ErnährungDer freiwillige Verzicht auf Gluten bringt dem Körper nichts

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Gluten Unverträglichkeit Brot

Glutenfreie dunkle Brötchen mit Sesamkörnern und glutenfreies Baguette liegen in dem Ladens "Jute Bäckerei".

  • Viele Menschen haben das Gefühl, sich durch den Verzicht auf Gluten gesünder zu ernähren.
  • Auch ein dänischer Forscher verfolgte diese Weisheit privat. Doch nun hat er eine Untersuchung dazu gestartet.

Kein Brot, keine Torte, normale Nudeln sind ebenfalls tabu. Ganz konsequente Glutenverächter lassen sogar Speiseeis und Bier links liegen. Immer mehr Menschen sind überzeugt, dass es ihnen ohne das Getreideeiweiß besser geht – und opfern dafür ein Stück Lebensqualität. Aber zahlt sich die Askese tatsächlich aus?

Diese Frage wollte nun der Däne Oluf Pedersen klären. Denn bisher fehle den vielen positiven Wirkungen, die der Diät zugeschrieben werden, das wissenschaftliche Fundament, sagt der Stoffwechselforscher vom Zentrum für Metabolische Forschung der Universität Kopenhagen. Kein Mediziner würde bestreiten, dass ein Zöliakiekranker, der allergisch auf das Protein reagiert, das Getreideeiweiß meiden sollte.

Aber verspricht die Gluten-Askese tatsächlich auch gesunden Menschen eine bessere Verdauung, weniger Gewicht, mehr Energie und weniger Entzündungen? Das ist noch nicht bewiesen, genau das erhoffen sich aber viele Menschen von ihrer Askese. Andere sind wiederum der Meinung, sie würden allergisch auf das Protein reagieren, obwohl sich auch das nur selten belegen lässt.

Gluten selbst ist kein Einflussgeber

Aber Pedersen wollte auch aus persönlichen Gründen endlich Klarheit haben: „Ich bin selber Teil dieser Untergrundbewegung“, sagt der Däne. Er macht schon seit 19 Jahren um das Protein einen Bogen. 27 Versuchspersonen bat er, acht Wochen eine Art Gluten-Überdosis zu sich zu nehmen. 18 Gramm pro Tag, 14 Gramm isst der durchschnittliche Däne. Nach einer eingeschobenen Zwischenphase mit normalem Speiseplan, folgte eine weitere achtwöchige Periode des Glutenverzichts, rund zwei Gramm pro Tag.

Weitere 27 Probanden folgten dem umgekehrten Schema. Ansonsten versuchten der Wissenschaftler und Mitautorin Lea Hansen von der dänischen Technischen Universität in Lyngby die Grundbedingungen gleich zu halten: Alle Versuchspersonen nahmen in etwa die gleiche Zahl Kalorien auf, auch der Anteil von Fett, Proteinen, Kohlenhydraten und Ballaststoffen wurden konstant gehalten.

Das Ergebnis habe auch ihn überrascht, sagt der Mediziner. „Wir mussten feststellen, dass es anscheinend nicht das Gluten selbst ist, das bei Gesunden einen Einfluss auf die Gesundheit hat.“ Zwar tummelte sich im Darm unter der glutenarmen Diät plötzlich ein anderes Gemisch von Bakterien. Aber der Grund für diese leichten Veränderungen des Mikrobioms war nicht der Wegfall des Proteins, sondern der der Ballaststoffe aus dem Getreide. Weil in Weizen, Dinkel, Roggen und Gerste andere Fasern stecken als in Haferflocken, Erbsen, Reis und Quinoa, die sie ersetzten.

„Normalen Menschen bringt der Glutenverzicht offensichtlich keinen Nutzen“

Weitere Veränderungen konnte das Team trotz gründlichster Suche bei den Probanden nicht entdecken: Stoffwechselhormone, Blutfette, Insulinempfindlichkeit, Zahl der Abwehrzellen und andere Indikatoren für ein aktiveres Immunsystem in Darm oder Rest des Körpers – die Messwerte waren stets die gleichen, egal, was die Probanden aßen. „Normalen Menschen bringt der Glutenverzicht offensichtlich keinen Nutzen, weil Gluten keinen Effekt auf ihre Gesundheit hat“, sagt auch Bernhard Watzl, der Leiter des Institut für Physiologie und Biochemie der Ernährung am Max Rubner-Institut in Karlsruhe.

Bleibt die Frage, wie die Veränderungen der bakteriellen Darmflora zu bewerten sind? 14 der 500 bis 1000 unterschiedlichen Keimarten im Darm schienen in der Studie auf die Diät zu reagieren. Vor allem die Zahl der sogenannten Bifidobakterien hatte abgenommen. Was das für den Körper bedeutet, wusste allerdings auch der dänische Wissenschaftler nicht zu sagen. „Zumindest scheint der Glutenverzicht dort keinen Schaden anzurichten“, sagt Michael Blaut, Leiter der Abteilung für Gastrointestinale Mikrobiologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke. Grundsätzlich lasse sich aber aus solchen geringen Veränderungen wenig herleiten: „Es kommt immer auf die Mischung der gesamten Darmflora an.“

Langfristig könnte die Sache sogar anders aussehen. Im vergangenen Jahr berichtete der Zöliakieexperte Benjamin Lebwohl von der New Yorker Columbia Universität in der Fachzeitung British Medical Journal von einer umfassenden Analyse der Gesundheitsdaten von 110.000 Menschen. Je nach im Fragebogen angegebenem Glutenverzehr hatte er sie in fünf Gruppen unterteilt. Hinweise darauf, dass die Diät Verkalkungen der Herzgefäße verhindert, fand er keine. Auch das wurde ihr schon oft zugeschrieben.

Unangenehme Nebenwirkungen

Stattdessen stieß er auf eine unangenehme Nebenwirkung: Denn ein Verzicht führt auch zwangsläufig dazu, dass weniger Getreide- und damit auch Vollkornprodukte gegessen werden. Und für die ist belegt, dass sie nicht nur Herz- und Kreislauf gut bekommen, sondern auch das Risiko für Diabetes und Dickdarmkrebs senken. Wahrscheinlich weil sie die Bakterien im Darm besser gedeihen lassen.

Lebwohl errechnete ein 15 Prozent höheres Herzinfarktrisiko für Menschen, die aus Angst vor Gluten Vollkornkost meiden. Die gesunden Fasern aus dem Getreide ließen sich zwar durchaus aus anderen Quellen ersetzen, weiß Bernhard Watzl. Auch in Obst, Gemüse, Nüssen und Hülsenfrüchten stecken ausreichend Ballaststoffe. „Aber das machen nur die wenigsten Menschen. Für die Standardernährung in Deutschland gilt: Eine glutenarme Diät geht einher mit dem Verzicht auf solche Schutzeffekte.“

Vollkornprodukte haben noch eine weitere Wirkung: Werden sie im Darm von den Keimen zersetzt, wird Gas produziert. Tatsächlich konnte Pedersen zeigen, dass sich bei seinen Probanden weniger flüchtiger Wasserstoff im Verdauungstrakt bildete. Gleichzeitig gaben die Betroffenen verminderte Blähungen an – ob man das gut oder schlecht findet, ist auch eine Frage der Perspektive.

Kein Gluten, dafür mehr Fett, Zucker und Kohlenhydrate

Was bei manchen Versuchspersonen ebenfalls gut ankam: Ein erheblicher Anteil von ihnen hatte in den acht Wochen Glutendiät abgenommen. Allerdings waren es im Schnitt nicht mehr als 0,8 Kilogramm. Da alle gleich viele Kalorien konsumierten, führen die Autoren dies auf eine Zunahme des Energieverbrauchs zurück – können sich dabei aber nur auf die Wirkungen von Signalstoffveränderungen in Tier- und Laborexperimenten berufen. Dass im Alltag ähnliche Effekte zu erwarten sind, bezweifelt Katharina Scherf vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie. Häufig sei eine glutenarme Kost eher mit einer erhöhten Kalorienaufnahme verbunden, sagt sie. Der Grund: Um den Mangel an den Getreide-Inhaltsstoffen zu ersetzen, mischen die Hersteller mehr Fett, Zucker und anderen Kohlenhydrate ins Produkt.

Als Klebeeiweiß im Getreide hat Gluten die Eigenschaft, den Kuchen beim Backen zusammenzuhalten und hält die Hefe-Gasbläschen im Teig gefangen. Der glutenfreien Torte müssen deshalb Zusatzstoffe wie Polysaccharide beigemischt werden, damit sie nicht kollabiert. Das etwas fade Reisbrot wird mit Öl, Emulgatoren, Zucker und Salz aufgepeppt, um geschmacklich einigermaßen mit dem Roggenbrot mithalten zu können.

Tatsächlich scheint wegen des höheren glykämischen Indexes der Ersatzprodukte das Risiko für Übergewicht während des Glutenverzichts sogar anzusteigen, berichteten italienische Wissenschaftler 2016 in einem Übersichtsartikel in der Fachzeitung Clinical Nutrition.

Zudem wiesen die Produkte oft einen Mangel an Vitamin D, B12, Folsäure und vielen Mineralien auf. Andere Stoffe sind in ihnen dagegen zu bedenklichen Anteilen zu finden: „Ansammlung von Schwermetallen bei Menschen während einer glutenfreien-Ernährung“, tauften amerikanische Wissenschaftler in der Fachzeitung Clinical Gastroenterology and Hepatology in diesem Jahr ihren Artikel. Der Grund:

Sie hatten im Blut von gesunden Gluten-Verächtern erhöhte Spiegel giftiger Substanzen wie Quecksilber, Blei und Arsen gemessen. Oluf Pedersen will seine glutenarme Diät trotzdem beibehalten – er fühle sich damit einfach besser. Helfen könnte ihm dabei eine andere Wirkung der Ernährungsumstellung: ein nicht unbeachtlicher Placeboeffekt.

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