Der Körper tut, was du denkstDas bringt die „Mind-Body-Medizin“

Lesezeit 5 Minuten
Schröpfköpfe sollen zur Linderung von Schmerzen beitragen.

Schröpfköpfe sollen zur Linderung von Schmerzen beitragen.

Köln – „Wir erlauben es Körper und Geist, Gesundheit zu entwickeln und damit die Krankheit zu bewältigen.“ Sagt Dr. Anna Paul, deren Fachgebiet an der Klinik für Naturheilkunde am Knappschaftskrankenhaus in Essen-Mitte die Mind-Body-Medizin ist. Ordnungstherapie ist die etwas sperrige deutsche Definition und hat weder etwas mit Wellness noch mit ordentlich gestapelten Hemden im Schrank zu tun. Zusammen mit Prof. Dr. Gustav Dobos, Pionier naturheilkundlicher Verfahren, gehört sie zu den Wegbereitern dieser ganz besonderen Klinik im Ruhrpott. Das Fachgebiet von Anna Paul lässt sich gut umschreiben mit dem, was eine Patientin äußerte: „Man muss nicht alles mögen, man muss es einfach tun. 30 Minuten am Tag, das ist wie eine Verabredung mit mir selbst.“ Diese Verabredungen mit sich selbst hat auch die bekannte TV-Moderatorin Bettina Böttinger gelernt. Sie hatte sich Hilfe bei Gustav Dobos, Anna Paul und den anderen Fachärzten in der Klinik geholt, „weil ich dachte, dass ich irgendwann implodiere“. Das Ärzteteam der Klinik steht auf dem Standpunkt, dass „jeder auch gesunde Anteile hat“, egal wie krank er ist. Die gesund machenden Ressourcen sind zum einen genetisch bedingt, zum anderen durch den eigenen und den Lebensstil im Elternhaus geprägt.

Therapien werden bestmöglich kombiniert

Anna Paul, die in München und Harvard studierte: „Es gibt große Studien, die unter anderem darauf hinweisen, dass Risikostrukturen für Herzerkrankungen, Bluthochdruck und Infarktgefahr zu zehn Prozent genetisch, hauptsächlich aber durch den Lebensstil bedingt sind. Die genetische Disposition ist bei jedem Menschen anders. Aber der Lebensstil der Eltern, wie sie mit ihren Ressourcen umgegangen sind, und der eigene Lebensstil, der sich davon ableitet, beides prägt nachhaltig.“

In der Mind-Body-Medizin werden Therapien so kombiniert, dass sie wie ein Mosaik zusammen passen und ihre Wirkung entfalten können. Anna Paul betont, dass sie ihren Patienten ausschließlich das vermittelt, was sich hinreichend bewährt und vor allem eine solide Studienlage hat. Bedingt durch einen Unfall kämpft auch Anna Paul selbst immer wieder mit Schmerzen im Nacken, den Schultern und dem Halswirbelbereich.

Die Muskeln verkrampfen, drücken auf die Nerven, und sie muss Schmerzmittel nehmen. „Ich könnte dann nur zu Schmerzmitteln greifen oder zusätzlich meine Ressourcen aktivieren.“ Dazu gehören Übungen, die den Schmerz eingrenzen, ihn minimieren und verhindern, dass er chronisch wird. Das schafft man nicht im Hauruck-Verfahren, denn Mind-Body-Medizin ist keine Akut-Medizin. Anna Paul: „Wer auf den Mount Everest will, der muss vorher trainieren. So ist das auch bei Mind-Body-Medizin.“ Und bedeutet: Der Patient bestimmt maßgeblich mit, nur dann haben Therapien nachhaltigen Effekt.

Die, die in die Klinik nach Essen zu Anna Paul kommen, wandeln sich zu 50 Prozent vom Saulus zum Paulus. Die Mehrzahl der Bekehrten sind Frauen. Männer, die oftmals auf dem Standpunkt stehen „was von alleine kommt, geht auch wieder von allein“, entschließen sich erst dann zu einer Therapie, wenn sie im Vorfeld bereits teilüberzeugt sind. Haben sie sich einmal entschlossen, gehören sie hinterher allerdings zu den bedingungslosen Verfechtern dieser Therapie. Aber es gibt auch jene, die rauschen rein, gucken sich um und stellen konsterniert fest: „Was, hier gibt es noch nicht mal einen Fernseher?“ Und weg sind sie.

Der Unterschied

Mind-Body-Medizin umfasst medizinische Methoden und Therapien, um die Ressourcen des Körpers zu erkennen und dauerhaft zu aktivieren. Ziel ist ein gesundheitsförderlicher Lebensstil.

Body-und-Mind-Verfahren dagegen sind ausschließlich im Wellness- und Verwöhn-Bereich zu finden, die von Hotels oder entsprechenden Einrichtungen angeboten wird. Ziel ist kurzfristiges Wohlgefühl. (mas)

Paul: „Wer kommt, der hat schon angefangen.“ Zu den Realitäten bei Beginn einer Behandlung gehört, „dass es dem Patienten in der ersten Woche nicht unbedingt besser geht“.

Anna Paul: „Naturheilkundliche Therapien brauchen eine bestimmte Zeit, bevor sie wirken.“ In der Diagnostik werden die Methoden der Schul- und Hochleistungsmedizin eingesetzt, um sicher zu gehen, woran der Patient erkrankt ist und mögliche andere Ursachen auszuschließen. Alles zusammen ermöglicht den Blick auf den Menschen als Ganzes, und nicht nur auf seinen Krankheitsherd. Gustav Dobos dazu in seinem empfehlenswerten Büchlein „Vom Schmerz - Antworten eines Professors für Naturheilkunde“: „Je länger ich als Arzt arbeite, desto mehr wird mir bewusst, wie sehr die Erkrankungen und Symptome meiner Patienten nicht nur ihre äußeren Lebensumstände widerspiegeln ..., sondern auch ihr Innenleben, ihre persönlichen Biografien.... Hinter vielen dieser Symptome steckt ein tieferes Leid – etwas, das ich nur ungern als psychisch bezeichnen möchte, weil es eben nicht nur im Kopf steckt, sondern – wie der Schmerz auch – eng mit dem gesamten Körper verwoben ist.“ Anna Paul und Gustav Dobos wissen, dass „wir in Deutschland ein Gesundheitssystem haben, das das vieler andere Länder übertrifft – zumindest, was die Ausgaben und die Versorgungsdichte angeht“. Doch die Experten für Naturheilkunde machen eine wesentliche und wichtige Einschränkung. Dobos: „Unser Gesundheitssystem ist eigentlich ein Krankheitssystem. Es leugnet sowohl die Bedingungen, die Menschen krank gemacht haben, als auch ihre Fähigkeiten, zu ihrer Gesundung beizutragen.“

Die Team-Arbeit mit Patienten, die zu den Leitlinien der Essener Klinik gehört, beinhaltet also nicht nur den Blick auf Viren und Bakterien, sondern auch auf Dinge, die unter anderem mit dem mittlerweile abgedroschenen Begriff Stress umschrieben werden. Um dem entgegenzuwirken, so Anna Paul, versuchen wir „Automatismen als Schutzmechanismen aufzubauen, um die komplexen Situationen zu beherrschen“.

Wir funktionieren im Alltag wie routinierte Autofahrer: losfahren, ankommen, aussteigen. Hauptsache erledigt, Hauptsache ohne Reibungsverluste.

Die Mind-Body-Therapeutin sieht in solchen fatalen Lebensrhythmen, dass „unsere Genetik mit der globalen Vernetzung und der Flut an Informationen nicht klar kommt. Dass die riesige Fläche der Entscheidungen, vor die wir tagtäglich gestellt werden, uns schlichtweg überfordert“.

Wer dem nicht entgegenwirkt und lernt, seine Gesundheit zu stärken, um Krankheiten so weit möglich in ihre Schranken zu weisen, sollte die Worte von Gustav Dobos verinnerlichen: „Über lange Jahre hat unser Organismus genügend Potenzial, einseitige Belastungen auszugleichen. Doch irgendwann reichen seine Kapazität und Flexibilität einfach nicht mehr aus.“

Rundschau abonnieren