Bewegt Euch!Ein Plädoyer für mehr Bewegung in unserem Alltag

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Rolltreppe

Roolltreppen machen unser Leben bequemer. Was nicht zwingend gut für uns ist.

Menschen sind grundsätzlich faul, bewegen sich nur, wenn es ihnen Spaß macht und genießen jede Annehmlichkeit, die das Leben erleichtert. Dass es immer mehr technische Neuerungen gibt, die uns immer mehr Bewegungen abnehmen, scheint unaufhaltsam. Zusammengenommen sind diese zwei Beobachtungen Teil einer Entwicklung, die verstörend ist.

Ja, es ist ein Segen, dass unser tägliches Leben immer einfacher wird. Keine Mühsal stört das Körperkoma. Über das Smartphone die Heizung von der Couch aus steuern, Sprachnachrichten aufnehmen statt zu tippen oder gar handschriftlich zu kommunizieren, per Knopfdruck Dinge im Internet bestellen, für die man früher noch rausgehen musste. Oder das Auto – eine fahrende Bewegungsverhinderung. Wo einst noch an Kurbeln gedreht, an Hebeln gezogen oder an Lenkrädern ohne Servolenkung gerissen wurde, kommt man heute mit Minimalmoves aus. Klar, das ist irgendwie auch angenehm. Bleibt die Frage: Wann ist das Ende erreicht? Und: Wollen wir das überhaupt?

Wenn Menschen zur Bequemlichkeit neigen, müssen sie sich dann nicht dazu zwingen, Bewegungshemmer zu meiden? Warum fällt es uns so schwer, Bewegung als etwas Positives wahrzunehmen. Ich sag’s mal brutal: Wer jede Anstrengung meidet, ist doch schon halb tot. Wir sind dafür gemacht, uns zu bewegen. Und der Körper meldet sich, wenn dieses Grundbedürfnis nicht befriedigt wird – mit Krankheiten und schlechter Laune.

Fragwürdige Innovation

Es gibt es ein Gerät, das unsere Faulheit ziemlich gut zeigt. Vornehmlich ist es an Flughäfen zu finden. Es ist keine technische Meisterleistung oder bahnbrechende Innovation, irgendwie fragwürdig aber allemal. Die Rede ist von den horizontalen Laufbändern, auf die sich Menschen stellen, damit sie nicht mehr laufen müssen. Es mag Gründe für diese Teile geben, gedacht sind sie ja, um den Geh-Weg zu beschleunigen. Und von Gate zu Gate zu kommen gleicht an manchem Flughafen tatsächlich einem Mittelstreckenlauf. Experten würden einwenden: so what? Mindestens 10 000 Schritte täglich empfehlen Wissenschaftler jedem, der nicht regelmäßig Sport macht.

Gefühlt gibt es immer mehr Sportarten

Wie soll es eigentlich zu toppen sein, dass die ursprünglichste aller menschlichen Bewegungen von einer Maschine übernommen wird? Was kommt nach der Technologisierung der simpelsten Fortbewegung? Was wird aus dem Stehen? Kann das überhaupt auf irgendeine Art und Weise technisch ersetzt werden? Lustig ist die Vorstellung ja schon, dass in Zukunft Menschen, die aus welchem Grund auch immer irgendwo rumstehen, ihre mobilen Stehhilfen rausholen, wenn alle umliegenden Sitzplätze besetzt sind. Dann kann auch diese körperliche Anstrengung eingespart werden. Das verrückte ist ja, dass auf diesen Bändern, ich muss noch einmal darauf zurück kommen, auch Menschen stehen bleiben, die regelmäßig Sport treiben. Jogger, die funktionskleidungsbewehrt und bereit, an ihre Grenzen zu gehen durch Parks rennen.

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Gefühlt gibt es immer mehr Sportarten, die noch ausgefallener, exzessiver und krasser sind. Es gibt aber auch eine stabile sportliche Mitte. Nach Statistiken des Landessportbundes NRW ist die Mitgliederzahl in Sportvereinen relativ konstant, lediglich die Zahl der Vereine wird kleiner. Bei den Fitnessstudios kann man getrost von einem nicht nachlassenden Boom sprechen: Ende 2017 waren 10,6 Millionen Menschen in deutschen Fitnessstudios registriert, die Branche generiert einen Umsatz von 5,2 Milliarden Euro. Das sind Zahlen des Arbeitgeberverbandes der deutschen Fitness- und Gesundheits-Anlagen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Hälfte der Deutschen gar keinen oder nur sehr selten Sport treibt. Dazu kommt das viele Sitzen. Rund acht Stunden sitzen die Deutschen am Tag, haben Wissenschaftler der Sporthochschule Köln herausgefunden. Sind wir alle zu faul?

Zeit für eine Offenbarung

Zeit für eine Offenbarung des Autors. Seit ich im Kindergarten bin, mache ich jede Woche Sport. Erst Fußball, dann Leichtathletik, ganz kurz Handball, kurz Badminton, mittellang Basketball und den größten Teil meines Lebens Volleyball – bis heute. Es gab eine Zeit, da habe ich von Montag bis Freitag siebenmal trainiert, plus Spiele am Wochenende.

Übertragen hat sich Ehrgeiz und Bewegungslust nie auf andere, alltägliche Tätigkeiten. Meine Mutter sagte immer: „Du wirst schon zappelig, wenn du einen Tag kein Training hast. Aber zu faul zum Müll rausbringen!“ Recht hatte sie. Nun ist es sicherlich unfair von der eigenen Faulheit auf andere zu schließen, aber eine verbriefte Korrelation zwischen körperlicher Betätigung im Alltag und regelmäßigem Sport gibt es offensichtlich nicht. Da frage ich mich: Wenn selbst Sportler faul sind, wie soll man von Sportmuffeln Bewegung im Alltag erwarten?

Es gibt vielfältige Gründe, den Alltag bewegter zu gestalten, zum Beispiel ein gesunder Lebensstil. Und es gibt vielfältige Lösungsmöglichkeiten von Experten, zum Beispiel den Weg zur Arbeit aktiv anzugehen. Oder das Auto extra weiter weg zu parken. „Das muss ich ohnehin, da muss ich mir nichts vornehmen“, werfen geplagte Großstadtautofahrer ein. Ein Anreiz könnte auch die Schrittzähler-App auf dem Smartphone sein, die jeden Tag die Bewegung dokumentiert. Nochmal zur Erinnerung: 10000 Schritte sollten es sein, wenn man nicht regelmäßig Sport treibt. Und nein, es gilt nicht als Argument, dass Sie das Handy nicht ständig bei sich haben und somit auch nicht jeder Schritt gezählt werden kann.

Die Bewegungslosigkeit ist nicht der einzige Punkt. Zu viele Menschen lassen sich dabei digital berieseln, kritisieren Experten. Überraschenderweise geht das auf Kosten der Regeneration. Auffällig ist die Zahl der Deutschen, die es so gut wie nie schafft, frisch in den Tag zu starten: elf Prozent. Ingo Froböse von der Sporthochschule Köln sagt: „Ich glaube, dass wir in unserer Gesellschaft aktuell kein Belastungsproblem haben, sondern ein Regenerationsproblem.“ Viel zu selten nutzten die Deutschen körperliche Aktivität als Ausgleich zu Belastung und Stress. „Sie lassen sich viel zu sehr ablenken. Aber das bedeutet keine Regeneration.“

Bewegungslosigkeit ist nicht gleich Ruhe. Wer sich sein Essen erstmals per Fahrradkurier bis in den fünften Stock bringen lässt, obwohl er es problemlos selbst holen könnte, oder tatsächlich selbst zubereitet mit allen Zumutungen, die das mit sich bringt, hat doch eigentlich schon verloren.

Zum Glück gibt es eine Wirkung von sportlicher Betätigung oder zumindest aktiver Bewegung, die selbst hartnäckigste Faulenzer eingestehen werden. Wer nach einem aktiven Tag zufrieden ins Bett fällt, der wird es kennen; das wohlige Gefühl eines ausgelasteten Körpers. Dafür muss man keinen Marathon laufen. Oder will jemand ernsthaft bestreiten, dass sich diese Glücksgefühle auch einstellen, wenn man sich nur vom Schreibtischstuhl auf die Couch und von dort wieder ins Bett zurückschleppt?

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