„Jeder ist gefragt“Herbert Grönemeyers neues Album von politischer Stimmung geprägt

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Grönemeyer dpa

Herbert Grönemeyer

Berlin – „Die Zeiten sind nicht mehr danach, dass man auf dem Sofa sitzen bleibt“, sagt Herbert Grönemeyer. „Jeder von uns ist gefragt und gefordert, sich zu engagieren und Gesicht zu zeigen. Dass auch Journalisten Haltung beziehen, halte ich für sehr wichtig. Wir trommeln jetzt alle so lange, bis wir den Rechten den Atem rauben.“ Albumvorstellungen mit Deutschlands erfolgreichstem Musiker haben etwas Rituelles. Die Plattenfirma lädt ein – ziemlich verlässlich alle vier Jahre, dieses Mal in das Berliner Luxushotel „Das Stue“ am Tiergarten.

Gut hundert Medienvertreter hören die neuen Songs, anschließend federt Herbert aus der Kulisse und lässt sich befragen. An diesem Abend sitzt er dabei auf einem Barhocker und zischt ein Bierchen aus dem Schwarzwald. Seine Laune ist vorzüglich, die von der Moderatorin zugespielten Bälle zu seinem Tanzverhalten auf der Bühne (eine Art Running Gag) versenkt er sicher im Netz. Grönemeyer, seinen 62 Jahren zum Trotz ganz in schwarz und mit Designerbrille („Die muss ich wirklich tragen“) einer zeitlosen Erscheinung sehr nahekommend, will mit seiner Musik ein, im wahrsten Sinne des Wortes, Hoffnungsträger sein.

Rechtsschwenk als Problem

Die „#unteilbar“-Demo in Berlin mit 240 000 Teilnehmern, das „Festival für Demokratie und Toleranz“ im mecklenburg-vorpommerschen Jamel, bei dem er auftrat, die nach wie vor zahllosen ehrenamtlichen Flüchtlingskümmerer, all das bewege ihn tief. „Die Rechten sind eine pöbelnde Minderheit. In Deutschland herrscht kein rechter Geist. Die große Mehrheit der Menschen ist offen, aufgeklärt und humanistisch.“ Zugleich halte er den Rechtsschwenk für ein Problem, „das man nicht mit einem Mausklick“ wegbekomme.

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Nun kann man nicht behaupten, dass Grönemeyer die Politik plötzlich für sich entdeckt hat. Fakt ist freilich, dass die politischen Lieder auf dem neuen Album einerseits stärker in den Mittelpunkt gerückt sind, aber auch stärker wahrgenommen werden, die Ohren des Landes sind in diese Richtung gerade einfach sehr gespitzt. Und so erregt ein Lied wie „Doppelherz/ Iki Gönlüm“, in dem Grönemeyer auch auf Türkisch darüber singt, wie gut sich das Reisen als Mittel gegen Engstirnigkeit eignet, eben stärker als in normalen Zeiten, Internet-Trolle und die üblichen Shit-storms inklusive. „Ich finde es völlig in Ordnung, wenn die Leute meine Musik nicht mögen.“ „Hass bin ich gewohnt.“ Für ihn sei nur wichtig: „Ist es ein gutes oder ein schlechtes Lied? Groovt und steppt es?“ Das tut es.

Überhaupt ist Grönemeyers Auseinandersetzung mit dem Politischen auf „Tumult“ eher „beswingt und leichtfüßig“, wie er selbst es beschreibt, als schwer und düster. Die aufrüttelnden Stücke wie „Bist du da“ oder „Fall der Fälle“ drängen musikalisch nach vorn, zählen zu den schmissigsten der wie immer von Alex Silva co-produzierten Platte, gar ein Chor kommt zum Einsatz. Das aufmunternde „Taufrisch“ (musikalisch ein klassischer Grönemeyer) taugt auch als Motivationssong vor der Alpenquerung („Warten bis der Tag bricht/ und die Sonne sich regt/ uns wiederbelebt/ jetzt erst recht“). Das von Keyboards geprägte „Leichtsinn & Liebe“ („Ja, sein wir ehrlich – alles ist gefährlich“) hebt die Laune mit großem, melodisch höchst eingängigem Pop.

Melancholischer Eindruck

Dass „Tumult“ trotz der heiteren Momente, zu denen auch die Liebes- und Glückslieder „Sekundenglück“ und „Mein Lebensstrahlen“ zählen, insgesamt einen für Grönemeyer-Verhältnisse melancholischen und dunklen Eindruck hinterlässt, liegt gar nicht so sehr an den politischen, sondern an den sehr persönlichen, selbstzweifelnden Songs, von denen es auf „Tumult“ mehrere gibt. Auf „Warum“ thematisiert der Künstler, der in Deutschland alle zehn Alben seit „4630 Bochum“ auf Platz Eins platzieren konnte, Angst und Selbstzweifel. „Manchmal ist der Druck fast unerträglich“, sagt er.

Auch „Verwandt“, ein Lied über eine Liebe, die nicht sein soll, berührt, bevor es am Ende doch noch mitreißt. Die Klavierballade „Wartezimmer der Welt“ hinterlässt den Hörer traurig und mit beklommenem Gefühl, bevor Herbert mit dem popfeierlichen, festlichen, gar Gospel-nahen „Und immer“ („Und immer/wenn dich der Kummer bricht/ leg ich beide Arme/einfach stark um dich“) der Schwermut den Garaus macht. Herbert Grönemeyer, der das Album an diesem Abend selbst zum ersten Mal „halbwegs entspannt“ angehört haben will, habe zu den Liedern noch ein „vorsichtiges Verhältnis“. Er sei da noch „etwas verkrampft“. Muss er aber gar nicht. „Tumult“ ist ein absolut würdiges Mittelspätwerk, die Melodien solide bis richtig stark, die Texte tiefgründig, der Politikaspekt wird mit Zuversicht, aber ohne Blauäugigkeit behandelt.

Auf dem Album seien auch netzkritische Passagen zu hören, bemerke die dpa im Gespräch mit Grönemeyer und fragte den Musiker: „Wie weit ist das Internet mitverantwortlich für diese gesellschaftliche Entwicklung?“

Grönemeyers Antwort: „Das Internet ist eigentlich wie ein Spucknapf. Da kommen viele Leute mit ihrem Geschwätz endlich zur Geltung. Da finden sie endlich statt. Ich mache mir auch manchmal Gedanken, die sind weiß Gott nicht klug. Aber durch unseren gesellschaftlichen Konsens haben wir ganz klare Schranken. Und die finden im Netz eben nicht statt. Dass das überhaupt möglich ist, dass man sich da so aushusten kann, das halte ich für sehr, sehr schwierig.“ (dpa)

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