Ärzte schlagen Alarm„Kranke Kinder besser zuhause lassen"

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Grippe

Was sollen Eltern tun, wenn das Kind krank ist? Es in die Schule schicken, mit Medikamenten aufpeppeln, oder zuhause bleiben und Ärger beim Arbeitgeber riskieren? Über dies Problematik sprach Theresa Templin mit Kinderarzt Hermann Josef Kahl

Herr Kahl, Kinderärzte warnen, dass immer mehr Eltern Ärzte dazu anhalten, den Genesungsprozess ihrer Kinder mit Medikamenten zu beschleunigen. Wie sieht die Lage in deutschen Praxen aus?

Wenn Kinder krank werden und beide Eltern berufstätig sind, ist das ein großes Problem. Es muss sich jemand finden, der auf das Kind aufpasst. Dabei stellen wir auch fest, dass viele Mütter und Väter nicht zu Hause bleiben wollen, weil sie Angst vor Repressalien im Job haben. Deswegen drängen sie darauf, Medikamente zu verschreiben, die den Genesungsprozess beschleunigen sollen. Dass ein Kind sich zu Hause auskuriert und von den Eltern versorgt wird, findet heute eigentlich kaum noch statt. Mir ist aber auch schon aufgefallen, dass sogar Elternteile, die nicht berufstätig sind, ihre Kinder wieder in die Schule schicken.

Zur Person

Hermann Josef Kahl ist praktizierender Kinderarzt in Düsseldorf und Sprecher des Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.

Haben die Eltern Angst, die Kinder könnten etwas in der Schule verpassen?

Das kann sein. Aber durch eine Krankheit kann das Kind den Unterrichtsstoff sowieso nicht aufnehmen. Der Stoff ist ja relativ leicht nachzuholen, da die Kinder nie Wochen, sondern meist nur ein paar Tage fehlen.

Was bedeutet das für die Kinder, wenn sie trotzdem in Kita oder Schule gehen?

Stress. Sie gehen nicht nur physisch, sondern auch psychisch geschwächt in die Kita oder die Schule. Wir befürchten, wenn das häufiger passiert, dass ein Problem in der emotionalen Persönlichkeitsentwicklung entstehen kann. Abgesehen davon, werden andere Kinder in den Einrichtungen auch angesteckt. Das ist ein Teufelskreis.

Inwiefern können dadurch Probleme in der emotionalen Persönlichkeitsentwicklung entstehen?

Wenn Kinder krank sind und von ihren Eltern trotzdem in die Kita oder Schule gebracht werden, kann das Angst auslösen. Sie spüren, dass sie nicht angemessen betreut werden. Ein Kind, das krank ist sucht den Kontakt zur engsten Bindungsperson. Wenn diese nicht nur nicht da ist, sondern das Kind auch noch bewusst in einer solchen Schwächesituation allein lässt, kann daraus ein emotionaler Konflikt entstehen. Erst entsteht Enttäuschung, dann Angst, dann eine Bindungsstörung. Ein verantwortungsvolles Handeln ist daher sehr wichtig, damit Kinder angstfrei heranwachsen und selber einmal verantwortungsvolles Verhalten erlernen.

Birgt das auch körperliche Risiken für die Kinder?

Die Gefahr, dass es sich verschlechtert, besteht immer. Diese Gefahr kann man verhindern, indem man dem Kind die Möglichkeit gibt, sich zu Hause auszukurieren. Die Eltern müssen die Erkrankungen ernst nehmen. Das hat auch etwas mit Respekt zu tun.

Dass Kinder öfter krank werden, ist ja ganz normal, oder?

Ja, denn sie müssen erstmal ihr Immunsystem aufbauen. Acht bis zehn Infekte im Jahr sind normal.

Reichen zehn Freistellungstage für Arbeitnehmer, um sich um kranke Kinder zu Hause zu kümmern, oder müsste auch da über eine Anpassung von Seiten der Arbeitgeber nachgedacht werden?

Man sollte den Elternteilen generell die Möglichkeit geben, zu Hause zu bleiben. Natürlich hat man immer Angst vor Missbrauch, aber im Allgemeinen sind die Eltern darauf bedacht, beide Aufgabenbereiche gewissenhaft zu erfüllen. So müssen sie sich ja immer eine Bescheinigung von uns ausstellen lassen. Dieser Zeitaufwand ist auch eine Doppelbelastung.

Was können Eltern denn machen, um das Immunsystem der Kinder zu stärken?

Eine gesunde Mischkost, echte Fruchtsäfte, am besten selbstgemacht, oder zumindest mit einem Auge auf den Zuckergehalt. Auch zeitgemäße und kindgerechte Kleidung, die bei einem Umgebungswechsel angepasst wird, ist wichtig. Und Hygiene ist ein wichtiger Punkt; regelmäßiges Hände waschen reduziert die Übertragungsquote.

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