Dieter Nuhr im Interview„Ich ziehe das durch, bis ich tot bin“

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Dieter Nuhr bei einem Auftritt in Köln.

  • Kurz vor seiner Show sprach Dieter Nuhr mir uns über Angela Merkel, soziale Netzwerke und schlechtes Kabarett.
  • Der 58-Jährige sagt: „Hysterie ist eine menschliche Grundeigenschaft“

Herr Nuhr, gehen Sie immer noch bei Rot über die Ampel, um zu demonstrieren, dass es auch schlechte Menschen gibt?

Ja. Es lässt sich nicht vermeiden, ab und zu anarchistische Dinge zu tun in dieser Welt, in der alles so geregelt ist. Aber gut, ich mach’s nicht bewusst.

Aber Sie erwähnen es in Ihrem Programm.

Manchmal übertreibe ich auf der Bühne und bin ironisch. Ich weiß gar nicht, ob das schon mal jemandem aufgefallen ist.

Ist es anstrengend, in Zeiten wie diesen mit Politischem Kabarett übers Land zu ziehen?

Ich gehe ja nicht zu Fuß, dann wäre es in der Tat anstrengend. In Zeiten wie diesen? Nun, ich plane für meine Sendung eine neue Kolumne, in der ich aus Zeitungen zitiere, die 30, 40 Jahre alt sind. Darin erkennt man sehr schön, dass die Aufregung immer gleich war. Meistens war sie begründeter als heute.

War früher alles schlechter?

Zu allen Zeiten gab es mehr Kriege, mehr Gewalt, mehr Armut, mehr Hunger.

Trotzdem gibt es den Trend zur Trennung, zur Polarisierung. In Europa, in politischen Parteien. Was liegt im Argen?

Es gibt den Irrglauben gerade unter den Linken, mit denen ich sozialisiert wurde, dass es eine zufriedene Welt geben könnte, wenn Gleichheit und Gerechtigkeit eingekehrt sind. Man kann gerade aus den heutigen Zeiten lernen, dass Zufriedenheit und friedliches Zusammenleben im menschlichen Rudel nicht vorgesehen sind.

Woran machen Sie das fest?

Unser Sozialstaat ist in den vergangenen 40 Jahren unglaublich gewachsen. Es wurde zunehmend darauf geachtet, dass die Diskriminierung abnimmt, dass Menschen unabhängig von Geschlecht oder Hautfarbe gleich behandelt werden, doch all das führt nicht zu mehr Zufriedenheit.

Was hindert uns daran, zufrieden zu sein?

Die Hysterie sucht sich immer neue Ziele. Hysterie ist eine menschliche Grundeigenschaft.

Auf der Bühne sagen Sie gern und deutlich, was Ihnen „auf den Sack“ geht. Ist diese spezielle Formulierung eine Art Befreiungsschlag?

Viele Menschen empfinden es jedenfalls als Befreiung. Es ist mein großes Lebensglück, dass ich als Kabarettist neben all dem Shitstorm auch viel Zustimmung erfahre.

In welchem Verhältnis?

Wesentlich mehr Zustimmung als Shitstorm. Doch der Mensch neigt dazu, das Negative stärker zu bewerten.

Empfinden Sie das Thema Migration als Ritt auf der Rasierklinge?

Ja. Es ist ein moralisches Dilemma, das die Menschen nur schwer aushalten. Als Merkel die Grenzen öffnete, waren die Deutschen der Meinung, den Menschen müsse geholfen werden. Es kursierte dieses Foto mit dem toten Kind am türkischen Strand. Schließlich half Merkel diesen Menschen, dann hieß es plötzlich: Merkel muss weg.

Nun ist Merkel halb weg – und führt Ihnen neues Personal zu. Merz, Kramp-Karrenbauer, Spahn: Reibt sich der Kabarettist die Hände?

Vielleicht wird keiner von diesen drei Personen Merkels Nachfolger. Vielleicht haben wir bei Merkel gelernt, dass wir noch nie so gut nicht regiert wurden und eigentlich ganz gut auch ohne Regierung auskommen.

Hätten Sie zu Beginn Ihrer Karriere gedacht, dass Sie diesen Beruf lebenslänglich ausführen würden?

Nee. Wir waren zu zweit auf der Bühne mit dicken Mützen und dicken Brillen. Wir fielen von Leitern und konnten uns nicht vorstellen, dass uns jemand Geld dafür geben würde. Und dann gaben sie uns Geld.

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Ihr Duo mit Frank Küster hieß V.E.V.-K.Barett. War es so schlimm, wie es sich anhört?

Zum Glück gab es kein Internet. Heute gehst du auf die Bühne, und schon steht das online für die Ewigkeit. An unseren Krempel kann sich keiner erinnern.

Seit 1994 sind Sie Solist. 2000 wurde Dieter Nuhr mit der Morenhovener Lupe ausgezeichnet, den Preis hat er in kurzer Hose entgegengenommen. Was hat Sie damals geritten?

Ich hatte nach einer Bühnenfigur gesucht, ein androgynes nicht benennbares Wesen. Das Experiment war von kurzer Dauer. Ich habe bald das Selbstbewusstsein entwickelt, auf der Bühne ich selbst zu sein.

Und Sie haben Ihren Namen zu einer Marke gemacht. „Nuhr am Nörgeln“, „Nuhr die Ruhe“, „Nuhr im Ersten“. Geht das ewig so weiter?

Ich ziehe das durch, bis ich tot bin. Wenn ich im persischen Raum Kabarettist geworden wäre, würde es sogar noch besser klingen.

Wieso das?

Im Iran bedeutet mein Name „göttliches Licht“.

Sie müssen gleich auf die Bühne. Ein paar letzte Fragen noch …

Ist schon gut, wir sitzen doch schön hier.

In Ihrer Sendung „Nuhr im Ersten“ halten Sie einem gelernten Herrenschneider aus Dortmund die Nibelungentreue. Was schätzen Sie an Ihrem Stammgast Torsten Sträter?

Ich neige dazu, gewisse Anordnungen nicht immer gleich in Frage zu stellen. Ich arbeite mit meinen Agenturen und Veranstaltern wie der Bonner Springmaus seit Ewigkeiten zusammen. Und so tue ich es auch mit Torsten Sträter. Er besitzt einen hehren Charakter, er empfindet Dankbarkeit dem Leben gegenüber. Seine Komik ist anders als meine, aber es gibt Gemeinsamkeiten. Etwa in der Art, eben nicht verletzend zu sein, nicht über Provokationen das Publikum zu gewinnen. Ich habe ihn gern in der Sendung, auch weil er viel raucht.

Was hat das damit zu tun?

Er steht vor der Tür und raucht. Ich rauche leider nicht, weil es mir zu ungesund ist. Ich hätte aber gern eine vitaminreiche Zigarette, die ich gemütlich vor der Tür mit dem Torsten konsumiere.

Auch Ingo Appelt genießt bei Ihnen einen Treuebonus.

Er dreht schön durch. Sehr erfrischend. Ich bin der besonnene Typ, er bringt die Energie auf die Bühne.

Ganz andere Kontrapunkte setzen Gäste wie Lisa Eckhart. Ist das der Plan?

Sie kommt oft schön schräg von der Seite. Ich liebe es, überrascht zu werden. Vorhersehbares Kabarett mag ich nicht.

Was ist vorhersehbar?

CDU doof, Wirtschaft doof. Feindbilder aus den 80er Jahren.

Sie reisen gern und posten von unterwegs. Am 28. Oktober dieses Jahres stehen Sie vor der Imam-Moschee in Isfahan und vermelden: „Hier in Isfahan ist alles menschenleer. Alle sitzen vor den Fernsehern und erwarten die Ergebnisse der Hessenwahl.“

Ja, ein guter satirischer Satz, auf den ich stolz bin. Die Welt hat andere Probleme als die Hessenwahl.

483 876 Personen haben Sie auf Facebook abonniert. Da muss man doch ein Freund der sozialen Medien sein, oder?

Nein, bin ich nicht. Diese gewachsene Fähigkeit zur Zusammenrottung sehe ich sehr kritisch.

Warum machen Sie da dann mit?

Weil es irgendwann 25 Accounts von einem Dieter Nuhr gab. Da wurden in meinem Namen Dinge veröffentlicht. Dann bin ich eingestiegen. Der Missbrauch ging zurück, die Zahl der Abonnenten hat zugenommen und sich verselbstständigt. Hinzu kommen 830000 Follower bei Twitter.

Sie sind also nicht nur Kabarettist, sondern auch Influencer?

Ja, das trage ich neuerdings an der Hotelrezeption als Beruf ein.

Spüren Sie die Macht des Mediums?

Ja. Nicht dass ich die Macht ausnutzen will, aber ich kann mich jetzt wehren, wenn ich ungerecht behandelt werde.

Was ist passiert?

Ich wurde vor geraumer Zeit in einer Zeitung als rechter Ausländerfeind dargestellt und habe mich erfolgreich gewehrt.

Hat die Presse ein Problem mit Ihnen?

Ich wurde oft schlecht behandelt, weil man mich ideologisch nicht zuordnen kann. Ich erzähle auf der Bühne eben nicht das übliche Kabarettzeug. Sprich: Die da oben sind alle böse, die da unten alle gut. Es gab immer wieder Zunder von der Presse. Jetzt kann ich mich wehren – im Fernsehen und in den sozialen Medien.

Wir sollten Schluss machen, Sie müssen gleich auf die Bühne.

Keine Eile.

In Mexiko und Sri Lanka haben Sie Hausfassaden fotografiert. Was reizt Sie an dieser Kunst?

Ich habe Kunst studiert. Weil ich meine Malerei objektivieren wollte, bin ich mit selbstgebauten Lochbildkameras losgezogen und habe unscharfe Bilder gemacht. Das wurde deshalb zur richtigen Fotografie, weil ich der Meinung war, der Gegenstand habe ein Recht, erkennbar zu bleiben. Die Fotos sind malerisch, es geht um Ordnung im Bild, um Farbklänge.

In Shanghai hatten Sie im September eine Ausstellung. Was sagt der Chinese, wenn er Bilder von Dieter Nuhr sieht?

Er kennt mich nicht und sieht nur die Bilder – auch schön. Es gibt sogar Chinesen, die meine Bilder kaufen. Nicht dass ich diese Einnahme benötigen würde, mir geht“s gut. Aber ich fühle mich geehrt.

Haben Sie Rituale vor, während oder nach einer Show?

Nee, gar nicht. Keinen Schnaps vorher, sonst kann ich nicht mehr spielen.

Wie spät ist es eigentlich?

Oh, schon 19.53 Uhr. Ich muss noch mein T-Shirt wechseln.  

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