlt 15,5 Millionen D-Mark Weihnachtsgeld, am Donnerstagmittag, 9. November, kehren die KHD-Arbeiter an die Werkbänke zurück.

Es war eine Zeit, in der fortschreitende Effizienzsteigerungen in den Betrieben den Arbeitnehmern immer mehr Leistung abverlangten.
Witich Roßmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds Köln

„Der einwöchige Streik bei KHD drehte sich um weit mehr als nur das Weihnachtsgeld“, betont Roßmann. „Es war eine Zeit, in der fortschreitende Effizienzsteigerungen in den Betrieben den Arbeitnehmern immer mehr Leistung abverlangten und die Unternehmenslenker gleichzeitig mehr Zugeständnisse beim Lohn einforderten. Dagegen begannen sich die Belegschaften zu wehren.“ Der KHD-Streik sei Vorbild für viele folgende Protestaktionen gewesen, so Roßmann. „Auch weil hier – anders als später beim Ford-Streik – deutsche und türkische Arbeiter an einem Strang zogen. Alle hielten zusammen und setzten sich erfolgreich für die Verbesserung ihrer Situation ein.“

Rundschau abonnieren