Der neue „Tomb Raider“Lara Croft zeigt den Männern, wo es langgeht

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Lara Croft

Realistisch in der Darstellung, vertrackt in der Aufgabenstellung: So muss auch Miss Croft nach zwei Jahrzehnten immer noch kämpfen.

Es ist der „Día de los Muertos“, der Tag der Toten, an dem Mexikaner ihrer Verstorbenen gedenken. Der ganze Ort ist festlich geschmückt, mit der für diesen Feiertag typischen Mischung aus Fröhlichkeit und Morbidität, mit Kerzen, grinsenden Totenköpfen und bunten Fähnchen.

Die resolute junge Archäologin Lara Croft ist auf der Suche nach einem Maya-Artefakt und schleicht deshalb einem Angehörigen der Geheimorganisation Trinity hinterher, mit der sie bereits in den vorigen Teilen Bekanntschaft gemacht hat. Was sie, und mit ihr der Spieler, noch nicht wissen: Die Fährte wird sie im wahrsten Sinne des Wortes mehr als einmal an den Rand des Abgrunds führen. Dabei löst sie unfreiwillig Ereignisse aus, die unabsehbare Folgen für die ganze Erde haben werden.

Dritter Teil der Trilogie

„Shadow of the Tomb Raider“ ist der dritte und abschließende Teil der 2013 gestarteten Trilogie, für die die Serie einer kompletten Neukonzeption, neudeutsch Reboot, unterzogen wurde.

Das verantwortliche Studio Eidos-Montréal führte die ersten Szenen kürzlich bei einem exklusiven Vorschau-Event in London vor – standesgemäß und sehr stimmungsvoll in einer alten Kirche.

Das Spiel knüpft nahtlos da an, wo der vorige Teil aufhörte: Lara ist so agil wie nie, hangelt an schwindelerregenden Steilwänden entlang, schaltet Feinde aus dem Hinterhalt aus und erkundet antike Ruinen und gigantische Höhlensysteme. Wenn am Ende der anspielbaren Passagen eine ganze Stadt in reißenden Fluten versinkt, fahren die Entwickler noch mal ihr ganzes Können auf. Und über allem thront eine Heldin, die längst zu einer Ikone der Popkultur aufgestiegen ist.

„Sex sells“ ist kein Selbstläufer mehr

Lara Croft war von Anfang an ein Sex-Symbol. Ihre Hot Pants und ihre meist nur spärlich bedeckte Oberweite dienten unbestreitbar als Kaufargumente, hinderten gleichwohl viele weibliche Spieler nicht daran, die erste echte Powerfrau der Spielgeschichte als Identifikationsfigur zu akzeptieren. Die Körperlichkeit, die Lara heute ausstrahlt, ist allerdings eine völlig andere und trägt dem Umstand Rechnung, dass das plumpe „Sex sells“ längst kein Selbstläufer mehr ist. Im Spiel wie im aktuellen Kinofilm, in dem Angelina Jolie durch Alicia Vikander ersetzt wurde, wirkt die Hauptfigur nicht mehr wie eine schießfreudige Playmate, sondern eher wie das Mädchen von nebenan. Dazu passt, dass der Film sie zunächst als mittellose Fahrradkurierin vorstellt. In „Shadow of the Tomb Raider“ hat sich die Projektionsfläche für pubertäre Fantasien in einen athletisch-kompakten Körper verwandelt, der den Spieler die Strapazen, die er durchstehen muss, fast am eigenen Leibe spürbar werden lässt. Die Gepeinigte revanchiert sich, indem sie mit ihren Gegnern ihrerseits alles andere als zimperlich umgeht. Unter anderem deshalb sind die ersten beiden Teile wie voraussichtlich auch der neue hierzulande erst ab 18 Jahren freigegeben.

Man kann diese Entwicklung begrüßen oder nicht – Tatsache ist, dass erst die aktuelle Technik einen derartigen Realismus ermöglicht. Wer seine alte Playstation aus dem Keller holt und das Original aus dem Jahr 1996 erneut spielt, wundert sich, dass die kantigen Polygonhaufen damals tatsächlich für heruntergeklappte Kinnladen sorgten.

Verzweifelte man in frühen Jahren an vertrackten Rätseln, wird man heute mit einem schlechten Gewissen bestraft, weil man die Heldin durch eigene Unachtsamkeit in eine Falle hat laufen lassen. Besonders die erste, schlicht „Tomb Raider“ betitelte Folge des Reboots, die als Grundlage des gleichnamigen Kinofilms dient, schoss hier teilweise weit über das Ziel hinaus. Der zweite Teil, „Rise of the Tomb Raider“, setzte wieder mehr auf Rollenspielelemente und die Erkundung der Umgebung.

Ein Kind des #MeToo-Zeitalters

Der Dschungel, so erklären die Entwickler, sei zu einem heimlichen Hauptdarsteller geworden. Man kann darin durchaus eine Reflexion des Zeitgeists sehen. Lara wird nicht nur von dunklen Mächten verfolgt, die in jeder Verschwörungstheorie eine gute Figur machen würden, sondern muss sich zudem gegen eine zunehmend zurückschlagende Umwelt behaupten. „Shadow of the Tomb Raider“ vollendet die Entwicklung von der schüchternen Studentin zur gestandenen Wissenschaftlerin, die zwar nicht immer weiß, was sie tut, sich von testosterongesteuerten Männern aber schon gleich gar nichts bieten lässt. Der rote Faden der drei Teile ist die Geschichte einer Selbstfindung – und die neue Lara ein Kind des #MeToo-Zeitalters.

Zugleich geht es in mehrfacher Hinsicht zurück zu den Ursprüngen. Zum einen war Südamerika bereits der Schauplatz des allerersten „Tomb Raider“. Zum anderen kehren mit dem Dschungel und den darin verborgenen Geheimnissen auch die Rätsel als zentrales Element der Spielmechanik zurück. „Riesig“ seien die Touren durch Gräber und halb verschüttete Gewölbe, versprechen die Entwickler. Und immer muss man auf der Hut sein, um keine tödlichen Mechanismen auszulösen. Der oft als Vergleich herangezogenen Indiana Jones war schon lange nicht mehr so präsent.

Darüber hinaus muss Lara lernen, die Wildnis zu ihrem Vorteil zu nutzen. Hinter Lianen verborgen pirscht sie sich an ihre Gegner heran oder schaltet sie lautlos mit Pfeil und Bogen aus.

Neu sind auch die ausgedehnten Unterwasserpassagen, in denen Lara sich ihren Weg durch von Muränen und anderen Gefahren bevölkerte Labyrinthe bahnt.

Für Klaustrophobiker ist das nichts. Wohl aber für alle, die Miss Croft nach mehr als zwei Jahrzehnten immer noch die Treue halten.

Fans haben allen Grund, sich auf den 14. September zu freuen, wenn „Shadow of the Tomb Raider“ für PC, PS4 und Xbox One erscheint. Denn die neue Lara ist, dem Titel zum Trotz, weit mehr als nur ein Schatten ihrer selbst. Unter dem Titel „Tomb Raider“ (dt. „Grabräuber“) erschien 1996 der erste Teil des Action-Adventures. Der Brite Toby Gard, der „Vater von Lara Croft“ arbeitete damals bei dem Studio Core Design, das die Abenteuer der resoluten Archäologin bis zum Jahr 2003 gestaltete.

Bis dahin erschienen zahlreiche Teile für fast alle gängigen Spielplattformen.

2001 kam der erste Spielfilm mit Angelina Jolie in die Kinos, womit die Figur endgültig in das popkulturelle Erbe überging. Das unausgegorene und fehlerhafte „The Angel of Darkness“ markierte einen Tiefpunkt der Serie, der schließlich dazu führte, dass Lizenzbesitzer Eidos die weiteren Geschicke der Marke in die Hände von Crystal Dynamics legte. Ein echter Neuanfang gelang allerdings erst 2013.

Unter dem wie im Erstling zusatzlosen Namen „Tomb Raider“, gefolgt von der Fortsetzung „Rise oft the Tomb Raider“ (2015), wird darin die Vorgeschichte von Lara Croft erzählt. Dieses Motiv greift auch der gerade angelaufene Kinofilm des norwegischen Regisseurs Roar Uthaug auf, der erstmals 2006 mit dem Horrorfilm „Cold Prey – Eiskalter Tod“ auf sich aufmerksam machte. Wie es nach „Rise of the Tomb Raider“ mit der Reihe weitergeht, ist derzeit noch offen.

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