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„Respekt nimmt ab“Ein Kölner Feuerwehrmann und Sanitäter über seinen Alltag

Lesezeit 7 Minuten
„Manchmal stoßen wir an unsere Grenzen“, sagt Jörg Nießen.

„Manchmal stoßen wir an unsere Grenzen“, sagt Jörg Nießen.

Vier Bücher hat der Kölner Berufsfeuerwehrmann und Rettungssanitäter Jörg Nießen (43) bereits über seinen Beruf geschrieben. Christiane Vielhaber sprach mit ihm über sein neuestes Werk, die tägliche Arbeit, skurrile Begegnungen und unnötige Notrufe.

Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, dass eigentlich jeder Einsatz so anstrengend und anspruchsvoll ist wie ein Vorstellungsgespräch bei einer neuen Firma.

Ein bisschen ist es so. Ich weiß vorher nie, wer mir da begegnet und wie ich ihn ansprechen muss. Da kann ein Mann sein, der so spricht und sich benimmt wie am Stammtisch, oder eine leicht silbergefärbte, etwas überkandidelte Dame mit gewählter Ausdrucksweise. Da muss man eine gewisse Anpassungsfähigkeit haben.

Das Buch

Jörg Nießen (43) ist Berufsfeuerwehrmann und Rettungssanitäter in Köln.

„Rettungsgasse ist keinStraßenname“ (Eden Books) ist bereits sein viertes Buch über seinen Beruf.

Wie kann man so etwas lernen?

In meinem Fall durch Erfahrung. Inzwischen hat sich die Ausbildung zum Notfallsanitäter aber gewandelt. Es ist eine dreijährige Berufsausbildung, in der Schulungen zu Sozialkompetenz einen ganz großen Stellenwert haben. Früher ging es letztlich nur um Medizin, alles andere hat man sich von Kollegen abgeschaut.

War das am Anfang sehr schwer?

Ich habe mit 19 im Zivildienst angefangen. Da ist man auf dem Papier volljährig, aber eigentlich noch grün hinter den Ohren. Da habe ich einige Male dumm aus der Wäsche geschaut. Aber man ist ja nie alleine beim Einsatz.

Welche Einsätze belasten Sie besonders?

Das ist in der Regel nicht der dramatische Unfall, der Herzinfarkt, der schlimme Bruch – sondern, wenn wir Menschen in einer Situation zurücklassen müssen, die menschenunwürdig ist. Da stoßen wir manchmal an unsere Grenzen. Zum Beispiel in Messie-Wohnungen, wo man noch nicht einmal ein Haustier wohnen lassen würde. Oder wenn wir auf alte, vereinsamte Menschen treffen. Da war ein älterer Herr, der trug zum Etat der Familie bei durch das Geld, was durch die Pflegestufen reinkam. Aber als Mensch vegetierte er in dem Haushalt dahin und war nur noch geduldet.

Sie schreiben, Sie seien besonders erschüttert, wenn das soziale System versage.

Ja, wie bei der Messie-Wohnung. Da können wir zunächst medizinisch helfen und dann weitere Hilfe von anderen Stellen anbieten. Aber häufig ist diese Hilfe nicht gewollt. Dann müssen wir am Ende jemanden zurücklassen. Auch, weil wir einfach nicht mehr zuständig sind.

Erfahren Sie eigentlich, wie es mit den Menschen nach Ihrem Einsatz weitergeht?

Meistens nicht. Und das empfinden viele Kollegen als Problem . Man hat einen Menschen aus einem Fahrzeug herausgeschnitten, bringt ihn ins Krankenhaus und erfährt nie, ob das Opfer überlebt hat.

Treffen Sie heute auf mehr vereinsamte Menschen als früher?

Ob es mehr oder weniger geworden sind, dafür stehen einfach keine belastbaren Daten zur Verfügung. Es gibt immer mehr Singlehaushalte, da kann man sich Zahlen konstruieren. Aber die Studienlage ist sehr dünn. Ich habe jetzt fast 25 Dienstjahre hinter mir, aber eine Einschätzung erlaube ich mir nicht.

Die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft hat gerade Polizeischutz für Silvester gefordert. Wie stehen Sie zu der These, dass die Leute immer aggressiver gegenüber Rettungskräften werden?

Sehr schwieriges Thema. Das muss man differenziert sehen. Es ist unstrittig, dass die Gesellschaft rauer geworden ist. Das betrifft auch viele andere Berufsgruppen wie Gerichtsvollzieher und Polizisten. Der Respekt gegenüber Menschen, die Uniform tragen und dadurch als Persönlichkeit zurücktreten, ist geringer geworden. Die Datenlage ist aber auch hier dünn.

Was erleben Sie selbst?

Ich erlebe Aggressionen, aber es ist nicht an der Tagesordnung. Ich steige nicht morgens in den Rettungswagen mit der Angst, heute eins aufs Maul zu kriegen. Aber ich kann mir auch nicht sicher sein, dass nichts passiert. Vor 20 Jahren, als man die damals übliche rote Rettungssanitäter-Hose anhatte, da war klar: Du gehörst zu den Guten und wirst nicht angegriffen. Aber wer im Rettungsdienst arbeitet, ist sich bewusst, dass er keine Plätzchen backt.

Sind wir vielleicht nur aufmerksamer oder empfindlicher geworden?

In den Zahlen über Übergriffe sind auch häufig Bagatellen mit aufgeführt. Vieles hängt von der Situation ab. Wenn man als Angehöriger dabeisteht, wenn Mann, Kind oder Schwester aus einem Auto herausgeholt werden, will man dabei sein. Das kann man verstehen. Wenn wir dann sagen „Gehen Sie bitte zur Seite, wir müssen hier arbeiten“, können auf der anderen Seite schon mal harte Worte fallen, die nicht so gemeint sind. Etwas anderes ist natürlich, wenn ein Gaffer mit seinem Smartphone Fotos macht und ins Netz stellt und sich dann noch den Anweisungen widersetzt.

Was muss getan werden?

Ich kann nur an jeden, der im Rettungsdienst arbeitet, appellieren, sich ein dickes Fell zuzulegen. Wir sollten auch nicht nach jedem Vorfall Pfefferspray und Schutzwesten fordern. Wenn der Rettungsdienst anfängt aufzurüsten, dann sagt die mögliche Gegenseite: Jetzt erst recht, dann machen wir das auch. Das wäre ein völlig falsches Signal. Das wäre so, als wenn das Rote Kreuz sich bewaffnen würde, wenn es auf dem Oktoberfest Dienst tut.

Sie erleben auch lustige Dinge. Zum Beispiel treffen sie auf einen älteren Herrn, der nur mit einem Bademantel bekleidet und bekifft im Vorgarten Udo-Jürgens-Lieder singt. Oder auf einen Mann, der sich mutmaßlich selbst nackt ans Bett gekettet hat

Rettungsdienst ist keine humorbefreite Zone. Da darf man auch mal lachen. Aber man darf sich natürlich nicht über die Leute lustig machen. Deshalb verändere ich die Geschichten auch so, dass die dargestellten Menschen nicht zu identifizieren sind.

Bei alledem haben Sie noch Zeit, auch auf Kleinigkeiten zu achten – zum Beispiel auf die von Hausfrauen getöpferten Namensschilder an den Türen

Ich habe in all den Jahren versucht, mir einen Blick für Kleinigkeiten zu bewahren. Da sehe ich zum Beispiel das Ehepaar in den 70ern, beide eingefleischte Michael-Schumacher-Fans, mit einem kompletten Schumacher-Zimmer. Das war wie ein Tempel. Oder ich komme in eine gut situierte Gegend und entdecke im Haus im Badezimmer Kacheln aus dem 60ern Jahren, die wahrhaft psychedelische Krämpfe auslösen können. Und da frage ich mich, warum die Leute bei all dem Geld nicht mal das Bad renoviert haben.

Die Leute vertrauen der Feuerwehr ja sehr, vielleicht zu sehr. Wählen die Menschen zu oft den Notruf?

Ich stehe zu der Regel: Lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig. Es liegt einfach in der Natur der Sache, dass Feuerwehr und Rettungsdienste auch unnötige Einsätze fahren. Aber es stimmt, die Anzahl der überflüssigen Einsätze ist größer geworden. Die Leute haben heutzutage ein geringeres Talent darin, Probleme selber zu lösen.

Ein Beispiel?

Da ist das Eckventil im Badezimmer abgerissen, Wasser läuft in die Wohnung. Mein erster Weg wäre: Ich drehe den Haupthahn zu. Es wäre nicht mein erster Gedanke, die Feuerwehr anzurufen, während das Wasser läuft.

Ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, wo der Haupthahn ist. Ich würde die Nachbarn fragen.

Das Problem ist, dass es viele Leute gibt, die nicht einmal wissen, dass es einen Haupthahn gibt. Da fehlt es im Alltag oft an einer gewissen Selbstständigkeit. In den letzten Jahrzehnten ist Instinkt verloren gegangen.

Haben Sie noch ein Beispiel?

Wir sind froh, dass Rauchmelder in Privatwohnungen Pflicht sind. Das bereitet uns seit ein, zwei Jahren aber vermehrt Einsätze. Wenn die Batterien der Rauchmelder leer sind, piepen die Geräte. Das ist kein Grund, die Feuerwehr zu rufen. Wird aber gemacht. Vor Ort müssen wir dann den Unterschied zwischen Batteriealarm und eigentlichem Warnton erklären – und dass die Feuerwehr keine Ersatzbatterien dabei hat.

Kann das nicht im Vorfeld in der Leitstelle geklärt werden?

Wenn Sie als Anrufer beschreiben, dass Ihr Rauchmelder Alarm gibt und dies mehrfach wiederholen, wird irgendwann ein Einsatz gestartet. Da können wir kein Risiko eingehen.

Haben Sie einen Wunsch an die Bevölkerung?

Ja, ich habe mein Buch ja „Rettungsgasse ist kein Straßenname“ genannt. Bei „Rettungsgasse“ denken die meisten an die Autobahn. Aber es gibt auch noch Rettungsgassen der besonderen Art. Wenn Sie in einer kleinen Seitenstraße am Kopf der Kreuzung parken, kommt kein Großfahrzeug der Feuerwehr vorbei. Damit gefährden Sie einen ganzen Straßenzug. Bitte also auch beim Parken mal nachdenken. Und wenn ein Mülleimer an der Laterne brennt, kann man die Feuerwehr rufen, man kann aber auch selbst einen Eimer Wasser drüber schütten. Denn in der Zeit stehen wir für wirklich dringende Einsätze nicht zur Verfügung.

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