Die ewige „Sissi“Vor 80 Jahren kam Romy Schneider zur Welt

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Die junge Romy Schneider war nach Ansicht ihrer Mutter Magda „endlich mal ein Geschöpf, das mit dem Dreck der Welt noch nicht in Berührung gekommen ist.

Die junge Romy Schneider war nach Ansicht ihrer Mutter Magda „endlich mal ein Geschöpf, das mit dem Dreck der Welt noch nicht in Berührung gekommen ist.

Die Ausstellung über den „Mythos Romy Schneider“, die Ende der neunziger Jahre durch Europa tourte, hatte einen wunderschönen Untertitel: „Ich verleihe mich zum Träumen“. Es war ein Satz des Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez. Ein großer Teil des deutschen Publikums freilich gab sich nie mit dem „Ausleihen“ zufrieden; man nahm die Filmschauspielerin in Besitz.

Romy Schneider beklagte sich oft genug darüber, „öffentliches deutsches Eigentum“ zu sein. Zudem hatten (und haben) die Deutschen einen sehr verengten Blick auf den Star, der zumindest in den Siebzigern das Gesicht des europäischen Kinos war: Hier im Lande blieb (und bleibt) Romy Schneider die herzige „Sissi“, die Film-Kaiserin Elisabeth von Österreich, die alle und jeden mit einem süßen Lächeln und der Macht der Liebe verzaubert.

Gefesselt und verfolgt gefühlt

Von dieser „Sissi“ hat sich Romy Schneider gefesselt und verfolgt gefühlt. Sie mochte die drei Filme nicht sonderlich, musste zu den jeweiligen Fortsetzungen mühsam überredet werden – das Publikum freilich strömte in die Kinos, um diese blutjunge Schauspielerin mit dem ewigen Leuchten im Gesicht zu sehen und zu bewundern. Die „Sissi“-Filme kamen in den Jahren 1955, 1956 und 1957 ins Kino, in einer Zeit, als anderswo der rebellische James Dean, der rockende Elvis Presley oder die verlockende Brigitte Bardot von sich reden machten. In Deutschland regierte der Heimatfilm, ein Fluchtort vor den Schrecknissen der Vergangenheit. Magda Schneider, im Leben und im Film die „Sissi“-Mutter, hatte eine einfache Erklärung für den Erfolg der Trilogie: „Warum springen die Menschen so auf Romy an? Weil sie spüren, dass das hier endlich mal ein Geschöpf ist, das mit dem Dreck der Welt noch nicht in Berührung gekommen ist.“

Was immer Magda Schneider mit diesem „Dreck der Welt“ gemeint haben mag – Romy Schneider, vor 80 Jahren, am 23. September 1938, in Wien geboren, verbringt ihre Kindheit im Haus „Mariengrund“ im bayrischen Schönau, zwischen Königssee und Berchtesgaden, eine Idylle in Kriegszeiten. Hitlers Obersalzberg liegt in Blickweite.

Vor wenigen Tagen hatte beim Fernsehsender „arte“ Alice Schwarzers „Abend mit Romy“ Premiere. Die eher peinliche, von viel Schwarzer-Selbst-inszenierung geprägte Doku kramt in den Tonbändern eines Interviews, das die Feministin 1976 mit der 38-jährigen Romy Schneider geführt hat. Die Schauspielerin soll darin gesagt haben: „Meine Mutter hat mit Hitler geschlafen.“ Belegt ist allemal die Nähe des Elternpaares (und Ufa-Traumpaares) Magda Schneider und Wolf Albach-Retty zu den Größen der NS-Zeit.

Vielleicht resultiert daraus Romy Schneiders Hang und Drang, in Filmen eingesetzt zu werden, die sich mit Nazi-Deutschland beschäftigen. Einer davon ist „Das alte Gewehr“ aus dem Jahr 1975, in Deutschland kaum bekannt, in dem Romy Schneider die Frau eines französischen Arztes spielt, die von SS-Soldaten vergewaltigt und ermordet wird. Bei den Dreharbeiten geht die Schauspielerin schonungslos mit sich um, sie erleidet Verletzungen am ganzen Körper, die mehrtägige Zwangspausen erfordern.

Romy Schneider, die nie eine Schauspielausbildung erfahren hat, die im Alter von 15 Jahren in „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ an der Seite ihrer Mutter ihr Filmdebüt absolviert, hat 59 Filme gedreht. Schon als 13-Jährige notiert sie in ihrem Tagebuch: „Ich muss auf jeden Fall einmal eine Schauspielerin werden! Ja! Ich muss!“ Später heißt es: „Ich kann nichts im Leben, aber alles auf der Leinwand.“

Den entscheidenden Schritt zur großen Leinwand-Karriere jenseits des süßen Mädels tut sie rasch. Sie nabelt sich von Deutschland ab, die 20-Jährige folgt dem jungen, wilden französischen Schauspieler Alain Delon nach Frankreich. Kennengelernt haben sich die beiden 1958 bei den Dreharbeiten zu „Christine“, einer Verfilmung des Schnitzler-Theaterstücks „Liebelei“.

Sie wird zur „Vaterlandsverräterin“

Die westdeutsche Regenbogenpresse schäumt. Die „Jungfrau vom Geiselgasteig“, wie der Spiegel Romy Schneider wenig freundlich genannt hat, brennt mit einem solchen Hallodri, diesem „gallischen Hahn“ durch, dem wüste Sex-Praktiken und fiese Unterwelt-Verbindungen nachgesagt werden. Romy wird zur „Vaterlandsverräterin“, zum „Franzosenflittchen“.

Die erhoffte Karriere läuft schwer an, aber am Ende lieben die Franzosen „La Schneider“, die mit Orson Welles und Otto Preminger arbeitet, die in Filmen von Luchino Visconti, Claude Chabrol oder Claude Sautet tausend Gesichter zeigt. Sie ist Hure und Mörderin, Opfer und Täterin, vor allem freilich eine Frau in vielfältigsten Beziehungskrisen, die an ihre Grenzen geht, verrucht und provokant, selbstbewusst und verletzlich, nachdenklich und verführerisch, sinnlich und fragil, eine berückende Mischung aus Keuschheit und Schamlosigkeit. Am Ende wählen die Franzosen sie zu ihrer beliebtesten Schauspielerin des 20. Jahrhunderts, noch vor Cathérine Deneuve und Jeanne Moreau.

Deutschlands Kino hingegen konnte mit der den „Sissi“-Schuhen endgültig entwachsenen Schauspielerin nichts mehr anfangen. Hier wurde mit akademischen Manifesten Opas Kino für tot erklärt, Stars waren anrüchig und Glamour nicht erwünscht. Den ganz großen Film, der in Top-Listen für die Ewigkeit auftauchen würde, hat Romy Schneider nie gedreht; aber alle Filme, in denen sie mitwirkte, haben durch sie an Größe gewonnen.

Ihr Privatleben ist eine Katastrophe. Fast von Anfang an. Die Eltern trennen sich, als Romy fünf ist. Magda Schneider heiratet fünf Jahre später den Großgastronomen Hans Herbert Blatzheim. Romy wird wie Firmenbesitz behandelt. Anfangs sagt sie noch „Daddy“, später ist nur noch vom „zweiten Mann meiner Mutter“ die Rede. Es wird sich herausstellen, dass Blatzheim große Summen vom Vermögen der jungen Romy Schneider veruntreut hat. Schlimmer noch: Sie fühlt sich vom Stiefvater sexuell verfolgt und bedrängt.

Die Beziehung mit Alain Delon hält ein paar Jahre, dann ist er auf und davon mit einer anderen. Romy Schneider tauscht Erotik mit Intellektualität, heiratet den deutschen Regisseur und Schauspieler Harry Meyen. Sohn David kommt zur Welt. Die Ehe scheitert, ebenso wie die mit ihrem Privatsekretär Daniel Biasini, der sich mit dem Geld der Schauspielerin ein schönes Leben macht. Aus dieser Ehe stammt Tochter Sarah, die ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Die Katastrophen häufen sich, Harry Meyen erhängt sich 1979, der 14-jährige David stirbt 1981. Er verliert beim Klettern den Halt und wird von der Metallspitze eines Zauns aufgespießt. Seine Mutter lebt da schon lange am Rande des Zusammenbruchs: Alkohol- und Tablettenmissbrauch bleiben nicht ohne Folgen. Am 29. Mai 1982 findet der französische Filmproduzent Laurent Pétin, neuer Lebensgefährte von Romy Schneider, die Schauspielerin zusammengesunken am Schreibtisch der gemeinsamen Wohnung in Paris. Auf dem Totenschein wird „natürlicher Tod auf Grund von Herzversagen“ angegeben.

Alain Delon, für Romy „der wichtigste Mann in meinem Leben“, rückt mit seinen Leibwächtern an und organisiert die Beerdigung auf dem Dorffriedhof von Boissy-sans-Avoir unweit von Paris. Es gibt Selbstmord-Gerüchte, für die sich keine Bestätigung finden. Der Journalist Michael Jürgs, der in Quiberon das letzte Interview mit der Schauspielerin geführt hat, sagt es so: „Romy Schneider, 43, hat ihr Leben besiegt.“ Romantiker würden sagen: Sie starb an gebrochenem Herzen.

Die Trauerrede hält der Regisseur Jacques Rouffio: „Sie war die Flamme und sie war das Eis. Sie war die Weisheit und sie war die Torheit. Sie war der Frieden und sie war der Krieg. Sie war die Freude und sie war die Angst.“

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