ARD-Film„Gladbeck“ erzählt das beispiellose Drama eines Verbrechens

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Die bewaffneten Geiselnehmer Dieter Degowski (l) und Hans-Jürgen Rösner stehen in dem in Bremen gekaperten Linienbus. 

Köln – Die Frage ist, wie würde Gladbeck heute ablaufen? Zwei Geiselnehmer in der Fußgängerzone, die Pistole am Hals einer jungen Frau. Wie viele Minuten würde es dauern, bis das erste Video im Netz steht? Wie viele Passanten würden die Ereignisse live auf Facebook begleiten? Blieben die Journalisten auf Distanz zum Geschehen?

30 Jahre sind seit dem Gladbecker Geiseldrama vergangen. Es war eines der spektakulärsten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte, das öffentlichste in jedem Fall. Es war ein Komplettversagen der Polizeikräfte und der Sündenfall des deutschen Journalismus. Der Zweiteiler „Gladbeck“, der heute und morgen in der ARD zu sehen ist, will anregen, über „Gaffermentalität“ nachzudenken. In erster Linie erzählt er aber das beispiellose Drama, eine Geschichte über entfesselte Aggressionen, Gewalt und unerträgliche Ängste.

Die Szenen auf der Breite Straße sind im kollektiven Gedächtnis verankert

Regisseur Kilian Riedhof nähert sich dem Entführungsfall, der am 16. August 1988 in einer Gladbecker Filiale der Deutschen Bank begann, nicht im Format der filmischen Dokumentation, sondern mit einem Kriminalspielfilm. Für ihn stehe die Begegnung mit dem „Animalischen“ im Zentrum, sagt der Regisseur, der die viertägige Entführung als 17-Jähriger mitverfolgt hat. Es gehe um die Frage, wie sich die „anarchische Gewalt auf Journalisten, Polizisten, aber vor allem auf die Geiseln“ ausgewirkt habe. Sein Film   sei „dramatisch verdichtend“. 54 Stunden in zwei Mal 90 Minuten. Wenn vor Gladbeck ein Drehbuchschreiber genau diese Geschichte als Skript eingesandt hätte, wäre er ausgelacht worden.

Die Szenen auf der Breite Straße in Köln sind auch drei Jahrzehnte danach noch im kollektiven Gedächtnis verankert. Dass die Geschichte der dilettantischen und gerade deshalb so unberechenbaren Täter, Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski,  zur besten Sendezeit aufgelegt wird, hat der ARD im Vorfeld durchaus Kritik eingebracht. Entgegen der Gepflogenheiten zeigte Produzentin Regina Ziegler den Zweiteiler vorab nur handverlesenen Journalisten. Rösner versuchte, den Film zu verhindern. Er scheiterte vor dem Oberlandesgericht Köln. Die Richter urteilten, es handele sich um ein Stück Zeitgeschichte.

Dialoge seien dokumentiert und authentisch

Dargestellt wird Rösner von Sascha Alexander Geršak, der kürzlich aus dem Gefängnis entlassene Dieter Degowski von Alexander Scheer. Geršak sagt, er habe sich wie ein Pianist auf ein Klavierkonzert vorbereitet. Die Bilder und Aufzeichnungen habe er sich wieder und wieder angesehen. Ihm sei bewusst, dass es sich um ikonisches Material handele, etwa, wenn Rösner die Waffe im Interview in den Mund steckt. Die Dialoge seien zu nahezu 100 Prozent dokumentiert, beteuern die Produzenten. Gespräche auf der Straße waren ohnehin öffentlich, Dialoge mit den Ermittlern sind aufgezeichnet, Gespräche aus den verwanzten Wagen ebenfalls. Als Ermittler sind Ulrich Noethen und Martin Wuttke zu sehen.

Regisseur Riedhof betont, „die Ohnmacht der Geiseln“ solle „erlebbar“ gemacht werden. „Was ist diesen Menschen angetan worden? Warum stand ihr Schicksale jahrzehntelang im Schatten der Täter?“ Für die Recherche hat er mit Angehörigen gesprochen, mit Ermittlern und mit dem damaligen Express-Vize-Chefredakteur Udo Röbel. Er war in der Kölner Breite Straße in das Auto der Entführer gestiegen, um ihnen den Weg aus der Stadt zu weisen. Es eine nie gesehene Form der Komplizenschaft.

„Es war ein Desaster“

Nicht nur Röbel, auch andere Medienvertreter handelten in den Tagen der Entführung wie im Rausch. Michael Spreng, damals Chefredakteur des Boulevardblattes, sagte der „Zeit“: „Ich war fassungslos, völlig fassungslos.“ Natürlich habe sich sein Stellvertreter  in Todesgefahr begeben. Dass er den Artikel dennoch abdrucken ließ, sei ein Fehler gewesen.

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Die Entführung endete im Kugelhagel auf der A3 bei Bad Honnef. Die Geisel Silke Bischoff stirbt. Bereits in einer frühen Phase des Geiseldramas, während der Entführung eines Busses, hatte Degowski den 15-jährigen Emanuele de Georgi erschossen, ein Polizist starb während der Verfolgung der Entführer bei einem Auffahrunfall.  Winrich Granitzka war 1988 stellvertretender Einsatzleiter in Köln. Den Zugriff auf der A3 verfolgte er in der Einsatzzentrale. Das Fluchtauto sei in einer falschen Position zum Stillstand gekommen, dadurch habe sich der SEK-Zugriff verzögert. Vermutlich Rösner konnte  die tödlichen Schüsse auf Silke Bischoff abfeuern. Der heute 75-jährige Granitzka kommt in einer Dokumentation zu Wort, die die ARD am Donnerstag im  Anschluss zeigt. Er sagt über den Zugriff auf der A3: „Es war ein Desaster.“

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