Abo

Rheinland EntdeckerKrefeld - die unterschätze Architekturstadt am Niederrhein

Lesezeit 7 Minuten
Krefeld Stadthaus Jana Bauch

Architekturstadt Krefeld: Mies van der Rohe Stadthaus

Wie schön wäre es, wenn man mit Riesenhänden die interessantesten Gebäude einer Stadt nebeneinanderstellen könnte. Wie würden einem die Augen übergehen, wie würde sich Geschichte erschließen, wie würde man auf einen Blick verstehen.

Krefeld ist als Architekturstadt eine unterschätzte Schöne. Sie versammelt Geschichte in epochalen Einzelbauten ebenso wie in Seitenwegen. Die großen Architekturereignisse der Stadt siedeln in den 20er und 50er Jahren, sieht man von zauberhaften, großartigen, neogotischen Kirchbauten des 19. Jahrhunderts ab, für die stellvertretend St. Cyriakus in Krefeld-Hüls genannt sei. Ein Juwel.

Sprung in die Moderne

Wirklich epochal ist Krefeld dort, wo der Sprung in die Moderne sichtbar wird. Wie Geschichte funktioniert, kann man in Krefeld wunderbar studieren.

Der Sprung in die Moderne: Der Architekt Ludwig Mies van der Rohe (1886 - 1969) hat seinen Durchbruch in eine neue Formenwelt Anfang der 20er Jahre gewagt - 1921 mit dem Wettbewerbsentwurf eines Hochhauses. Glasflächen prägten einen Baukörper von nie gekannter puristischer Klarheit. Mies van der Rohe galt danach als Avantgarde-Architekt.

In Krefeld bekam er von den beiden Textil-Unternehmern Hermann Lange und Josef Esters eine große Chance. Die beiden Freunde waren architekturbegeistert und reich und vor allem verrückt genug, Mies van der Rohe für den Bau einer Doppel-Villa freie Hand zu lassen. Zwei auf einen Streich! Ein Glücksfall. Daraus wurden Haus Lange und Haus Esters, 1930 fertiggestellt, heute als Museen der Stadt Krefeld bekannt.

Industriearchitektur

Mies hat noch mehr Spuren in Krefeld hinterlassen, darunter sein einzig verwirklichtes Stück Industriearchitektur im heute so genannten "Mies van der Rohe Businesspark" an der Girmesgath. Gemeint ist das sogenannte HE-Gebäude der früheren Verseidag (Vereinigte Seidenwebereien AG) - wobei HE für Herrenfutterstoffe steht; dort waren Lager, Warendurchsicht und Verkauf der Stoffe untergebracht. Angegliedert sind die Sheddachhallen, in denen früher eine Färberei untergebracht war. Neun der 13 Hallen stammen von Mies; er hat sie seit Anfang der 30er Jahre errichtet. Heute sind sie für moderne Büroräume bestimmt - sie gehören sicher zu den schönsten Arbeitsplätzen Krefelds.

Krefeld: 2019 Bauhausstadt

All das gilt als so bedeutend, dass Krefeld im Bauhaus-Gedenkjahr 2019 Bauhausstadt wird. Walter Gropius hatte die legendäre Kunstschule 1919 in Weimar gegründet, dritter Direktor wurde Ludwig Mies van der Rohe. Auch seine Krefelder Villen empfahlen ihn für diesen Posten.

Parallel zu Mies entfaltete sich in Krefeld das, was man heute als Backstein-Expressionismus bezeichnet. Der Architekt Hans Poelzig (1869 - 1936) baute 1929 bis 1931 an der Kliedbruchstraße 67 ein Paradebeispiel für diesen Stil. Die Backsteinfassade wird bestimmt von weichen, fließenden Linien, die an organische Formen erinnern.

Eine andere Variante pflegte Arnold Esch (1885 - 1935): Er verband klare Geometrie mit verspieltem Fassadenschmuck. Eines der schönsten Beispiele: Anfang der 30er Jahre errichtete er an der Paul-Schütz-Straße eine symmetrisch aufgebaute Wohnanlage. Es ist ein Straßenzug aus einem Guss, mit Hochbeetanlage als Vorgartenersatz und auflockernder Fassadenornamentik. Ein wunderbar behagliches Wohnquartier.

Vergleicht man die Formenwelten, fällt das unerhört Neue bei Mies van der Rohe sofort in den Blick. Wo er auf nie gekannte kubische Kargheit setzte, bewahrte sich der Backsteinexpressionismus den Hang zum Zierrat und zum Zitat. Modern war er darin auch - wer stilbewusst zitiert, blickt auf Vergangenes und eignet es sich doch neu an.

Radikale und milde Moderne

So stehen radikale und abgemilderte Moderne nebeneinander. "Ich glaube, dass es neben der Avantgarde immer auch populäre Strömungen gibt, die Avantgarde-Elemente aufgreifen und abschwächen", sagt Christiane Lange, Kunsthistorikerin, Bauhaus-Kennerin und Nachfahrin jenes Hermann Lange, der Mies freie Hand gewährt hatte. Die Verseidag blieb architektonisch der Innovationstreiber in Krefeld. In den 50er Jahren engagierte der Textilkonzern den berühmten Architekten Egon Eiermann zum Bau einer neuen Zentrale.

Eiermann galt wie Mies als Klassiker der Moderne. Das Gebäude dient heute als "Stadthaus", als technisches Rathaus, und beschert den Krefelder Stadträten graue Haare: die Sanierung soll 80 Millionen Euro kosten. Wünschenswert wäre es: Der Komplex wirkt heute noch frisch und modern. Vor allem im Innern entfaltet er eine berückende Dramaturgie aus Licht und Transparenz; die Blicke werden gelenkt durch ein fein gearbeitetes Geländersystem mit roten Punkt-Elementen, das dem Ganzen eine hinreißend zarte grafische Struktur einstiftet. Selten entfaltet ein schnödes Alltagsding so viel Präsenz und Leichtigkeit.

Spuren nach Düsseldorf

In die gleiche Zeit fällt die Textilingenieurschule des Düsseldorfer Architekten Bernhard Pfau am Frankenring 20, gebaut von 1951 bis 1958. Markant ist der an der Stirn leicht gewölbte Bau auf Stelzen. Pfau spielte gern mit organischen Linien, wie sie Poelzig zu eigen waren - sichtbar am von Pfau entworfenen Düsseldorfer Schauspielhaus. Linien, die sich bis zu den Düsseldorfer Gehry-Bauten erhalten haben. Frank Owen Gehry hat Poelzigs Organik und Mies van der Rohes Abstraktion ganz neu miteinander verbunden. All die Leichtigkeit, all die Eleganz und Transparenz gehen im Brutalismus der 70er Jahre unter. Das Krefelder Seidenweberhaus steht dafür exemplarisch. Der Bau strahlt spielerische Lust tatsächlich nur in Luftaufnahmen aus; steht man unten vor dem Gebäude, steigt ein unwirtlicher Felsen auf, zerklüftet von funktionslosen Vorsprüngen und Durchgängen.

Im Frankfurter Architekturmuseum gab es unlängst eine Ausstellung mit dem Titel: "SOS Brutalismus. Rettet die Betonmonster." Beim Seidenweberhaus kann man das Monströse sehen und lernen, warum die Betonmonster es nicht wert sind, gerettet zu werden. Nahe bei uns und immer noch zukunftsrelevant sind Eiermann und Mies.

Besondere Tipps für Krefeld mit Kindern und Architektur-Fans

Krefeld mit Kindern:

Linner Burg: Wunderbare Bilder mittelalterliche Architektur liefern das historische Linn und die Linner Burg mit Park und Burggraben. Öffnungszeiten: Di - So, (1. April - 31. Okt.) 10 bis 18 Uhr, Di - bis So: (1. Nov. - 31. März) 11 bis 17 Uhr. www.krefeld.de/de/museum-burg-linn/41-museum-burg-linn/

Im Krefelder Zoo findet sich ein herausragendes Beispiel klassizistischer Architektur ( Uerdinger Str. 377): das Grotenburg-Schlösschen aus dem Jahr 1840, das heute ein modernes Imbiss- und Erfrischungsrestaurant beherbergt. Es gibt einen großen Außenbereich mit schönen Ausblicken auf den Zoo. Öffnungszeiten: März bis Oktober 9 - 19 Uhr; letzter Einlass 17.30 Uhr; Tierhäuser 17.30 Uhr; Zoo-Gastronomie 18 Uhr, www.zookrefeld.de

St.-Cyriakus-Kirche: Zauberhaft restauriert ist die neogotische St.-Cyriakus-Kirche am Marktplatz mitten in Hüls. (Öffnungszeiten Mo - Fr. 15 - 17 Uhr; Sa. 10 - 12 Uhr und 15 - 17 Uhr; www.st-cyriakus-huels.de

Auf dem Hülser Berg lädt die Hülser Bergschänke (Rennstieg 1) zum Essen und Trinken ein; an das Restaurant schließt ein schöner Spielplatz an; das Gelände des Hülser Berges ist mit Wildgehege und Naturlehr-Wegen ideal für einen Familienausflug zum Abschluss der architektonischen Erkundungen. www.huelser-bergschaenke.de

Adressen für Mies-Fans:

Museum Haus Lange / Haus Esters, Wilhelmshofallee 91-97: Die Museen sind zurzeit wegen umfassender Restaurierung und Sanierung geschlossen. Die Gebäude können aber von außen besichtigt werden, auch von hinten von der Gartenseite her. Man bekommt einen sehr guten Eindruck vom Gesamtensemble. Zum 100-jährigen Bauhausjubiläum 2019 eröffnen die Villen Anfang 2019 wieder. www.kunstmuseenkrefeld.de/d/kunstmuseen/hauslangehausesters

Das sogenannte HE-Gebäude der ehemaligen Vereinigten Seidenwebereien (kurz Verseidag genannt), wurde 1933 nach einem Entwurf von Mies van der Rohe gebaut, Mies van der Rohe Business Park, Girmesgath 5; das Gelände ist frei zugänglich; man bekommt einen sehr guten Eindruck von Mies van der Rohes Formenwelt. www.mies-van-der-rohe.com

Das "Stadthaus"; ehemals Verwaltungsgebäude und Lagerhochhaus der Verseidag, Konrad-Adenauer-Platz 1; Das Gebäude hat Egon Eiermann 1954 bis 1956 errichtet; es soll für 80 Millionen Euro saniert werden. Es ist tagsüber zugänglich; ein Blick ins Innere lohnt sich, um einen Eindruck von der Lichtdramaturgie und dem Raumgefühl zu bekommen. Kaum zu unterschätzen ist die Rolle des Geländer-Systems für den räumlichen Gesamteindruck. www.baukunst-nrw.de/objekte/Stadthaus-Krefeld--721.htm

Kaiser Wilhelm Museum, Joseph Beuys-Platz 1 (ehemals Karlsplatz 35); das Museum ist äußerlich ein prachtvoller klassizistischer Bau, nach der Sanierung präsentieren sich im Innern wunderbar großzügige, helle Ausstellungsräume, teil ausgestattet mit spektakulären, ebenfalls restaurierten Wandgemälden von Johan Thorn Prikker ("Lebensalter", 1923). Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11 bis 17 Uhr, Montag geschlossen. www.kunstmuseenkrefeld.de

Das könnte Sie auch interessieren:

Rundschau abonnieren