NRW streicht Goethe aus AbiturLehrer streiten über Entscheidung des Schulministeriums

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Goethe Denkmal

Vor dem Deutschen Nationaltheater in Weimar blickt der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe als Denkmal auf den Theaterplatz hinab.

  • „Faust I“ gehört von 2021 an nicht mehr zur Pflichtlektüre für Abiturienten in Nordrhein-Westfalen.
  • Das NRW-Schulministerium schließt sich mit dieser Entscheidung anderen Bundesländern an.
  • Unter Pädagogen sorgt das Ganze jedoch für große Diskussionen. Lehrerpräsident Hans-Peter Meidinger fordert ein Umdenken.

Düsseldorf – Für Abiturienten in Nordrhein-Westfalen zählt Goethes „Faust“ künftig nicht mehr zur Pflichtlektüre. Von 2021 an falle das Werk für mindestens drei bis vier Jahre aus dem verbindlichen Prüfungskanon für das Fach „Deutsch“, bestätigte das NRW-Schulministerium entsprechende Informationen unserer Redaktion. An die Stelle des „Faust“ soll Lessings „Nathan der Weise“ treten, wie es in den neuen Abiturvorgaben heißt.

„Um über die Jahre hinweg die ganze Breite der Fächer im Abitur berücksichtigen zu können, wechseln die Fokussierungen in allen Fächern regelmäßig – in etwa im Abstand von drei bis vier Jahren“, teilte das Schulministerium hierzu mit. Für das Abitur 2021 stehe nun wieder ein turnusgemäßer Wechsel an.

Nur in Bayern wird „Faust“ noch gelesen

NRW ist nicht das einzige Bundesland, das Goethes „Faust“ gestrichen hat, und dies auch nicht zum ersten Mal. Nach Angaben des Deutschen Lehrerverbandes ist der Klassiker einzig in Bayern noch verbindlicher Prüfungsstoff. Über die Abiturvorgaben entscheiden Kommissionen, die sich meist aus Vertretern der Schulministerien, aus Wissenschaftlern und Lehrern zusammensetzen. In NRW liegt diese Verantwortung bei Qualis, einem Landesinstitut, das im Auftrag des Schulministeriums arbeitet.

Abiturvorgaben für den Leistungskurs Deutsch

Bis 2020: Faust I (Goethe), Die Marquise von O (Kleist), Der Sandmann (E.T.A. Hoffmann), Das Haus in der Dorotheenstraße (Lange)

Ab 2021: Nathan der Weise (Lessing), Die Marquise von O., Der Sandmann, Das Haus in der Dorotheenstraße

Die neue Regelung stößt auf harsche Kritik. „Ich bin fassungslos. Schule hat auch die Aufgabe, kulturelle Identität zu vermitteln, da gehört ein Werk wie Goethes ‚Faust‘ unbedingt dazu“, sagte Hans-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, unserer Redaktion. Dies müsse auch bundesweit Konsens sein.

Goethe sei ein Humanist und Universalgenie; er müsse jedem Abiturienten nahe gebracht werden. Die im „Faust“ behandelten Fragen seien zeitlos und stellten sich im Leben eines jeden Menschen. „Sie können junge Menschen dazu anregen, sich mit Themen zu beschäftigen, die jeden angehen“, so Meidinger.

Entscheidung sorgt unter Pädagogen für Diskussionen

Auch bei Pädagogen, die im Ausland Deutsch unterrichten, stößt die Entscheidung auf Unverständnis: „Viele Studierende hier lernen eigens Deutsch, um Goethes Klassiker in der Originalsprache lesen zu können“, sagte Dörthe Uphoff, Chefredakteurin der Fachzeitschrift „Pandaemonium Germanicum“ der Universität São Paulo.

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Maike Finnern, Landeschefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), hält den „Faust“ zwar für ein „wegweisendes Werk“, aber dennoch für verzichtbar im Abitur: „Es gibt ja auch viele andere gute literarische Werke; da ist es in Ordnung, wenn die Themen von Zeit zu Zeit wechseln.“

Goethe könnte vollständig aus dem Deutschunterricht verschwinden

Das NRW-Schulministerium weist darauf hin, dass es den Schulen jenseits der Pflichtlektüre frei stehe, Werke von Goethe im Unterricht der Oberstufe oder in den unteren Klassen zu behandeln: „Die Abiturvorgaben legen lediglich fest, welches Werk zur Abiturvorbereitung auf jeden Fall zu bearbeiten ist, damit landeseinheitliche Abituraufgaben gestellt werden können.“

Wie aus informierten Kreisen verlautet, ist eine zusätzliche Lektüre jedoch angesichts des engen Zeitrahmens vor dem Abitur die absolute Ausnahme. Im Schulministerium heißt es dazu lediglich: „Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Goethe seinen festen Platz im Deutschunterricht der gymnasialen Bildungsgänge hat.“ Die Lehrpläne auch für die unteren Klassen machten aber bereits seit Jahrzehnten keine verbindlichen Autoren- bzw. Werkvorgaben mehr.

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