Ein Tanz auf dem VulkanInterview mit Babylon Berlin-Star Liv Lisa Fries

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Liv Lisa Fries

Liv Lisa Fries.

  • Die Fans erwarten sehnlichst die dritte Staffel der deutschen Erfolgsserie Babylon Berlin.
  • Liv Lisa Fries ist einer der Stars der Serie. In Babylon Berlin spielt sie die Figur der Charlotte Ritter.
  • Wir trafen die Schauspielerin zum Interview.

Berlin – Die Schauspielerin Liv Lisa Fries zählt zu den größten Entdeckungen der deutschen Superserie „Babylon Berlin“, die als opulentes Bilderwerk ein Sittenbild der späten 1920er Jahre in der Metropole Berlin zeichnet. Fries spielt mit viel Ambivalenz die Figur der Charlotte Ritter, die aus ärmsten Verhältnissen stammt, ein Faible für Polizeiarbeit hat und sich in der rauen Männerwelt hocharbeitet.

Vom 24. Januar an geht es in Doppelfolgen bei Sky 1 oder jederzeit auf Abruf mit „Babylon Berlin“ weiter. Im Herbst 2020 werden die zwölf Folgen der neuen Staffel nach Volker Kutschers Roman „Der stumme Tod“ dann auch bei Co-Finanzier ARD laufen. Mit der Hauptdarstellerin sprach Eric Leimann.

Frau Fries, was war die größte Herausforderung bei der Fortsetzung von „Babylon Berlin“?

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Liv Lisa Fries: Charlotte Ritter macht einen gewaltigen Sprung – vom kämpferisch-kecken Mädchen aus einfachsten Verhältnissen zur Kriminalassistentin.

Das heißt?

Fries: In der neuen Staffel ist Charlotte eben auch Funktionsträgerin, also Teil des Systems. Und sie wird als Frau von dieser Männergesellschaft runtergeputzt.

Wir sehen also eine ganz andere Charlotte Ritter?

Fries: Ja und nein. Das ist eben die Kunst: den Kern eines vertrauten, geliebten Seriencharakters zu bewahren und trotzdem eine Entwicklung zu erzählen. Die Wandlung der Charlotte ist schon krass. Wir kennen das ja auch im privaten Leben. Manche Leute entwickeln sich so, dass man denkt: „Och, vor drei Jahren war die aber netter.“

Viele Zuschauer haben Charlotte als emotionales Zentrum der Serie gelobt. Was macht dieses Mädchen, das in den Romanen von Volker Kutscher auch ein bisschen als Streberin rüberkommt, in der Serie so sympathisch?

Fries: Ich habe die Romane bewusst nicht gelesen, kann also nur über die Drehbuch-Charlotte sprechen. Im Kern ist Charlotte eine Person, die ihrer Umgebung Wärme spendet, weil sie auf die Menschen zugeht. Sie will irgendwo dazugehören, weil sie in ihrer Familie diesbezüglich nichts finden konnte. Dieser Wunsch macht einen großen Teil ihrer Kraft aus. Es geht um eine Identitätssuche.

Wie hat sich „Babylon Berlin“ zur dritten Staffel insgesamt verändert?

Fries: Ich finde, wir erzählen in den neuen Folgen dichter und ernster. Es geht um die Weltwirtschaftskrise, die sich am Horizont anbahnt. Beziehungen zwischen den Figuren, wie zum Beispiel zwischen Gereon Rath und seiner Geliebten Helga, werden weitaus tiefer ausgeleuchtet. Wir erzählen diesmal stärker über die Figuren und nicht ganz so sehr über die wuchtige Optik.

Gibt es einen Zeitsprung in der Erzählung?

Fries: Nein, nicht wirklich. Die Erzählung setzt im Prinzip dort an, wo die zweite Staffel endete. Wir befinden uns immer noch im Jahr 1929, nur ein paar Monate später.

Spürt man, dass der gesellschaftliche Tanz auf dem Vulkan, den die ersten Staffeln beschreiben, heißer geworden ist?

Fries: Ja, es wird ernster. Die Auseinandersetzungen auf der Straße verschärfen sich. Auch wenn wir eine Kriminalgeschichte erzählen: Das Gesellschaftsbarometer wird deutlich miterzählt. Das geht auch nicht anders. Es wäre so, als wenn man ein Gesellschaftsporträt von heute zeichnen wollte und die Klimakrise aussparen würde. Bei einer Erzählung aus dem Berlin des Jahres 1929 ist deshalb auch die strauchelnde Demokratie immer irgendwie präsent.

Wie viele Staffeln von „Babylon Berlin“ kann man überhaupt noch drehen?

Fries: Das weiß keiner so genau. Auf allen Seiten gibt es viel Energie und den Wunsch, das noch länger weiterzumachen. Einige sagen schon, dass wir zusammen alt werden. Rein faktisch denkt man natürlich von Staffel zu Staffel. Und, was noch entscheidender ist: Man finanziert von Staffel zu Staffel!

Die neuen Folgen erzählen den Roman „Der stumme Tod“. Dabei geht es um Morde an einem Filmset. Welche Welten des Jahres 1929 werden noch erzählt?

Fries: Die Film-im-Film-Nummer war für uns Schauspieler absolut faszinierend. Da stehe ich in der Kulisse nicht nur als Kriminalassistentin Charlotte Ritter, sondern auch als staunende Liv. Darüber hinaus spielen in den neuen Folgen der Börsencrash von 1929 und der Feminismus eine Rolle. Charlotte fährt auch einmal raus aus Berlin, und wir spüren kurz, dass es ein Leben jenseits der Stadt gibt. Aber natürlich kommt auch das Nachtleben Berlins wieder vor.

Zur Person

Geboren am 31. Oktober 1990 in Berlin. Bereits als Jugendliche erhält sie Schauspielunterricht. Erste Rollen spielt sie in „Bella Block“, „Soko Köln“ und „Die Welle“. Es folgen größere Rollen in „Bis aufs Blut“ (2010) und „Sie hat es verdient“ (2011). Für „Und morgen Mittag bin ich tot“ (2013) erhält sie den Bayerischen Filmpreis und den Max-Ophüls-Preis.

Seit 2017 spielt Liv Lisa Fries unter der Regie von Tom Tykwer in der Serie „Babylon Berlin“ die Hauptfigur Charlotte Ritter.

TV-Tipp

„Babylon Berlin“, ab 24. Januar (20.15 Uhr) in Doppelfolgen bei Sky 1 oder jederzeit auf Abruf. Ab Herbst 2020 im Ersten

Wofür brauchten Sie diesmal die meiste Vorbereitungszeit?

Fries: Es war insgesamt weniger aufwendig als beim ersten Mal, weil wir unsere Rollen und das Setting bereits kannten. Am aufwendigsten sind die Tanzproben. Auch wenn es manchmal frustrierend ist, wie lange man dafür trainiert – und dass dann im fertigen Film weniger als zehn Sekunden zu sehen sind.

„Babylon Berlin“ ist ein großes Fest des Rauchens. Viele Figuren scheinen sich in fast jeder neuen Szene eine Zigarette anzustecken. Ist das nicht schrecklich anstrengend?

Fries: Man kann am Filmset Kräuterzigaretten rauchen, das belastet den Organismus nicht so stark. Ich habe zwar mal geraucht, tue es aber nicht mehr. Volker Bruch, der als Gereon Rath in der Serie enorm viel raucht, ist privat Nichtraucher. Bei all den Wiederholungen, die man für eine Szene benötigt, würden wohl selbst passionierte Raucher kreislaufmäßig die Segel streichen. Viel anstrengender sind Szenen, in denen gegessen wird.

Warum das?

Fries: Man kann Essen nicht komplett „faken“. Ein Beispiel: Es gibt eine Szene in der neuen Staffel, da isst Udo Samel als Chef der Mordkommission ein Stück Torte. Ich glaube, am Ende musste er eine ganze Torte essen, weil er in jedem Take ein ganzes Stück verputzen sollte. Bei den ersten zwei oder drei Tortenstücken mag das ja noch ganz lustig sein. Danach wird es echt ekelhaft.

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Was bekommen Sie vom Erfolg der Serie im Ausland mit?

Fries: Wir bekommen mit, dass die Leute begeistert sind. Ich war bei den Filmfestspielen in Venedig, wo ich für die Rolle der Charlotte Ritter einen Preis bekommen habe. Die Serie ist dort ein Phänomen, die Leute rasten total aus. Aber auch anderswo lief es ausgezeichnet: Aus Frankreich, wo es ein bisschen dauerte, bis die Serie verkauft war, kam nun viel positives Feedback. Auch in England lief es wahnsinnig gut.

Wie sieht es mit Amerika aus?

Fries: Weil „Babylon Berlin“ in den USA bei Netflix lief, war das Feedback auch immens. Die Amerikaner finden die Serie großartig, allerdings haben sie uns synchronisiert. Meine amerikanische Stimme ist eher hoch und piepsig, sie hat nicht so viel mit mir zu tun. Doch auch in Amerika kann man auf Originalton mit Untertiteln umschalten.

Hat Hollywood schon angeklopft?

Fries: Ich habe direkt nach den ersten beiden Staffeln einige Folgen einer amerikanischen Serie „Counterpart“ mit J.K. Simmons gespielt. Ansonsten gibt es auch aus Europa mehr Anfragen. Es heißt allerdings nicht, dass solche Angebote immer auch besser sind als die Projekte, die man in Deutschland drehen kann. Dafür ist „Babylon Berlin“ sicher das beste Beispiel.

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