Interview mit Svenja Flaßpöhler„Die Frau muss in die Potenz finden“

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Svenja Flaßpöhler

Von der Passivität in die Aktivität: Svenja Flaßpöhler.

Köln – Svenja Flaßpöhler ist Chefredakteurin beim „Philosophie Magazin“. Über ihr aktuelles Buch und die heute beginnende phil.Cologne, die sie inhaltlich mitgeplant hat, sprach sie mit Hartmut Wilmes.

In Ihrem Buch „Die potente Frau“ plädieren Sie dafür, angesichts der #metoo-Debatte nicht einfach das alte Herrscherraster umzudrehen. Sie schreiben: „Anstatt den Mann zu kastrieren, muss die Frau selbst in die Potenz finden.“

Kulturgeschichtlich wurde Potenz immer männlich gedacht, während der Frau das eigene Begehren abgesprochen wurde. Sigmund Freud schreibt, dass dem Begriff der weiblichen Libido jede Rechtfertigung fehle, und Jacques Lacan sagt, dass die Frau nur einen grandiosen Mangel zwischen den Beinen habe.

Und diese Ansichten halten sich bis heute?

Wenn #metoo eines deutlich zeigt, dann doch dies: Es ist immer noch eine Aufgabe, dass sich Frauen aus dieser jahrhundertelangen Funktion befreien, nur das männliche Begehren zu spiegeln. Sie müssen zu einem eigenen, eigensinnigen Begehren finden, von der Passivität in die Aktivität kommen.

Sie schreiben Vergewaltigung oder schwere Nötigung ja nicht klein, wundern sich aber über das weibliche „Festhalten am Opferdiskurs“. Bekommen Sie dafür eher Lob oder Kritik?

Beides. Es gibt kritische Stimmen, die sagen: Ach, jetzt ist also wieder die Frau schuld. Es gibt aber auch viel Zustimmung dafür, dass hier – anders als im #metoo-Diskurs –differenziert wird.

Inwiefern?

Schon im Wort me too, also „ich auch“, liegt eine Unschärfe. Bezieht es sich auf eine Vergewaltigung, eine Nötigung oder eine verbale Belästigung? Dabei müssen wir doch unterscheiden zwischen Situationen, in denen Frauen wirklich keine Handlungsmöglichkeiten haben und solchen, in denen diese durchaus bestehen.

Zum Beispiel?

Hoch problematisch finde ich folgende Argumentation: Wenn ich nachts vom Chef zum Bewerbungsgespräch ins Hotelzimmer bestellt werde, muss ich das akzeptieren, weil ich sonst den Job womöglich nicht bekomme. Diese Begründung führt den Begriff der Autonomie ad absurdum, weil Autonomie nun einmal Risiken und das mutige Überwinden von Widerständen einschließt. Mündigkeit hat folglich ihren Preis, aber unsere liberale Demokratie beruht nun einmal auf mündigen Bürgern und eben auch mündigen Bürgerinnen.

Sie sind Mitglied des Programmteams der 6. phil.Cologne. Während Sie im „Philosophie Magazin“ das Männer-Frauen-Thema zum Schwerpunkt des aktuellen Heftes machen, fehlt es auf dem Kölner Festival. Warum?

Als wir das Programm konzipiert haben, waren wir uns eigentlich sicher, dass das Thema bis zum Festival schon wieder abgeebbt sein würde. Dass es so eine Langzeitdynamik bekommen würde, war da noch nicht abzusehen.

Gegen Ende des Festivals tritt Robert Pfaller auf. Sehen Sie zu ihm und seinem Buch „Erwachsenensprache“ eine Geistesverwandtschaft?

Ja, durchaus. Es geht ihm auch zentral um die Mündigkeit des Einzelnen, darum, dass jene, die sich verletzt oder diskriminiert fühlen, nicht automatisch recht haben. Natürlich müssen die Grenzen des Sagbaren immer neu verhandelt werden, doch wenn ein angeblich sexistisches Gedicht von Eugen Gomringer von der Wand einer Berliner Hochschule entfernt wird, hat unsere liberale Demokratie offensichtlich ein ernsthaftes Problem.

Sie moderieren vier Veranstaltungen auf der phil.Cologne, darunter eine zum Thema „Die große Gereiztheit – zivilisiert streiten“...

Dazu haben wir Marie-Luisa Frick eingeladen, um mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen zu diskutieren. Sie plädiert für ein „agonistisches“, radikales Demokratieverständnis, das auf Gegnerschaft, Streit und Auseinandersetzung beruht. Und damit gegen die etwa von Jürgen Habermas vertretene deliberative Demokratie, in der zum Diskurs nur das Vernünftige zugelassen sein soll. Damit trifft man ja eine heikle Vorauswahl. Das erleben wir heute ständig bei der Frage, ob man mit Rechten reden solle oder nicht. Wobei man natürlich auch hier die Grenze der Toleranz sehr genau ausloten muss, um Rassismus und Hass nicht wieder salonfähig zu machen.

Leben wir in guten oder schlechten Zeiten für Philosophie?

In sehr guten Zeiten, das zeigt auch der Erfolg des „Philosophie Magazins“. Vor allem die erwähnte tiefe Krise der Demokratie erfordert ein philosophisches Fragen und Nachdenken. Dieser Krise widmet sich ja auch die phil.Cologne in sehr vielen Facetten: von der „konservativen Revolution“ bis zum „neuen Liberalismus“.

Auf welche Gäste freuen Sie sich besonders?

Auf Robert Habeck bin ich sehr gespannt, ebenso auf Jan-Werner Müller, einen der berühmtesten Populismus-Forscher. Ich freue mich sehr auf Siri Hustvedt, die ich in ihrem literarischen, essayistischen und philosophischen Schaffen sehr bewundere. Wie sie ihre Biografie als Ausgangspunkt nimmt, sich in „Die zitternde Frau“ etwa als verletzliches Wesen zeigt und daraus eine unglaubliche intellektuelle Kraft zieht – das fasziniert mich.

Svenja Flaßpöhler: Die potente Frau. Für eine neue Weiblichkeit. Ullstein, 48 S., 8 Euro. Philosophie Magazin (Juni/Juli): Titelthema: Männer und Frauen – wollen wir dasselbe? (98 S., 6.90 Euro).

phil.Cologne vom 5.-9. Juni. Änderungen: Die Veranstaltung „Politisches Framing“ (9.6., 19 Uhr) entfällt. Die Karten können dort zurückgegeben werden, wo sie gekauft wurden. Für Heinz Bude springt Claus Dierksmeier in der Veranstaltung über „Kosmopolitismus“ (6.6., 18 Uhr) ein.

Für viele Abende gibt es noch Karten unter koelnticket.de oder an den Abendkassen. Internet: www.philcologne.de

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