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Neues Album „Madame X“Madonna ist der Popwelt abhanden gekommen

Lesezeit 3 Minuten
Madonna neue Platte

Am 14. Juni 2019 erscheint das neue Album  "Madame X".

Das Letzte, was Madonna nach einer phänomenalen Karriere mit über 300 Millionen verkauften Tonträgern und sieben Grammys verdient hat, ist Mitleid. Doch genau dieser Gefahr setzte sich der weibliche Megastar der 80er, in der Ruhmeshalle direkt neben Michael Jackson, Prince, Bruce Springsteen und David Bowie, im Mai aus – mit einem vielfach als Fiasko empfundenen ESC-Gastspiel.

Wacklig und stimmlich indisponiert wirkte die 60 Jahre alte Sängerin auf der riesigen Bühne in Tel Aviv. Voller Sorge (oder auch Häme) wurde daher Madonnas neues Studioalbum „Madame X“ (Univeral) erwartet. Stürzt die „Queen of Pop“ mit der angekündigten Ausrichtung auf modische Latino-Sounds noch tiefer, verliert sie mit immer neuen Imagewechseln ihre Würde? Oder kann sie sich nochmal neu erfinden? Wie 1998, als sie dem Abstiegs-Geläster ihr Elektropop-Meisterwerk „Ray Of Light“ entgegenschleuderte.

Madonnas eher dünne Stimme klingt auf der Platte schonmal besser, auch jünger als an diesem vermaledeiten Abend zwischen all den Möchtegern-Popsternchen beim Eurovision Song Contest (ESC). Gleich im ersten Song „Medellín“ trifft die US-Amerikanerin mit Teilzeit-Wohnsitz Lissabon die Töne hell und klar – wenn auch im Studio nachbehandelt. Neben ihr rappt der Kolumbianer Maluma.

Nach dem Sommerhit geht es bergab

Man denkt zurück an „Despacito“, Luis Fonsis Latinpop-Ohrwurm von 2017, oder auch an Madonnas „La Isla Bonita“ von 1986 – und schwenkt zum englisch-spanischen Gesangsmix das Cocktailglas. „One, two – cha cha cha“ säuselt Madonna zu einem mittelschnellen Beat. Sommerhits kann sie also noch. Doch danach geht es bergab – mit „Dark Ballet“, einem von Madonnas Lieblingsstudiohelfer Mirwais produzierten Epos, das viel zu viel auf einmal will. „I can dress like a boy, I can dress like a girl“, singt Madonna, als wolle sie ihre einst grenzenlose Gender-Allmacht beschwören. Zuerst Ballade, dann urplötzlich ein Piano-Solo und Klassik-Kitsch, schließlich eine vermeintlich coole Spoken-Word-Passage – und andauernd diese im heutigen Pop fast schon wieder aus der Mode geratene Stimmenmanipulation per Autotune: Ein kunterbuntes Durcheinander ist dieses „Dark Ballet“, unfreiwillig komisch, ja bizarr – und gewiss nicht so modern wie von der Pop-Veteranin mit dem einst zielsicheren Trendbewusstsein erwünscht.

So richtig erholt sich das unruhige, mit rund einer Stunde Spieldauer viel zu lange Album von diesem Tiefpunkt nicht mehr. „God Control“ kombiniert House, Hip-Hop und Streicher. Madonna fordert „Democracy!“ – ganz nett und durchaus tanzbar.

Im politischen Song „Killers Who Are Partying“ geht es etwas wirr um Schwule, Arme und Frauen, Afrika und Islam, Israel und Indianer – Madonna sieht sich auf der Seite der Schwachen, Verfolgten und Beladenen. Gut gemeint – aber textlich: nun ja...

Trotz Klangfarben wie Akkordeon und Orgel kommt vieles auf der zweiten Albumhälfte kaum über Füllmaterial hinaus. Am überzeugendsten kriegt Madonna kurz vor Schluss „I Don't Search I Find“ hin. Der knackige House-Song ist allerdings fast eine Selbstkopie vom 30 Jahre alten Dancefloor-Knaller „Vogue“.

Dokument der Ziellosigkeit

Der Gesamteindruck: Die erfolgreichste, zeitweise auch einflussreichste Musikerin der Pop-Moderne klingt nicht mehr modern – und ihre neue Platte wie ein Dokument der Ziellosigkeit. Ein Totalabsturz ist „Madame X“ nicht. Für Platz 1 der Charts vieler Länder wird es wie schon bei den durchwachsenen Vorgängern „Hard Candy“ (2008), „MDNA“ (2012) und „Rebel Heart“ (2015) wohl wieder reichen. Aber irgendwie ist Madonna in der Pop-Welt von heute nicht mehr hip, sondern ziemlich egal. (dpa)

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