Das kleine GelbeReclams Universal-Bibliothek wird 150 Jahre

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Jeder hat’s, jeder kennt’s: Besonders als Schullektüre ist den meisten Deutschen wohl das eine oder andere Reclam-Heft in die Finger gekommen.

Jeder hat’s, jeder kennt’s: Besonders als Schullektüre ist den meisten Deutschen wohl das eine oder andere Reclam-Heft in die Finger gekommen.

Es wurde geliebt oder unwillig in die Hand genommen – jedenfalls ist das kleine Gelbe bekannt wie ein bunter Hund. Vor 150 Jahren, am 10. November 1867, kam mit Goethes „Faust“ der erste Band aus Reclams Universal-Bibliothek (UB) auf den Markt. Sie ist nach Verlagsangaben damit die älteste Reihe auf dem deutschen Buchmarkt.

Jubiläumsausstellung

150 Jahre nach Erscheinen des ersten Heftes der ReclamUniversal-Bibliothek blickt eine Ausstellung in Leipzig auf die Geschichte der bekannten Taschenbuchreihe zurück. Dazu zeigt das Deutsche Buch- und Schriftmuseum ausgewählte Exponate aus Leipziger Produktion, wie die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt am Main mitteilte. Die Ausstellung trägt den Titel „Universal. Reclams Jahrhundertidee – Leipzig 1867 bis 1990“ und ist noch bis zum 3. Juni zu sehen. Den Angaben nach handelt es sich bei den Reclam-Heften um die älteste noch erscheinende Taschenbuchreihe Deutschlands.

Ihren Erfolg verdankt sie laut Museum der enormen Nachfrage nach Lesestoff im 19. Jahrhundert, Innovationen in der Drucktechnik sowie einer Änderung des Urheberrechts. So konnte der Reclam-Verlag am 10. November 1867 erstmals preisgünstig Literatur auf den Markt bringen, ohne eine Autorenvergütung zahlen zu müssen.

Die Deutsche Nationalbibliothek hat seit 1990 ihren Sitz in Frankfurt und Leipzig. Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum war 1884 als Deutsches Buchgewerbemuseum in Leipzig gegründet worden und gilt heute als das weltweit älteste Museum zur Buchkultur.

Gelb war das Büchlein damals zwar noch nicht, aber schon eine Sensation: Ausgaben von Klassikern, „die bei correctem Druck und guter Ausstattung durch ihre Billigkeit Alles übertreffen, was jemals eine Nation auf dem Büchermarkte ausgeboten hat“, notierten die „Leipziger Nachrichten“ am 11. November 1867.

Heutzutage gibt es kaum einen Schüler, der die gelben Bücher nicht kennt. Wenn Goethes „Faust“ oder Lessings „Nathan der Weise“ im Unterricht anstehen, empfehlen Lehrer oft den Kauf von Reclam-Heften. So billig wie zum Start der Reihe - „Faust“ in zwei Teilen zu je zwei sogenannten Neugroschen - sind sie nicht mehr, aber immer noch gut erschwinglich.

Manch einer sparte früher jeden Groschen, um sich endlich ein neues Heft leisten zu können. Eine Chronik des Reclam-Verlags zitiert aus Arthur Schnitzlers Autobiografie „Jugend in Wien“, wonach ihn eine neue Erzieherin um 1870 herum dazu inspirierte, den größten Teil seines Taschengeldes für die kleinen „Büchelchen“ auszugeben. Später war Schnitzler selbst zwischen den 9,6 mal 14,8 Zentimeter großen Einbänden vertreten.

Die Universal-Bibliothek wurde am Verlagssitz in Leipzig eingeführt, kurz nachdem eine von der deutschen Bundesversammlung beschlossene Regelung in Kraft trat, nach der allen deutschen Autoren eine Schutzfrist für die Veröffentlichung ihrer Werke von 30 Jahren nach ihrem Tod eingeräumt wird - heute sind es 70 Jahre. Mit der Regelung von 1867 wurden die bedeutendsten deutschen Klassiker, also auch Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller, „gemeinfrei“ und damit für die neue Reclam-UB druckbar.

„Ihre beiden Gründer, Anton Philipp Reclam und sein Sohn Hans Heinrich, hatten die Reihe klug als eine Bildungsbibliothek konzipiert, die mit ihrem Niedrigpreis auch für breitere Schichten erschwinglich war“, erklärt der Verlag. Das Programm bot demnach „die Klassiker der deutschen und europäischen Literatur, antike Texte und moderne Skandinavier, Philosophie und Opernlibretti; auch Populäres wurde nicht verschmäht“. Der Erfolg sei darüber hinaus auf moderne Produktionstechniken sowie professionelles Marketing zurückzuführen.

Der 50. Geburtstag der Universal-Bibliothek fiel 1917 in den Ersten Weltkrieg. Für Soldaten an der Front hatte der Verlag zuvor eine „Tragbare Feldbücherei“ mit 100 UB-Nummern entwickelt, auf Anregung eines Soldaten, wie es heißt.

Der 75. Geburtstag fand dann 1942 im Zweiten Weltkrieg statt. Unter der NS-Herrschaft lief die Arbeit „unter den Zwängen und Auflagen der nationalsozialistischen Kulturpolitik“, so der Verlag. Jüdische und „politisch unerwünschte“ Autoren hätten aus der Universal-Bilbiothek entfernt werden müssen. Zugleich habe Reclam bis September 1939 die „Deutsche Rundschau“ verlegt - sie habe „zum wagemutigsten Engagement des Verlags gegen den Nationalsozialismus“ gehört.

Während der deutschen Teilung gab es den Reclam-Verlag in Ost und West: teilenteignet in Leipzig sowie von 1947 an in Stuttgart. Später bezog man im nahen Ditzingen ein neues Verlags- und Druckereigebäude. 1992, drei Jahre nach der Wende, wurde der Leipziger Verlag reprivatisiert, aus der „Ost-UB“ die Reclam-Bibliothek Leipzig. Heute sind laut Verlag von der in ihrer Art wohl einzigartigen UB etwa 3.500 Titel lieferbar, der Gesamtabsatz liegt bei 0,6 Milliarden Exemplaren. Die „Top Ten“ seit 1948 führt demnach Schillers „Wilhelm Tell“ mit rund 5,4 Millionen Stück an.

Wem im Deutschunterricht langweilig wurde, bekritzelte gerne das Reclam-Heft. Diese Kunst ist längst museumsreif: 1999 zeigte ein Kölner Museum die Ausstellung „Kaba und Liebe“ mit verzierten Bänden. Da wurde zum Beispiel aus Gottfried Kellers „Kleider machen Leute“ das Cover „Gottfried ist ein Keiler, aus Kleidern machet Beutel“. (kna)

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