Der WelterklärerWDR-Intendant Fritz Pleitgen wird 80 Jahre alt

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Der vielbeschäftigter Pensionär: Fritz Pleitgen in seinem Arbeitszimmer.

Der vielbeschäftigter Pensionär: Fritz Pleitgen in seinem Arbeitszimmer.

Der Jubilar in spe empfängt im privaten Arbeitszimmer. Ein Pedant ist hier nicht am Werk. Kreative Unordnung. Schreibtisch, Heimtrainer, Bücherregale. Das Wohnzimmer betrachtet, leider, leider, der Hund als sein Privatrevier. Eine stille Helferin huscht zur Tür hinaus. Das Redediktat, die Terminabsprachen müssen warten. An diesem Mittwoch wird Fritz Ferdinand Pleitgen, der Herr des Büros, 80 Jahre alt, zuvor muss noch einiges weggearbeitet werden. Redemanuskripte. Verabredungen. Festvorbereitungen. Ruhestand? Zu viel zu tun.

Zum Geburtstag eine Reise in den Oman

Am Tag selbst will der ehemalige WDR-Intendant im Oman sein, um der absehbaren Welle der Glückwünsche und Ehrungen zu entgehen. „Der teuerste Urlaub, den ich je gemacht habe“, sagt Pleitgen. Ex-Kollegen Ulrich Deppendorf hat ihm das Ziel empfohlen. Die Festwochen danach müssen aber vorbereitet werden. Sein ehemaliger Sender, der WDR, will ihn feiern, genau wie auch die Krebshilfe. Seit 2011 ist Pleitgen Präsident der Organisation. „Unter meinen Ehrenämtern ist das bei der Krebshilfe die Nummer eins“, sagt er.

Zur Person

Fritz Ferdinand Pleitgen wurde am 21. März 1938 in Duisburg geboren. Von 1995 bis 2007 war er Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Schon im Alter von 14 Jahren arbeitete Pleitgen als freier Mitarbeiter für Sport- und Gerichtsberichterstattung bei der Lokalzeitung. 1964 begann er als Auslandskorrespondent über die EWG- und Nato-Sitzungen aus Brüssel und Paris zu berichten. Das Amt des WDR-Intendanten verließ er drei Monate vor Ablauf der Amtsperiode aufgrund interner politischer Überwerfungen. Nach seiner Pensionierung wurde er im April 2007 Vorsitzender der Geschäftsführung der Ruhr.2010 GmbH. Pleitgen ist seit 1969 verheiratet und hat vier Kinder.

Er ist Autor zahlreicher Bücher und wurde mit vielen Preisen ausgezeichntet. (eva)

Warum engagiert sich einer der prominentesten deutschen Journalisten, der sich in seinem Berufsleben vor allem der Politik gewidmet hat, so intensiv im Kampf gegen den Krebs? Als Reporter besuchte Pleitgen kurz nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes die russische Stadt Perm. Der Filmbericht über die Zustände im dortigen Kinderkrebskrankenhaus löste eine Welle der Hilfsbereitschaft in Deutschland aus. Die Hilfsaktion „Die Kinder von Perm“ finanzierte schließlich den Neubau eine Kinderkrebsklinik. „Das war der erste Kontakt mit dem Thema“, berichtet Pleitgen. „Wenn es um Hilfe für Menschen in Not geht, ist die deutsche Bevölkerung Weltspitze“: Das ist eine weitere Erfahrung, die er aus seinem Einsatz gegen den Krebs gewonnen hat. Vielleicht hat aber auch die Begegnung mit Mildred Scheel, der Gründerin der Krebshilfe, mit dem Engagement zu tun: „Eine Jahrhundertfrau mit einer Jahrhundertidee“, sagt Pleitgen über die 1985 in Köln verstorbene Ärztin und Präsidentengattin.

Den deutschen Fernsehzuschauern war der gebürtige Duisburger über Jahrzehnte einer der öffentlich-rechtlichen Journalisten, die ihnen die Weltpolitik erklärten. Zwischen 1964 und 1970 aus Brüssel oder als Reporter beim Sechstagekrieg der Israelis oder dem Zypernkrieg der Türken. Später (1970 bis 1977) als ARD-Korrespondent in Moskau, mitten im Kalten Krieg.

„Nach Moskau wollte damals keine Sau. Aber es war für mich eine weichenstellende Entscheidung“, sagt Pleitgen heute. In Russland gelang ihm eine journalistische Großtat, die bis heute in Erinnerung ist: Ein Interview mit dem damaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew, das erste eines westlichen Journalisten.

Pleitgens Interesse an Russland ist bis heute lebendig, ein Lebensthema. Ein Porträt des 1981 nach Köln emigrierten russischen Bürgerrechtlers Lew Kopelew steht auf seinem Bücherbord. „Ich habe ein großes Interesse daran, dass das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen in Ordnung kommt“, sagt er. Für den russischen Präsidenten hat er dabei wenig Sympathie: „Ein engstirniger, sowjetisch geprägter Politiker, eigentlich ein beschränkter Simpel.“

Russland – ein stetes Thema

Allerdings habe der Westen im Umgang mit Wladimir Putin schwere Fehler gemacht, zum Beispiel die Sanktionen wegen des Ukraine-Kriegs. „Wenn man gegen Putin vorgeht, weiß man: Er schlägt mit doppelter Härte zurück“, so Pleitgen. „Helmut Kohl wären diese Fehler nicht passiert.“

Auch wenn der ehemalige WDR-Intendant heute sagt, dass seine Karriere ihn „wie mit einem Navigationsgerät“ an die Spitze der größten ARD-Sendeanstalt geführt habe: Dem 1938 geborenen Kriegskind war dieser Weg nicht in die Wiege gelegt. „Meine ersten Wahrnehmungen auf diesem Erdball waren Sirenengeheul und Flammen“, erinnert sich Pleitgen. Die Familie wird ausgebombt, muss nach Schlesien fliehen, von dort vor der Roten Armee nach Ostwestfalen. Nach Kriegsende kommen „ziemlich heftige Hungerjahre“. Dann die ersten Kontakte mit dem Journalismus: „Je mehr ich dort etwas Geld verdiente, desto stärker ging es mit den Noten bergab.“ Die Schule verlässt der Nachwuchsreporter ohne Abitur, ein Studium schenkt er sich. Als er sich als Reporter der „Freien Presse“ in Bünde bei Bielefeld bereits einen Namen gemacht hat, ruft die „Tagesschau“ an. Start einer steilen Karriere, die Pleitgen später nach Ost-Berlin, Washington und New York führt, bevor er beim Kölner Heimatsender Chefredakteur, Hörfunkdirektor und 1995 schließlich als Nachfolger Friedrich Nowottnys Intendant wird. Beinahe zwölf Jahre führt er den Kölner Sender bis 2006, 300 Sendungen des ARD-Presseclubs moderiert er, souverän und mit sonorer Stimme.

Nach dem Ende der Journalistenlaufbahn übernimmt Pleitgen Ehrenämter, etwa als Vorsitzender der Geschäftsführung der Ruhr 2010 GmbH, die das Kulturhauptstadtjahr 2010 in Essen und dem Ruhrgebiet plant. Eine Veranstaltung in diesem Rahmen ist die tragische Loveparade in Duisburg, bei der 21 Menschen sterben und fast 550 verletzt werden. „Ganz klar fühle ich mich auch mitverantwortlich, aber eher im moralischen Sinne“, sagt Pleitgen später über die Katastrophe – an der die von ihm geleitete Ruhr 2010 GmbH aber weder organisatorisch noch finanziell beteiligt war. Seine Ruhrgebietswurzeln sind nach wie vor sehr lebendig. Pleitgen ist Vorsitzender des Beirats der Initiative „Glückauf Zukunft“, die Ideen für die Region nach dem Ende des Steinkohlebergbaus entwickeln soll, zudem sitzt er im Kuratorium der Krupp-Stiftung. „Ich bin ein Ruhrie mit Kölner Migrationshintergrund“, sagt Pleitgen über sich.

Angesichts seiner zahlreichen Ehrenämter und Verpflichtungen wirkt es ein wenig kokett, wenn der ehemalige WDR-Intendant meint: „Ich muss mal ein bisschen Ruhe in mein Leben bringen.“ Das Buchprojekt mit dem Arbeitstitel „Krieg und Frieden“, an dem er in Kooperation mit dem russischen Autor Michail Schischkin arbeitet, passt jedenfalls schlecht zu diesem Vorsatz. Thema der Koproduktion: Das Verhältnis Russlands zum Westen.

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