Zu schade für den SchredderIn Köln werden beschädigte Kunstwerke aufbewahrt

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Axa Kunstversicherung

Totalschaden mit Guckloch: Kai Kuklinski, Vorstandschef von Axa Art, zeigt Giorgio de Chiricos Gemälde „Piazza d'Italia“.

Köln – Auf diesem italienischen Platz scheint eine Bombe explodiert zu sein. Tatsächlich aber wurde Giorgio de Chiricos Ölgemälde „Piazza d'Italia“ Opfer eines bizarren Kunstunfalls: „Das Bild hing an der Außenwand eines niederländischen Privathauses, nebenan fanden Abbrucharbeiten an einem alten Bankgebäude statt, und die Abrissbirne krachte durchs Gemäuer in das Kunstwerk.“

Diesen „Totalschaden“, so fährt Kai Kuklinski fort, habe die Axa Art Versicherung AG seinerzeit mit „mehreren Hunderttausend Euro“ reguliert. Der Vorstandsvorsitzende des global agierenden Unternehmens zeigt dieses Paradebeispiel im Kölner Schadenslager, das die Axa bei der Fachspedition Roggendorf fine art angemietet hat.

Fakten zur Kunstversicherung

Die Axa Art AG ist eine der weltweit größten Kunstversicherungen. Laut Vorstandschef Kai Kuklinski ist man auf 26 Ländermärkten präsent. Zwei Drittel der Kunden seien Privatpersonen, daneben werden Museen, Messen wie die Art Basel, Galerien „und der internationale Leihverkehr“ betreut.

Weltweit hat die Axa Art jährlich zwischen 1000 und 1500 Kunstschäden zu bearbeiten, wovon 20-30 Prozent unstrittige Totalverluste sind. Da über die übrigen Fälle oft langwierige Einigungen mit Künstlern wie Kunden gesucht werden, will das Unternehmen keine Gesamtschadenssumme nennen.

Rund 40 Prozent der Beschädigungen entstehen beim Transport von Kunstwerken, es folgen Feuer- und Wasserschäden, während Diebstähle eher selten vorkommen.

Warum bewahrt der Versicherer hier knapp 300 kaputte Werke etwa von Gerhard Richter, Jan Fabre, Helmut Newton oder Peter Lindbergh auf? „Vor allem aus Respekt vor der Kunst, als Beweis dafür, dass wir die Passion unserer Kunden teilen.“ Daneben stellt man geeignete Stücke auch als Forschungsobjekte zur Verfügung, „weil uns verbesserte Restaurierungstechnologien am Ende des Tages selbst zugutekommen“.

So bleiben manche Werke gut gesichert und klimatisiert im Lager, weil man sie künftig doch noch wiederherzustellen hofft. Andere werden zu karitativen Zwecken versteigert oder zunächst als Anschauungsmaterial verwahrt.

Kosten einer Reparatur würde Versicherungswert übersteigen

Schwer erwischt hat es auch die mit Brotteig gefüllten Stiefel von Daniel Spoerri aus dem Jahr 1971. „In dieser Eat Art ist ja schon die Vergänglichkeit angelegt“, erläutert Axa-Kunsthistorikerin Dorothee Hamm-Neumann. „Bis 2016 hat das Werk tapfer durchgehalten, bis eine Transporterschütterung den Teig zerkrümelt hat.“ Zwar sind die Bruchstücke noch vorhanden, die Kosten einer möglichen Reparatur würden aber den Versicherungswert übersteigen.

Die Regulierung von Kunstschäden, so Kuklinski, sei ein langwieriger Prozess, in dem der Künstler eine Restaurierung autorisieren müsse. „Im Idealfall wollen wir das Werk dem Kunden zurückgeben, wobei dann nicht der volle Wert, sondern nur Arbeitsaufwand und Wertminderung entschädigt werden müssen.“ In Köln, „einem unserer größeren Lager“, landen dann die (noch) hoffnungslosen Fälle.

So wie eine großformatige Leinwand von Jiri Georg Dokoupil, eines Vertreters der Kölner Künstlergruppe „Mülheimer Freiheit“. Das Bild war in einer Holzkiste verpackt und wurde bei einem grobmotorischen Gabelstaplereinsatz am unteren Rand zerfetzt. „Das ließe sich wohl restaurieren“, meint Hamm-Neumann, „wobei jeder durchtrennte Faden an den gegenüberliegenden Teil angeschweißt und dann auch noch die Grundierung erneuert werden müsste.“ Fachkundiges Urteil: zu teuer.

Zu schade für den Schredder

Renommierte Künstler lassen ohnehin schon bei kleinsten Verletzungen ihrer Werke nicht mit sich reden. So wie Gerhard Richter. Im Zuge der kreativen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Berliner Reichstags entstand 1999 seine Flaggenarbeit „Schwarz, Rot, Gold“ in Kunstharzfarbe hinter Glas. Das an einer Aluminiumschiene mit Feder aufgehängte Exponat bekam wohl zu viel Druck, und 2017 entdeckte man im Folkwang-Museum einen winzigen Sprung im Glas. Da sah der perfektionistische Kölner nur eine Möglichkeit: Er strich seine Signatur durch, entwertete das Bild – und schuf es neu. Der kaputte Zwilling ist nun Schadkunst, aber zu schade für den Schredder.

Rund 30 solcher Werke fordert die Kunsthistorikerin pro Jahr für ihr Lager an. Scherbenhaufen haben allerdings ebenso schlechte Chancen wie verschimmelte Arbeiten. „Und wenn aus geborstenen Leuchtkästen schon das Leuchtmittel quillt, kann der Kontakt damit sogar gefährlich werden.“

Auch für jene Stücke, die in diesem Lager fachkundig verpackt vielleicht doch auf ihre zweite Chance warten.

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