Neues Buch„Venedig ist auch nicht viel größer als Ehrenfeld“

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Ehrenfled

In voller Chrompracht: Amerikanisches Cabrio auf der Venloer Straße.

Köln – Also mit der stets von Touristen überschwemmten Lagunenstadt in der Adria hat Ehrenfeld nun wirklich nichts zu tun. Deshalb erklärt Herausgeber Peter Rosenthal auch im Nachtrag die Anekdote um den ehemaligen Kölner Theaterkritiker Wilhelm Unger, aus dessen Umfeld der Titel "Venedig ist auch nicht viel größer als Ehrenfeld" stammt. Aber eine ganz, ganz kleine Gemeinsamkeit gibt es dann doch: Ehrenfeld wird attraktiv.

Dem Biotop auf die Pelle gerückt

Zumindest ist Kölns ältestes Arbeiterquartier auf dem Weg, sich hinter den hippen Vierteln der Republik wie dem Prenzlauer Berg in Berlin und Hamburgs Schanzenviertel in die Liste der lebendigsten Großstadtmeilen einzureihen. Peter Rosenthal praktiziert dort als Arzt, und in seinem vor über zehn Jahren erschienenen Buch "Entlang der Venloer Straße" erzählte er schon von den Menschen, die ihm bei seiner Arbeit im Veedel begegneten.

Nun präsentiert er ein Buch, das dem Kosmos Ehrenfeld in Wort und Bild noch gründlicher auf die Pelle rückt. 29 Autoren erzählen, wie sie diesen Stadtteil der Gegensätze erleben, in dem sich viele Veränderungen vollzogen. Seine Bewohner sind jünger geworden, auch weil die Mieten hier bis vor kurzem noch bezahlbar schienen.

Mit viel Kreativität und dem Mut der jungen Gründer entstanden Cafés und Geschäfte, die ein wohltuendes Pendant zu den sterilen Einkaufsmeilen der Innenstadt bilden, in der die multinationalen Bekleidungskonzerne den Ton angeben. Ehrenfeld hingegen ist "dreckisch, ävver jerääch", wie die Brings-Brüder behaupten. Und auch das stimmt nicht ganz, wenn Peter Brings einräumt, dass sich rund um den Ehrenfeldgürtel doch städtebaulich einiges zum Besseren getan hat. Immer wieder zieht sich durch das Buch die Sorge, dass das legendäre Underground mit seiner großen Musiktradition abgerissen werden könnte. Nach Erscheinen des Buches ist das inzwischen geschehen.

Der Streifzug durch die Winkel zwischen Subbelrather und Venloer Straße erzählt von Ehrenfelds Handwerkern, seiner Industrie-Vergangenheit, dem ehemaligen jüdischen Leben, das hier besonders stark präsent war.

Vom dunklen Kapitel des Sammellagers der Zigeuner, die verfolgt, deportiert und ermordet wurden. Themen sind auch der Karneval, die Arbeit oder die Migranten aus der Türkei und Südamerika. Ein Abschnitt ist der Architektur gewidmet, ein anderer den zahlreichen kunstvollen Wandgemälden. Es gibt einen Blick auf die Vögel und den Lebensstil einer neuen Urbanität, der die Stadtviertel durch ihre Bewohner zu gestalten sucht. Ein Gespräch mit Paul Böhm, dem Architekten der faszinierenden neuen Moschee, ist ebenfalls Teil des reflektierten Blicks auf dieses besondere Stück Köln.

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Die Qualität dieses Buches ergibt sich aus der Nähe, die die Autoren zu ihrem sozialen Biotop unterhalten. Es wird nichts beschönigt und nur selten gemault, immer bleibt spürbar, dass es hier um das wirkliche Leben geht. Die Realität, die noch nicht zum Klischee eines Reiseführers geronnen ist.

Atmosphäre im Gegenlicht

Dabei will man dieses Viertel kennenlernen, von dem es einmal hieß: "Alles Schlechte dieser Welt kommt aus Nippes, Kalk und Ehrenfeld". Sofort ist man gewonnen angesichts der Fülle gut gemachter Bilder für den Vorstadtkosmos jenseits der Inneren Kanalstraße. Oftmals sind die Fotografien im Gegenlicht gemacht, so dass man die Wärme, die erregende Buntheit und die gute Laune der Ehrenfelder zu spüren meint.

Wie man das Buch auch dreht und wendet, seine Bilder nehmen einen gefangen, in ihnen spürt man den Herzschlag der Großstadt, dort, wo sie eng, überraschend ist und voller Geschichten steckt.

Venedig ist auch nicht viel größer als Ehrenfeld. Hrsg. v. Peter Rosenthal. Verlag der Buchhandlung Walther König. 224 S., 24,80 Euro  

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