Domian im Interview„An die Grenzen der Tabus gehen“

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Jürgen Domian freut sich 2017 bei der Verleihung der 1Live Krone über seinen Preis in der Kategorie "Sonderpreis". 

  • Jürgen Domian leitete jahrelang eine erfolgreiche Radio-Talkshow in der Nacht.
  • Die Sendung war unter anderem deshalb so beliebt, weil über alles gesprochen werden konnte – auch über sehr private Themen.
  • Im WDR bekommt Domian jetzt eine Fernsehtalkshow, die nach dem gleichen Prinzip funktionieren soll.

In der neuen Domian Live-Sendung wirst Du Deinen Gesprächspartnerinnen und -Partnern direkt gegenübersitzen. Der Vorteil der Anruf-Sendung damals war die Anonymität.  Das neue Format könnte also die Gefahr bergen, dass sich nur noch Leute melden, die unbedingt ins Fernsehen wollen. Es gibt ja auch amerikanische Sendungen wie Dr. Phil, bei denen es um den Tabubruch um des Skandals willen geht. Wie kannst Du und wie kann Deine Redaktion dafür sorgen, dass das nicht passiert?

Jürgen Domian: Die Leute melden sich erst einmal eigeninitiativ bei uns, wenn sie gerne mit mir sprechen möchten. Ich erfahre von dem Ganzen nichts. Meine Redaktion beschäftigt sich dann mit den Anrufern. Das ist die Redaktion, die mich auch zwanzig Jahre lang in der Nacht begleitet hat, das heißt, da ist ein großes Gespür und ein großes Know-How für Geschichten, für Menschen und Motivationen.

Daher gehe ich davon aus, dass alles auf einer sehr soliden Grundlage organisiert und gestaltet wird. Ich glaube, dass fast 85 Prozent derjenigen, die sich in der Nacht bei uns gemeldet haben, auch bereit sind, ins Studio zu kommen. Ich habe Erfahrung mit mehreren Bühnenproduktionen, bei denen wir Leute mit sehr intimen und bewegenden Geschichten auf Bühnen eingeladen haben und sie sind bereit, darüber zu sprechen. Dass natürlich der Eine oder Andere dabei ist, der ein bisschen Fernsehglanz abhaben will, lässt sich nicht vermeiden. Aber das ließ sich auch schon in der Nacht nicht vermeiden. Dann war es eben nur akustisch.

Deine Talk-Sendung, die über 20 Jahre lang im Radio und Fernsehen lief, hatte und hat eine treue Fangemeinde. Das inoffizielle Motto war: Alles ist erlaubt, solange es niemandem schadet. Viele Menschen schätzen Deine Toleranz und Offenheit gegenüber schrägen oder schwierigen Themen. Doch unter Konservativen hast Du den Ruf weg, zu tolerant und sogar komplett tabulos zu sein. Als tabulos wurde auch das neue Format beworben.* Machst Du Dir nun Sorgen wegen der Reaktionen auf die Sendung?

Nein, überhaupt nicht. Wir forcieren den Tabubruch nicht. Aber natürlich können wir, wenn es sich ergibt, an die Grenzen der Tabus gehen und sie ggf. auch überschreiten. Im Übrigen glaube ich gar nicht, dass ich so viele Kritiker in konservativen Kreisen habe. Mir hat mal Kardinal Reinhard Marx, der jetzige Erzbischof von München, gesagt, was wir da machen, sei eine moderne Form der Seelsorge und da könnten sich manche Kollegen eine Scheibe von abschneiden. Da bin ich eigentlich ganz entspannt.

Wenn man sich zehn- oder zwanzig Jahre alte Domian-Sendungen anhört, merkt man, dass unsere Gesellschaft bei Themen wie z.B. sexuelle Identität tatsächlich ein paar Schritte vorangekommen ist. Trotzdem hast Du einmal gesagt, dass Du Dich nicht mehr öffentlich als bisexuell bezeichnest, weil Du Anfeindungen aus der Schwulenszene erfahren hast. Ist das immer noch so oder hat sich das gebessert?

Nee, das hat sich gebessert. Das war vor fünfzehn Jahren oder noch länger. Aber du hast recht: ich glaube, gerade was die Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Identitäten anbelangt, hat die Gesellschaft große Fortschritte gemacht. Ich weiß noch, als wir 1995 angefangen haben, war allein das Thema Homosexualität immer noch sehr tabubelastet.

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Mir hat neulich noch ein junger Mann gesagt, dass er damals als Jugendlicher unter der Bettdecke eine Sendung gehört hat, deren Thema „Outing“ war. Er war ganz fasziniert, dass andere Leute ganz offen darüber sprechen und er hatte so große Angst, sich zu outen. Also, ich glaube, dass wir da große Fortschritte gemacht haben. Auch bei der Akzeptanz von trans-identischen Menschen zum Beispiel. Das war früher überhaupt gar kein Thema. Diesbezüglich geht es in der Gesellschaft positiv voran.

Damals hast Du den riesigen Sprung vom Kabelträger zum Moderator geschafft. Du hast auch schon oft gesagt, dass dieser Aufstieg durch Bildung möglich wurde. Ist es deiner Meinung nach immer noch so, dass man durch Bildung den sozialen Aufstieg in Deutschland schaffen kann oder ist es schwieriger geworden?

Der Aufstieg war ja auch nicht von heute auf morgen. Da lagen viele Jahre zwischen. Aber ja, natürlich ist Bildung der Schlüssel zu allem. Das kann ich wirklich aus eigener Erfahrung sagen. Ich bin erst mit achtzehn Jahren auf ein humanistisches Gymnasium gegangen und hatte vorher Volksschule, Hauptschule, Handelsschule hinter mir. Ich war eigentlich gar nicht vorgesehen für einen besonderen Aufstieg.

Deswegen predige ich heute ja fast schon, wenn ich mit jungen Leuten zusammen bin, dass sie versuchen sollen, sich so viel und so weit wie möglich zu bilden. Das öffnet einfach Türen. Auch wenn es Ausnahmen gibt. Aber unsere Welt wird immer komplizierter und spezialisierter, ohne Wissen kommt man nicht weit. Wissen ist übrigens auch die wichtigste Grundlage für eine funktionierende Demokratie.

Und Kontakte in der Branche? Sind die nicht genauso wichtig?

Das ist in jeder Branche so, aber das wird in der Regel viel zu hoch bewertet. Ich kann mich nicht erinnern, aufgrund eines Kontaktes sehr schnell vorangekommen zu sein. Überhaupt nicht. Der Kabelträgerjob war ein absoluter Zufall. Ich brauchte einen Studentenjob und habe mich ganz regulär beim WDR beworben. Irgendwann bekam ich eine Nachricht, dass ich vorbeikommen könnte. Danach war ich Hospitant, dann freier Mitarbeiter, Volontär, Redakteur... die ganze Ochsentour liegt da schon hinter mir.

Das neue Talkformat ist jetzt erst einmal auf vier Ausgaben festgelegt. Weißt Du schon, ob mehr in Planung ist oder ist da noch nichts Konkretes entschieden?

Darüber mache ich mir jetzt überhaupt keine Gedanken. Für mich ist entscheidend, dass die vier Sendungen gut werden. Dass wir damit zufrieden sind, das Publikum damit zufrieden ist... und dann gucken wir weiter. 

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